Kapitel 18

631 25 2
                                    

Kapitel 18
Normalerweise liebte Yvonne die Live-Shows, genoss jeden Moment vor der Kamera, das Rampenlicht, diesen kurzen Adrenalinschub vor jeden Auftritt. Doch heute schien die Zeit einfach nicht zu vergehen. Sie hätte alles dafür gegeben, die Zeit vorspulen zu können. Den nächsten Tag einfach zu überspringen, die Entscheidung zu überspringen, jeden einzelnen Moment, der sie gerade davon abhielt, ihre Lippen wieder mit denen von Steff zu verbinden, einfach zu überspringen. Sie fühlte sich wie in einem Film, als ob sie die ganz Situation durch die Augen einer anderen Person erleben würde. Das war normalerweise überhaupt nicht ihre Art, sich so kopflos auf eine andere Person einzulassen, dass sie alles andere um sich herum vergaß – und gleichzeitig hatte sich noch nie etwas in ihrem Leben so echt angefühlt. Dieser Moment, als sich ihre Lippen endlich berührt hatten, hatte einen Schwall an Emotionen in Yvonne ausgelöst. Emotionen, die sie noch nie zuvor in einer solchen Intensität gespürt hat. Steff hatte die Gedanken in ihrem Kopf völlig durcheinandergeschmissen. Sie in ein absolutes Chaos verwandelt. Ein wunderschönes Chaos, dass sie um keinen Preis der Welt wieder ordnen wollte. In jeder anderen Situation hätte die zweifelnde Stimme in ihrem Kopf sie angeschrien. Sie daran erinnert, dass es nur ein Kuss war, das Yvonne gar kein Interesse an Steff hatte, dass sie nur neugierig war – und alles was sich zwischen ihnen entwickelte sowieso völlig falsch war. Aber die Stimme schaffte es nicht zu Yvonne durchzudringen, war nicht mehr als ein dumpfes Murmeln irgendwo, ganz tief in ihrem Unterbewusstsein, was fast vollständig von dem Gefühl von der Wärme, die Steffs Körper neben ihr auf der Couch ausstrahlte, überdeckt wurde. Sie saßen gemeinsam mit den anderen Tänzern in der Lounge und beobachteten gerade Nico und Ekat, die gerade ihren Jive zum Besten gaben. Nein, alle anderen sahen ihnen zu, Yvonne blickte mit glasigem Blick auf die Bühne während ihr nackter Oberschenkel immer wieder wie zufällig gegen den von Steff stieß und mit jeder Berührung kleine Stromstöße durch ihren Körper zu senden schien. Die anderen schienen völlig von der Performance von Nico und Ekat gefesselt zu sein, niemand schien zu bemerken, wie sich Steffs Hand unauffällig auf Yvonnes Oberschenkel legte. Yvonnes Herz machte einen kleinen Satz, sie drehte ihren Kopf in Steffs Richtung und hob fragen eine Augenbraue. Doch Steff erwiderte ihren Blick nur wortlos, mit einem fast schon gefährlichen Funkeln in ihren Augen und zwinkerte ihr zu. Dann begann sie mit ihren Fingerspitzen kleine Kreise über Yvonnes Haut zu ziehen und die Tänzerin sog scharf die Luft ein. „Steff..." Ihr Flüstern war kaum mehr als ein leises Zischen. Steff lachte nur leise und gab ihr mit einem kurzen Blick in die Runde zu verstehen, dass sich noch immer absolut niemand dafür interessierte, was abseits des Tanzparketts vor sich ging. Yvonne sollte dennoch ein Stück von Steff wegrutschen, sich ihrer Berührung entziehen und sich so gut es ging auf die Show konzentrieren. Doch als Steffs Finger für den Bruchteil einer Sekunde unter den Saum ihres Rocks glitten, wusste sie, dass sie verloren hatte. Ihr Körper schien sich selbstständig zu machen und sich nur noch stärker gegen Steff zu pressen. Yvonne schloss die Augen, schaffte es gerade so ein leises Aufstöhnen zu unterdrücken. Wie schaffte diese Frau es immer wieder, sie durch die kleinsten Berührungen so aus dem Konzept zu bringen? Und vor allem, was würde sie mit ihr anstellen können, wenn aus den kleinen, unschuldig wirkenden Berührungen plötzlich mehr werden würde? Yvonne wurde aus ihren Gedanken gerissen, als die Wärme von Steffs Hand plötzlich von ihrem Oberschenkel verschwand. Sie öffnete die Augen und blinzelte, versuchte sich wieder auf das hier und jetzt zu fokussieren. Nico und Ekat hatten ihren Tanz beendet, die Tänzer um sich herum begannen wieder, sich zu unterhalten, und auch die Kamera schwenkte wieder vermehrt in ihre Richtung. Ein Teil von ihr war froh, dass Steff die Geschehnisse so im Blick gehabt hatte, genau gewusst hatte, wann es an der Zeit gewesen war aufzuhören, doch ein viel größerer Teil wünschte sich Steffs Berührungen zurück. Bevor die Frustration in ihr allerdings zu groß werden konnte, spürte sie, wie sich Steffs Arm wie selbstverständlich um ihre Hüfte legte und ihre Hand auf ihren Hintern zum liegen kam. Yvonne warf einen vorsichtigen Blick in Richtung der Kamerabildschirme, doch als die Kamera kurz in ihre Richtung schwenkte, lehnte sie sich beruhigt zurück. Von außen sah es so aus, als würden sie und Steff ganz normal nebeneinander auf der Couch sitzen, kein Anzeichen von der eindeutig unangemessen Handplatzierung der Sängerin. Sie begann wieder mit diesen federleichten Berührungen, ließ ihre Hand Yvonnes Rücken langsam rauf und runter wandern, um dann kurz unter den Bund ihres Rocks zu fahren, über Yvonnes nackte Haut zu streichen, eine Gänsehaut auszulösen und sich dann wieder zurückzuziehen. Yvonne fühlte sich als würde sie innerlich verbrennen. Es war das intensivste und gleichzeitig frustrierenste, was sie jemals gefühlt hatte. Ihr Körper war in einer stetigen Unruhe, bereit für mehr, viel zu sensibel für die kleinsten Berührungen. Sie war so in den Moment vertieft, dass sie einen Moment zu lange brauchte, um zu realisieren, dass sich sowohl Mark und Christina, als auch Steff von ihren Plätzen erhoben hatten. Ihr Blick wanderte langsam zur Videotafel, auf der gerade ihr Name aufblinkte. Das Hip Hop Battle. Das Hip Hop Battle, was sie bis eben vollständig aus ihrem Kopf verdrängt hatte. Ein plötzlicher Adrenalinschub überkam sie und sie sprang förmlich von der Couch, stolperte, und nur Steffs schneller Griff an ihren Oberarm verhinderte, dass sie vor laufender Kamera der Länge nach auf das Holzparkett fiel. „Na Yvonne kann es ganz offensichtlich kaum abwarten." Daniels Stimme klang noch immer wie durch einen Tunnel zu ihr durch. Sie lachte nur peinlich berührt. Dann beugte Steff sich vor, wie um sie zu stützen und raunte leise in ihr Ohr. „Frau Catterfeld, man könnte meinen Sie sind etwas abgelenkt." Yvonne lief feuerrot an und wusste für einen Moment nicht, was sie erwidern sollte. Steff hakte sich bei ihr unter und gemeinsam mit Mark und Christina verließen sie ihren Platz. Sobald sie außerhalb der Sichtweite der Kamera waren, buffte Yvonne Steff in die Seite. „Du bist unmöglich." Doch Steff lachte nur. „Komm, als ob dir das nicht gefallen hat." Yvonnes Schweigen sagte mehr als tausend Worte. Sie standen inzwischen direkt hinter der Bühne und kurz bevor sie gemeinsam hinaustraten, beugte Steff sich noch ein letztes Mal in Steffs Richtung, strich ihr die Haare hinters Ohr und streifte mit ihren Lippen die empfindliche Haut an ihrem Hals. „Keine Sorge, die Nacht ist noch lang." Dann zog sie Yvonne ohne ein weiteres Wort hinter sich her, hinaus auf die Tanzfläche. Yvonne stolperte ein wenig verloren hinter ihr her, während ein erwartungsvoller Schauer ihren Rücken herunterlief. Im Nachhinein konnte sich Yvonne beim besten Willen nicht erklären, wie sie es an diesem Abend geschafft hatte, sich auch nur an einen einzigen Tanzschritt zu erinnern. Es war vermutlich ihre jahrelange Erfahrung, ihr Talent dafür auch in Stresssituationen immer auf den Punkt fokussiert zu sein. Vermutlich hatte sie auch ein wenig die Tatsache gerettet, das Hip Hop ein Tanz ist, der relativ wenig auf Körperkontakt setzt. Ansonsten hätte sie wohl jede einzelne Berührung von Steff völlig aus der Bahn geschmissen. Doch so schafften die Beiden es den Tanz erstaunlich gut über die Bühne zu bringen. Der Kontrast der lebhaften, fröhlichen Performance zu ihrem emotionalen Magic Moment Tanz hätte nicht größer sein können und die Juroren waren von ihrer Wandelbarkeit so begeistert, dass sie auch diesen Tanz erneut mit 30 Punkten belohnten. Yvonne freute sich unheimlich, natürlich tat sie das, aber das Tanzen stand für sie an diesem Abend zum ersten Mal seit langem nicht wirklich im Mittelpunkt und so spielte sich der restliche Abend für sie ab wie im Zeitraffer. Sie applaudierte, als die anderen Tänzer ihre Choreographien aufs Parkett brachten, lachte über Daniels schlechte Witze und winkte strahlend in die Kamera, als sie und Steff um Anrufer warben. Doch als sie schließlich alle gemeinsam wieder auf der Bühne standen und auf die Entscheidung der Zuschauer warteten, rührte das ziehende Gefühl der Aufregung in ihrem Magen nicht nur daher, dass sie hoffte in der nächsten Show wieder tanzen zu dürfen. Das Ende des Drehs rückte näher, der Moment in dem die Kameras nicht mehr jeden von ihren und Steffs Schritten aufzeichnete, schien zum Greifen nah. Ein Moment unbändiger, echter Freude, als Daniel ohne es großartig Herauszögern verkündete, dass sie und Steff es in die nächste Runde geschafft hatten, ein Moment ehrlichen Bedauerns, als er wenig später Mark und Christina mitteilte, dass sie die Show leider verlassen mussten. Ein kurzes Interview mit dem Sender, dass sich in die Länge zu ziehen schien wie Kaugummi. Dann das vertraute Klicken der Kameras, die abgeschaltet wurden, die Lichter im Studio, die langsam abgeschaltet wurden, die Schritte der Zuschauer, die sich nach und nach auf dem Heimweg machten. Erleichterung durchströmte Yvonne, als sie sich zu Steff umdrehen wollte, um endlich gemeinsam mit ihr zu verschwinden. Doch ihre Erleichterung wurde sehr schnell von Verwirrung verdrängt, denn sie konnte Steff nirgendwo im Studio entdecken. Gerade hatte sie noch mit Mark an der Seite gestanden und schien in ein Gespräch mit ihm vertieft zu sein, doch jetzt sah sie den Sänger gerade aus dem Augenwinkel alleine durch die Gänge in Richtung seiner Garderobe verschwinden. Sie ließ noch einen letzten suchenden Blick durch das sich leerende Studio gleiten, und beschloss dann, ihm zu folgen. Wer weiß, vielleicht würde Steff schon in ihrer Garderobe auf sie warten. Wieder überkam sie ein Gefühl der Vorfreude, es war als hätte jeder Teil von ihr auf genau diesen Moment gewartet. Mit viel zu eiligen Schritten machte sie sich auf den Weg, stieß schließlich euphorisch die Tür zu ihrer Garderobe auf und blickte – in einen leeren Raum. Noch immer keine Spur von Steff. Yvonne trat unsicher in den Raum und rechnete fast damit, dass Steff plötzlich hinter der Couch hervorspringen würde. Doch alles blieb still. Gerade begannen sich die ersten Selbstzweifel in ihrem Kopf bemerkbar zu machen und die Stimme, die sie den ganzen Abend versucht hatte zu unterdrücken, schien plötzlich immer lauter zu werden, da fiel ihr Blick auf einen kleinen Zettel auf dem Couchtisch. Ihr Herz machte einen Satz, als sie Steffs Handschrift erkannte. „Ich wette du stehst jetzt völlig verzweifelt in deiner Garderobe und fragst dich, wo genau ich mich in diesem kleinen Raum verstecken kann. Ich hatte da plötzlich noch etwas ganz Dringendes zu erledigen und bin schon mal nach Hause gefahren. Könnte deine Hilfe gebrauchen, du weißt ja, wo ich wohne. Fahr vorsichtig, ich brauche dich in Bestform 😉 xx Steff" Daneben hatte Steff mit ihrem Lippenstift einen Kussmund aufs Papier gedrückt. Yvonne stöhnte frustriert auf. Diese Frau. Einfach unmöglich. Sie faltete den Zettel zusammen, steckte ihn in ihre Tasche und packte in rasend schneller Geschwindigkeit ihre Sachen zusammen. Sie warf sich nur schnell ihren Mantel über ihr Bühnenoutfit und hetzte zu ihrem Auto. So schnell hatte sie das Studio definitiv noch nie verlassen.

Let's Dance (Your Way into my Heart)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt