Kapitel 9

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Kapitel 9:
Steff hatte die ganze Nacht kein Auge zu gemacht. Stattdessen hatte sie sich unruhig in ihrem Bett hin und her gewälzt. Der Streit mit Yvonne hatte ihr einfach keine Ruhe gelassen. Noch immer begann die Wut in ihr zu lodern, wenn sie an den vergangenen Abend dachte. Natürlich, Yvonne vor laufender Kamera zu küssen, war nicht gerade das Schlauste, was sie hätte machen können, doch die Reaktion der Tänzerin war maßlos übertrieben gewesen. Es war nicht so, als wären danach gleich sämtliche Teilnehmer und Zuschauer mit Fackeln in der Hand auf die Bühne gestürmt, oder hätten ihnen eine heiße Affäre angedichtet – Nein, alle hatten es als Teil der Show gesehen, als kleines Sahnehäubchen, um ihrer Performance die Krone aufzusetzen. Und genau das war es ja letztendlich auch gewesen. Steff hatte sich vom Moment hinreißen lassen, hatte vielleicht nicht nachgedacht, aber es war für sie nichts weiter dabei gewesen. Sie würde lügen, wenn sie sagen würde, dass sie den Kuss nicht genossen hätte. Würde lügen, wenn sie behaupten würde, ihr Herz hätte nicht einen kleinen Sprung gemacht, als sie gemerkt hatte, wie Yvonne den Kuss für den Bruchteil einer Sekunde erwidert hatte. Die ganze Situation überforderte sie maßlos. Sie wurde aus Yvonne und ihrem Verhalten einfach nicht schlau. Inzwischen bereute sie ihre harten Worte allerdings fast ein wenig. Ja, Yvonne hatte sich völlig danebenbenommen, aber nachdem ihre Beziehung inzwischen schon fast so etwas wie eine freundschaftliche Ebene erreicht hatte, schien jetzt alles wieder zerstört zu sein. Aber vielleicht war es besser so. Bestimmt war es besser so.  Die Frage war nur, wie sie jetzt durch die nächsten Wochen kommen sollte. Sie würde definitiv keinen Schritt mehr auf Yvonne zumachen, hatte ihre Lektion gelernt. Fast schon hoffte sie, dass sie in einer der nächsten Shows ausscheiden würden, damit das Ganze endlich ein Ende hatte. Natürlich war sie ehrgeizig, doch sich nur für die Show durch weitere Wochen des Trainings mit Yvonne zu quälen, durch noch mehr angespannte Stille, noch mehr abweisendes Verhalten, während diese unbeschreibliche Spannung zwischen ihnen dauerhaft im Raum lag, nein Steff wusste gerade wirklich nicht ob sie das konnte. Zu gerne würde sie verstehen, warum Yvonne so geworden war und sich mit aller Kraft dagegen wehrte, was wirklich in ihr vorging, aber Steff bezweifelte, dass die Tänzerin sich ihr gegenüber nochmal öffnen würde. Steff war fast schon erleichtert, dass sie sich der Konfrontation mit Yvonne heute nicht stellen musste. Sie würde zwar gleich ins Tanzstudio fahren, doch statt der brünetten Tänzerin, würden heute Joachim Llambi, Mark und Nico auf sie warten. In der nächsten Show war es Zeit für den Jury Team Tanz. Sie freute sich darauf, nochmal die Gelegenheit zu bekommen, mit den Jungs zu tanzen, auch wenn sie Samu definitiv in ihrer Runde vermissen würde. Zwar würden sie in der Show mit ihren jeweiligen Tanzpartnern tanzen, doch heute trafen sich nur die Prominenten Teilnehmer gemeinsam mit Joachim Llambi, um die Grundschritte des Tanzes zu üben. Ihre Tanzpartner würden in den nächsten Tagen zu ihnen stoßen. Steff schlurfte in den Trainingsraum, die schlaflose Nacht steckte ihr doch mehr in den Knochen, als sie gedacht hatte. Als Mark, der bereits im Studio wartete, sie erblickte, schien er sofort zu merken, dass etwas nicht stimmte. „Steff? Was ist denn mit dir los? Du siehst aus, als hättest du die ganze Nacht kein Auge zugemacht." Steff zuckte nur die Schultern und schenkte Mark ein müdes Lächeln. „Der Kandidat hat 100 Punkte." Mark schien zu verstehen. „Yvonne? So schlimm?" Sofort hatte Steff wieder die Bilder ihres Streits vor Augen und wendete den Blick ab. Das Ganze schmerzte sie mehr, als sie zugeben wollte. „Schlimmer." Genau in diesem Moment stieß Nico zu den beiden, ein fröhliches Grinsen auf dem Gesicht. „Yvonne? Was ist mit Yvonne?" Mark stieß ihm unsanft gegen die Schulter. „Wow, das Feingefühl einer Dampfwalze. Gar nichts ist mit Yvonne, und wir werden da jetzt nicht weiter drüber reden." Nico blinzelte verwirrt. „Was?" Doch Mark griff nur nach seinem Arm und zog ihn hinter sich her, quer durch den Raum. Steff hörte noch wie er ihm leise zu zischte „Man, manchmal merkt man echt, dass du noch fast schulpflichtig bist." Steff konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen, wurde dann aber schnell wieder still. Bevor sie jedoch weiter ihren trüben Gedanken nachgehen konnte, hallte die durchdringende Stimme von Joachim Llambi durch den Raum. „Meine Herren, meine Dame, schön dass sie es alle pünktlich geschafft haben." Er winkte die Drei zu sich heran und begann damit, sein Vorhaben für den Tanz zu erklären. „Sie alle kennen sicher das Prinzip von Jury Tanz. Ich will Sie nicht anlügen, ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch, und will mit dem Tanz gut abschneiden – Auch wenn einige von Ihnen mir das nicht leicht machen werden." Sein strenger Blick fiel auf Mark, doch mit einem leichten Zwinkern machte er schnell deutlich, dass man seine Worte nicht allzu ernst nehmen durfte. „Wie dem auch sei, ich möchte gerne, dass wir rauskommen aus diesem Trott. Die Zuschauer haben gesehen, dass zumindest Zwei von Ihnen doch recht passable Tänzer sind. Was wir jetzt mit diesem Tanz anstreben, ist allen zu zeigen, dass das Ganze auch tatsächlich zu einem großen Teil Ihr eigener Verdienst ist, nicht der Ihres Partners. Deswegen üben Sie heute alleine, und in den nächsten Tagen werden Ihre Partner zwar zu uns stoßen, aber wir werden die Paarungen etwas durchmischen, so dass jeder von Ihnen nicht mit seinem eigentlichen Tanzpartner auftritt." Während die Jungs von der Idee wenig begeistert schienen, kam Steff nicht darum herum, eine gewisse Erleichterung zu spüren. Neuer Tanzpartner für diesen Tanz bedeutete für sie weniger Trainingszeit mit Yvonne, weniger Momente, in denen sie Gefahr lief wieder die Fassung zu verlieren. Doch ihre anfängliche Freude wurde schnell getrübt, als Herr Llambi verkündete, dass es sich bei ihrem Tanz um einen Tango handeln würde. Natürlich musste es ausgerechnet ein Tanz sein, der sie unweigerlich mit Yvonne verband, und der so viele Erinnerungen in ihr auslöste. Dementsprechend abgelenkt startete Steff ins Training. So sehr sie auch versuchte, sich auf die Schritte zu konzentrieren, jedes Mal kamen sofort wieder Bilder von ihr und Yvonne aus dem Training in ihr hoch. Als sie zum dritten Mal die gleiche Schrittfolge durcheinanderbrachte, nahm Joachim Llambi sie beiseite. „Frau Kloß, Sie wirken heute vollkommen abwesend. Sie müssen sich fokussieren." Steff warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. „Tut mir leid, ich weis auch nicht so genau was mit mir los ist." Der Tänzer nickte knapp. „Ihr letzter Tango war wirklich höchstes Niveau und jetzt bekommen sie nicht mal die Grundschritte hin..." Steff seufzte resigniert. „Beim letzten Mal war ich auch nicht alleine... und... die Situation war eine ganz andere. Gewöhnen Sie sich lieber schon Mal dran, so wird das in Zukunft dauerhaft aussehen, eigentlich kann ich gleich meine Tasche packen." Ihre Worte waren deutlich bitterer als sie beabsichtigt hatte und sie wollte sie am liebsten direkt wieder zurücknehmen. Doch zu ihrer Überraschung legte Joachim Llambi ihr nur seine Hand auf den Arm. „Also so wollen wir hier mal gar nicht erst anfangen. Ich bin mir sicher, dass wird alles wieder." Steff war sich in diesem Moment nicht sicher, ob er hier nur noch von ihrer tänzerischen Leistung sprach. Der Juror schien ihre Verwirrung zu bemerken. „Frau Kloß, ich habe vielleicht schon ein paar Jahre auf dem Buckel, aber ich bin nicht blind. Jeder der in der letzten Show etwas genauer hingesehen hat, konnte sehen, dass zwischen Ihnen und Frau Catterfeld irgendwas passiert ist. Selbst unser Kollege dahinten hat es geschafft eins und eins zusammenzuzählen." Er nickt in Marks Richtung, der sich gerade von einem völlig verzweifelten Nico zum hundertsten Mal eine der Drehungen erklären ließ. „Ich bin schon sehr lange Teil dieser Show und ich habe viele Tanzpaare gesehen, die mit der Zeit ganz nette Leistungen abgeliefert haben. Aber, ich bin ganz ehrlich mit Ihnen, dass alles ist kein Vergleich zu Ihnen und Frau Catterfeld. Wenn Sie beide Tanzen, kann jeder sehen, dass sie beide mit ganzem Herzen dabei sind. Man fühlt, was sie da aufs Parkett bringen. Das ist wirklich selten, gerade wenn wir uns in einer solchen Show mit Amateuren befinden. Was auch immer zwischen Ihnen passiert ist, biegen Sie es wieder gerade. Springen sie über ihren Schatten. Sie brauchen einander." Steff warf ihm ein etwas gezwungenes Lächeln zu. „Wenn das nur alles so einfach wäre. Ich kann Ihnen nichts versprechen." Herr Llambi hob nur eine Augenbraue. „Das müssen Sie auch gar nicht. Behalten Sie einfach meine Worte im Hinterkopf – und bis dahin schalten sie den Kopf ab, sondern bekommt Herr Forster am Ende noch eine bessere Punktzahl für den Tanz, als sie." Er war schon auf halben Weg zu den beiden Jungs, da drehte er sich nochmal um und zwinkerte Steff zu. „Und übrigens, nur damit Sie es wissen... Wenn sie mitbekommen würden, wie Frau Catterfeld sie abseits der Kamera anschaut, wenn sie denkt keiner würde sie beobachten... dann würden Sie ganz anders auf die Sache schauen." Steff blieb noch für ein paar Momente etwas verwirrt an der Seite stehen. Dann lief sie, mit dem festen Vorhaben Yvonne an diesem Tag nicht mehr in ihren Kopf zu lassen, zurück in die Mitte des Tanzstudios, um das Training fortzusetzen. Zu ihrer eignen Überraschung schienen Joachim Llambis Worte Wirkung zu zeigen und sie schaffte es, sich mehr und mehr auf den Tanz einzulassen. Im Laufe der Woche wurde das Teamtraining für sie zum großen Highlight. Sie fühlte sich gerade in Gegenwart von Joachim Llambi unheimlich wohl. Er war ein erstaunlich geduldiger Lehrer und durchaus weniger kritisch, als hinter dem Jury Pult. Auch er schien Steff sympathisch zu finden. Immer wieder fiel Steff auf, wie er sie erst musterte und ihr dann durch einen kurzen Blick oder ein paar knappe Worte ihre Unterhaltung wieder ins Gedächtnis zu rufen. Den Kopf abschalten. Sich Fokussieren. Er erkundigte sich nie direkt danach, ob sie bereits mit Yvonne gesprochen hatte, doch die Neugier war ihm deutlich anzumerken und jedes Mal, wenn Steff wieder einen Tanzschritt vermasselte und ihm nur einen entschuldigenden Blick schenke, schien er beinahe enttäuscht. Steff wünschte sich nichts sehnlicher, als seinem Wunsch nachzukommen, doch sie konnte sich einfach nicht dazu durchringen. Ihr Training mit Yvonne lief schlechter als je zuvor. Wenn sie mit den Anderen beim Team Training waren, behandelten sie einander wie Luft. Sie sprachen nicht miteinander und hielten sich nie dort auf, wo der Andere gerade stand. Trainierten sie alleine, war es noch schlimmer. Yvonne wartete nicht mehr mit einem Lächeln auf den Lippen auf sie, sondern erschien immer erst in letzter Minute im Tanzstudio. Sie redeten auch hier kaum miteinander, meistens bellte Yvonne nur knappe Anweisungen in ihre Richtung. Sobald Steff ihr zu nah kam, blockte sie ab, und fand eine Ausrede sich zu entziehen. Mit jedem Tag an dem ihre Leistungen im Team Training besser wurde, mit jedem Lachen, dass sie mit Christina teilte, die den Tango mit ihr tanzen würde, schien die Stimmung zwischen ihr und Yvonne ein wenig kälter zu werden. Sie konnte merken, wie der Blick der Tänzerin immer wieder auf ihr ruhte, doch immer, wenn Steff sich umdrehte, in der Hoffnung ein Lächeln auf ihrem Gesicht zu finden, waren ihre Lippen nur zu einem dünnen, ausdrucklosen Strich verzogen. Die angespannte Situation spiegelte sich dann auch in der Show wider. Sie und Yvonne tanzten einen Jive – wobei tanzen in diesem Fall fast das falsche Wort war. Sie bewegten sich mehr oder weniger rhythmisch zur Musik. Steff fühlte sich völlig unwohl, brachte die verschiedensten Schrittkombinationen durcheinander und war froh, als die Musik langsam verklang und sie wieder die inzwischen gewohnte Distanz zwischen sich und Yvonne bringen konnte. Das Jury Urteil war ernüchternd. Sie erhielten für den Tanz nur 14 Punkte. Die schlechteste Leistung, die sie bisher erbracht hatten. Joachim Llambi war bei der Urteilsverkündung unwahrscheinlich still und als er wortlos seine 4 Punkte Tafel hob, wirkte er fast schon geknickt. Wieder hatte sie seine Worte im Ohr. Sie Beide brauchen einander. Nun ja, gerade war zumindest für alle sehr offensichtlich geworden, dass sie in diesem Zustand definitiv zu nichts zu gebrauchen waren. Der Team Tanz lief dahingegen um einiges besser. Es war natürlich etwas ganz anderes mit Christina zu tanzen, als mit Yvonne. Sie harmonierten gut zusammen. Steff mochte die quirlige Tänzerin sehr. Doch es war für sie einfach nicht das gleiche Gefühl, fühlte sich nicht ganz so echt an. Dennoch fand ihr gemeinsamer Tanz großen Anklang im Studio. Es war allen deutlich anzusehen, wieviel Spaß sie miteinander hatten, aber der Kontrast, den das ganze zu ihrem lieblosen Tanz mit Yvonne darstelle, traf Steff noch einmal besonders ins Herz. Das ungute Gefühl verließ sie auch trotz ihrer relativ guten Jury Bewertung nicht und so kam es für sie nicht sonderlich überraschend, dass sie und Yvonne am Ende gemeinsam mit Robert Beitsch und der Tagesschau Sprecherin Judith Rakers zittern mussten, und als eines der letzten Paare auf dem dunklen Parkett standen. Steff rechnete fast damit, dass das für sie das Ende war. War davon überzeugt, dass Daniel ihr und Yvonne gleich mitteilen würde, dass sie es nicht in die nächste Runde geschafft hatten. Yvonne stand mit deutlichem Abstand zu ihr neben ihr. Steff versuchte in ihr Gesicht zu blicken, zu lesen ob sie zumindest noch einen Funken Hoffnung hatte. Doch es war fast, als versteckte sie all ihre Emotionen unter einer Maske. Ihr Gesicht war für Steff absolut unleserlich. So blieb ihr nichts anderes übrig, als abzuwarten. Nach einigen Sekunden, die Steff mehr wie Stunden vorkamen, erlöste Daniel sie dann endlich. In der Stimme des Moderators schwang fast so etwas wie Bedauern mit als er das Urteil der Zuschauer verkündete. „Und in der nächsten Runde sind Robert und Judith. Es tut mir leid Stefanie und Yvonne, aber eure Reise bei Let's Dance ist heute leider zu Ende." Tief in ihr drin hatte sie es bereits gewusst. Steff konnte die Entscheidung noch nicht mal wirklich bedauern.  Sie fühlte sich einfach nur leer.

Let's Dance (Your Way into my Heart)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt