Kapitel 12

499 23 2
                                    

Kapitel 12:
Die Rückkehr von Steff und Yvonne in die Show hatte eingeschlagen wie eine Bombe. Die Zuschauer waren begeistert gewesen, die Kommentare auf sämtlichen Social Media Kanälen hatten sich förmlich überschlagen. Yvonne hatte von dem Ganzen jedoch wenig mitbekommen. Sie versuchte sich generell eher von den sozialen Medien fernzuhalten, fühlte sich von der Flut an Feedback überfordert und wenn sie ganz ehrlich war reichten ihre Fähigkeiten mit den Plattformen umzugehen, nicht darüber hinaus ab und an ein paar unscharfe Selfies oder Turnierberichte mit ihren Followern zu teilen. Davon abgesehen hatte sie, gemeinsam mit Christina, in jeder freien Minute, die sie nicht mit Steff im Tanzstudio verbracht hatte, daran gesessen hatte, eine mehr oder weniger spontane Choreographie für die nächste Show auf die Beine zu stellen. Sie hatte Glück gehabt, denn durch den Feiertag, der auf den nächsten Freitag fiel, hatten sie zumindest mehr als ein paar Tage dafür Zeit gehabt. Trotzdem war sie die meiste Zeit im Stress gewesen. In der nächsten Show würden die Tanzduelle anstehen, was bedeutet hatte, dass Steff gemeinsam mit Mark eine Streetdance Performance auf die Beine stellen musste. Während Steff nach der Verkündung vor Freude fast in die Luft gesprungen war, weil sie sich endlich einmal nicht in eines der unbequemen Tanzoutfits zwängen musste, sondern sich mit einem einzigen Griff in ihren eigenen Kleiderschrank ihr perfektes Bühnenoutfit zusammenstellen konnte, hatte Yvonne geschluckt. Sie liebte es, andere bei Streetstyle Tänzen zu beobachten, aber ihre eigene Erfahrung war leider sehr begrenzt. So hatte sie sich mit Christina zu einer spontanen Trainingssession verabredet, um ihr Wissen ein wenig aufzufrischen.
Christina hatte sie mit einem breiten Lächeln empfangen. „Yvonne, da bist du ja! Zieh dich einfach schnell aus und dann geht's los." Yvonne hatte amüsiert eine Augenbraue gehoben, doch Christinas nächste Worte hatten sie dann doch etwas aus dem Konzept gebracht. „Ich weiß, ich weiß, den Satz hättest du jetzt lieber von Steff gehört, aber was soll man machen. Für heute musst du dich mit mir zufriedengeben." Sie war zwar feuerrot angelaufen, doch dann hatte sie etwas getan, wovon die Yvonne der Vergangenheit nur hätte träumen können. Sie hatte ein lautes, herzhaftes Lachen ausgestoßen, und Christina spielerisch gegen die Schulter geschlagen. „Hey, hör auf so einen Mist zu labern." Sie war selbst vermutlich am allermeisten davon überrascht gewesen, wieviel leichter es ihr plötzlich fiel solche Kommentare mit Humor zu nehmen. Es war als würde sie langsam lernen, über den Schatten ihrer Vergangenheit zu springen. Christina hatte ihr nur verschwörerisch zugezwinkert, und nachdem sich Yvonne für einen Moment gefragt hatte, ob ihre Worte nicht vielleicht doch ein wenig ernster gemeint gewesen waren, als es für sie zunächst den Anschein gehabt hatte, hatte sie sich nicht weiter ablenken lassen und sich voll ins Training gestürzt. Der Anfang war ein wenig holprig, Yvonne hatte plötzlich zu gut nachvollziehen können, wie Steff sich jede Woche aufs Neue fühlen musste, und hatte sich eine innerliche Notiz gemacht, ihr vielleicht doch mal die ein oder andere Pause mehr zu gönnen. Doch je mehr Zeit vergangen war, desto besser hatte sie sich in den Tanzstil hineinversetzen können. Nachdem sie es das erste Mal geschafft hatte, eine komplizierte Sequenz fehlerfrei durchzutanzen, hatte sie sich grinsend an Christina gewandt. „Ich glaube ich habe das schon noch so in meinen Genen und Muskeln drin. Da sind einfach einige Sachen gespeichert." Christina hatte ihr ein fast schon böses Grinsen zugeworfen. „Denkst du? Tut mir leid dir das mitteilen zu müssen, aber das war leider nur das Warm-Up. Lass uns jetzt mal richtig anfangen. Mal schauen ob die Kondition auch noch bei dir abgespeichert ist." Yvonne hatte nur scherzhaft die Augen verdreht, doch schnell gemerkt, wieviel Wahrheit in Christinas Worten gesteckt hatte. Bereits wenige Minuten später war Yvonne der Schweiß in Strömen über das Gesicht gelaufen und sie hatte ihre Trainingsjacke in die Ecke geschmissen. Sie warf Christina einen gequälten Blick zu. „Das ist Fitnesstraining. Qualvolles Fitnesstraining. Nein, schlimmer noch, das ist Folter. Ich bin sehr warm." Christina hatte nur gegrinst und über ihre Schulter in Richtung der Tür genickt. „Ich glaube, da bist du nicht die Einzige." Yvonne hatte sich umgedreht und in der Tür hatte niemand anderes als Steff gestanden, die ihr lachend zugewunken hatte. „Du glaubst gerade gar nicht wie befriedigend es ist, dich auch mal so fertig zu sehen." Yvonne hatte sich nur den Schweiß von der Stirn gewischt. „Ruhe auf den billigen Plätzen. Pass du bloß auf, wenn wir das nächste Mal trainieren, bist du fällig." Steff war einige Schritte nähergekommen und hatte ihr nur zugezwinkert. „Ich kann's kaum erwarten." Schließlich hatte sich Christina neben ihr laut geräuspert. „Tut mir ja leid euch zwei Süßen zu unterbrechen, aber ich habe Steff eigentlich nur hergebeten, damit sie schon mal sieht, was auf sie zukommt – nicht um dich hier komplett vom Training abzulenken." Dann hatte sie auf einen einsamen Stuhl in einer Ecke des Raumes gezeigt. „Steff, da rüber, jetzt. Lehn dich zurück und genieß die Show." Steff hatte spielerisch salutiert. „Yes Ma'am." Dann hatte sie, wie angeordnet, auf dem Stuhl Platz genommen. Allein dieser kurze Austausch zwischen ihnen hatte Yvonne unheimlich glücklich gemacht. Wieder hatte sie festgestellt, wie sehr sich ihre Beziehung zu Steff seit ihrem Gespräch verändert hatte, wieviel lockerer sie ihr gegenüber geworden war, wieviel ausgeglichener und entspannter sie den nächsten Shows entgegenblickte. Danach hatte sie versucht sich nicht weiter von Steffs Anwesenheit ablenken zu lassen und sich wieder voll und ganz auf Christinas Dance-Workout zu konzentrieren. Allerdings war es ihr trotz ihrer Bemühungen nicht verborgen geblieben, wie Steffs Blick während ihren Bewegungen immer wieder auffällig unauffällig über ihren Körper geglitten war. Doch Yvonne hatte sich damit keineswegs unwohl gefühlt. Ganz im Gegenteil. Sie hatte Steffs Aufmerksamkeit fast ein wenig zu sehr genossen. Vielleicht hatte sie ihre Hüften auch mit besonders viel Energie kreisen lassen und ihre Hände ein wenig langsamer ihren eigenen Körper heruntergleiten lassen, als sie es normalerweise getan hätte – völlig unbeabsichtigt, versteht sich. Nachdem Yvonne aber irgendwann jeden einzelnen Muskel in ihrem Körper gespürt hatte und nur noch nach Luft schnappen konnte, hatte Christina sie endlich erlöst. Ob das allerdings für sie oder doch für Steff die größere Erleichterung gewesen war, hatte Yvonne an dieser Stelle einfach mal im Raum stehen lassen wollen. Christina war neben sie getreten, und hatte ihr die Faust hingehalten. Yvonne hatte lachend mit ihrer Faust dagegen geschlagen. „Ich glaube, du bist wirklich ein Naturtalent. Vielleicht solltest du darüber nachdenken, den Standardtänzen den Rücken zu kehren." Yvonne war noch immer so außer Atem gewesen, dass sie Probleme gehabt hatte, Worte zu formulieren. „Ich glaube Morgen werde ich erstmal darüber nachdenken, dem Tanzen komplett den Rücken zu kehren und stattdessen Schach zu spielen oder so." Dann war ihr Blick auf Steff gefallen, die noch immer, für ihre Verhältnisse erschreckend ruhig, auf ihrem Stuhl in der Ecke saß. Christina war ihrem Blick gefolgt, auffordernd in Steffs Richtung genickt und dann zur anderen Seite des Raums gelaufen. So war Yvonne schließlich näher an Steff herangetreten. „Hey Steff, bist du noch bei uns?" Als sie gesehen hatte, wie Steff aus ihren Gedanken hochgeschreckt war, hatte sie ein Schmunzeln unterdrücken müssen. „In welcher Welt bist du denn gerade verschwunden?" Aus der anderen Ecke des Raumes war Christinas Stimme zu ihnen herübergeschallt, die gerade dabei war ihre Tasche zusammenzupacken. „Ich glaube das willst du nicht wissen, nicht jugendfrei." Dann hatte sie den Beiden zum Abschied eine Kusshand zugeworfen und hatte, noch immer leise lachend, das Tanzstudio verlassen. Als Yvonne ihren Blick wieder auf Steff gerichtet hatte, war es zum ersten Mal nicht sie, sondern die Sängerin gewesen, die von der Situation peinlich berührt geschienen hatte. Ihre Wangen hatten in einem leicht rötlichen Schimmer geleuchtet und sie hatte nervös auf ihrer Unterlippe gekaut. Sie hatte noch immer ein wenig abwesend vor sich hingestarrt. Yvonne hatte nicht so ganz gewusst, wie sie mit der Situation umgehen sollte, also hatte sie sich bloß laut geräuspert. „Erde an Steff?" Das hatte Steff schließlich aus ihren Gedanken gerissen. „Sorry, ich habe mich nur gerade gefragt, wie ich jemals so einen Tanz auf die Bühne bringen soll." Yvonne hatte ihr angesehen, dass das bestimmt nicht das gewesen war, was in ihrem Kopf vor sich gegangen war, aber sie hatte Steff nicht noch mehr in die Ecke drängen wollen, und die Situation so auf sich beruhen lassen. „Ach mach dir keinen Kopf, wir Beide haben schon ganz anderes geschafft." Yvonne war sich der Zweideutigkeit ihrer Worte durchaus bewusst gewesen, aber sie hatten nun mal der Wahrheit entsprochen. Auch Steff hatte sie nur warm angelächelt. „Da hast du wohl Recht und ich bin verdammt froh darüber, was wir aus dem Ganzen gemacht haben." Dem hatte Yvonne nur zustimmen können und hatte Steffs Lächeln erwidert. „Dito." Dann hatten sie für einen Moment geschwiegen, bis Steff schließlich wieder das Wort ergriffen hatte. „Ich habe im Übrigen nachgedacht..." Yvonne hatte fragend eine Augenbraue gehoben. „Über?" Steff hatte ein wenig nervös gewirkt. „Über den Magic Moment Tanz. Den Contemporary in der nächsten Show. Ich glaube ich weiß jetzt, worüber ich Tanzen will." Yvonne Neugier war geweckt gewesen. „Ehrlich? Erzähl." Steff hatte begonnen mit dem Ring an ihrem Finger zu spielen. Es war ungewohnt gewesen, sie so in Gedanken zu sehen. „Ich habe mir die letzten Tage echt einen ziemlichen Kopf darüber gemacht. Eigentlich hatte ich die Idee, über mein Coming Out zu tanzen, die Tatsache, dass es eben auch für mich nicht immer leicht gewesen ist, dazu zu stehen und nichts auf die Meinungen der Anderen zu geben. Aber ich war mir die ganze Zeit unsicher... Die Geschichte, die du erzählt hast..." Yvonne hatte sie sofort unterbrochen. „Steff, das ist dein Tanz, dein Moment. Du musst da absolut keine Rücksicht auf mich und meine Vergangenheit nehmen. Wenn du das Tanzen möchtest, dann machen wir das!" Doch Steff hatte nur den Kopf geschüttelt. „Nein, ich glaube ich möchte das wirklich nicht so in den Fokus stellen. Ich meine, die Tatsache, dass ich mit einer Frau tanze, ist irgendwo Zeichen genug und sind wir mal ehrlich, jeder rechnet damit, dass wir genau darüber tanzen. Würde es nicht eine viel stärkere Aussage sein, wenn wir die Tatsache, dass ich Bi bin einfach so hinnehmen? Sie nicht noch weiter in den Fokus stellen und damit irgendwie wieder zu etwas Ungewöhnlichem machen? Würde das dem Ganzen nicht irgendwas von der Normalität nehmen, die ich die ganze Zeit zu vermitteln versuche?" Yvonne hatte zugeben müssen, dass ihr Standpunkt tatsächlich sehr viel Sinn gemacht hatte. „Hey, das ist doch absolut verständlich. Also, worüber willst du dann Tanzen?" Steff hatte die Freude über Yvonnes Verständnis nicht verbergen können und als sie weitersprach, hatte ein leichtes Funkeln in ihren Augen gelegen. „Es gibt etwas, dass mich noch eine viel längere Zeit begleitet hat, das mein Leben mehr geprägt hat als alles Andere und einfach untrennbar zu mir gehört..." Yvonne hatte gewusst worauf Steff hinauswollte, noch bevor sie ihren Satz zu Ende gesprochen hatte. „Die Band." Steff hatte nur genickt. „Genau. Meinst du wir bekommen es hin, irgendwie unsere Geschichte darzustellen? Mit all unseren Höhen und Tiefen? Vielleicht schaffen wir es ja irgendwie, auch einen passenden Song von uns dafür zu finden. Die Jungs sitzen jede Woche vor dem Fernseher und verfolgen uns. Ich könnte das als eine Überraschung für sie aufziehen, eine etwas andere Art ihnen einfach mal Danke zu sagen... Da gibt es so viel zwischen uns was passiert ist, was ich einfach nicht in Worte fassen kann... Normalerweise verpacke ich sowas immer in Musik, aber ohne sie Lieder darüber zu schreiben und es ihnen so zu zeigen... Das funktioniert halt auch einfach nicht. Vielleicht ist das auch einfach nur so eine Schnappsidee von mir. Ich weiß nicht." Yvonne hatte ihr eine Hand auf den Oberarm gelegt und ihren Redefluss unterbrochen. „Steff, Steff. Du musst dich hier gar nicht so um Kopf und Kragen reden. Ich liebe die Idee." Yvonne hatte sehen können, wie ein Teil ihrer Anspannung förmlich von Steff abgefallen war. „Wirklich?" „Wirklich." Tatsächlich hatte Yvonne schon viel zu viele Ideen für die Choreographie im Kopf gehabt. Es hatte nur ein kleines Problem gegeben. „Ich hoffe das klingt jetzt nicht komisch, aber ich habe dich erst jetzt hier bei Let's Dance so richtig intensiv kennengelernt und weiß nicht wirklich viel über die Geschichte von dir und deinen Jungs. Meinst du wir können uns nochmal zusammensetzen und du erzählst mir ein bisschen mehr, damit ich etwas besser verstehe in welche Richtung ich für die Choreografie gehen soll?" Steff hatte sie mit gespielter Empörung angeschaut. „Wie jetzt? Willst du mir sagen, du bist nicht Silbermond Fan Nummer 1? Kannst nicht alle unsere Lieder mitsingen und erstellst in deiner Freizeit Fanseiten für uns?" Yvonne hatte in gespielter Trauer langsam den Kopf geschüttelt. „Ich bin schockiert. Aber keine Sorge, die Jungs und ich haben uns genau für solch einen Moment vorbereitet." Ein verwirrter Ausdruck hatte sich auf Yvonnes Gesicht gelegt. „Ich denke unsere Verbindung und das was wir erlebt haben, kann man schwer in Worte fassen, aber wir haben unheimlich viele Augenblicke unserer Vergangenheit auf Video festgehalten. Das wird für mich wahrscheinlich eine echte Emotionskanone, aber wenn du magst kannst du gerne heute Abend bei mir vorbeikommen und wir schauen uns davon mal ein bisschen was an. Ich denke danach solltest du einen guten Überblick haben und es ist vielleicht leichter, das Alles in eine Choreographie zu verpacken. Wegen dem Song habe ich auch schon eine Idee." Yvonne war von der Idee sofort begeistert gewesen und hatte ohne zu Zögern zugestimmt. Jetzt stand sie also hier, frisch geduscht, in einem lockeren weißen Shirt und einer bequemen Jeans. Sie wusste nicht genau, warum sie sich für einen gemütlichen Abend mit Steff so viele Gedanken über ihr Outfit gemacht hatte. Sie hatte nicht mal darauf verzichten können, einen leichten Hauch Make-Up auf ihr Gesicht zu legen. Auch das nervöse Kribbeln in ihrem Bauch warf in ihr viele Fragen auf. Es war das erste Mal, dass sie sich mit Steff außerhalb des Trainings und der Show traf – und anscheinend schien sie das etwas zu sehr aus der Fassung zu bringen. Sie umklammerte mit einer Hand die Weinflasche, die sie als Geschenk gekauft hatte und drückte mit der anderen Hand mit etwas zittrigen Fingern den Klingelknopf. Als der Türsummer ertönte und sie mit zögerlichen Schritten die Treppen zu Steffs Wohnung hinauflief, begann sie sich zu fragen, worauf sie sich da eigentlich eingelassen hatte.

Let's Dance (Your Way into my Heart)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt