Kapitel 2

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Der Flug war die Hölle, aber absolut! Es reichte ja nicht aus, dass sich sein Magen schon, wie ein Karusell anfühlte, nein, da musste dieses übergroße Hühnchen ihn auch noch mit allen möglichen belanglosen Dingen vollquatschen. So als wären sie Freunde, die sich nach einer Ewigkeit wiedergefunden hatten. Es war falsch! Er sollte in seiner Gasse sitzen, andere Leute beobachten und hoffen, nicht zu erfrieren, anstatt sich von diesem Fremden durch die Lüfte tragen zu lassen. Er wusste ja noch nicht mal, was dieser Typ von ihm wollte! Toya hatte absolut nichts! Keine Besitztümer, kein hohes Ansehen und erst recht kein Geld, falls dieser Vogel das erwartete. Wobei, der Blondschopf hatte gesagt, dass Toya durch seine Mutation großes Potential hatte, also wahrscheinlich suchte er nach Menschen mit starken Fähigkeiten. Vielleicht als Kämpfer oder Bodyguard? In diesen verrückten Zeiten, in denen sie lebten, würde ihn sowas nicht mehr überraschen. Allerdings, sollte Keigo wirklich nur nach einer starken Mutation suchen, dann war er hier an der falschen Adresse. Ja, Toya hatte womöglich eine kraftvolle und zerstörerische Begabung, doch die Narben auf seinem Körper sprachen Bände. Wie schon gesagt, absolut alles an dieser Situation war falsch und doch...irgendwie vertraute er Keigo, was logisch gesehen vollkommen verrückt war. Dieser Idiot war ein Mutant, genau wie er selbst. Er hatte so lange darauf gehofft, endlich jemand anderen seiner Art kennenzulernen und jetzt, wo die Chance gekommen war, würde er sie auf keinen Fall einfach so wieder ziehen lassen.

"Wir sind da!", riss ihn die fremde, aber gleichzeitig so vertraute Stimme aus seinen Gedanken. Er blickte hoch und konnte erkennen, wie sein Gegenüber alles unter ihnen mit seinen goldenen Raubtieraugen analysierte, bevor dieser die Stellung seiner Flügel veränderte und sie in einer viel zu hohen Geschwindigkeit richtung Boden rassten. Naja, zumindest für Toyas verhältnise. Kurz bevor sie jedoch tödlich aufkamen, breitete Keigo erneut seine Schwingen aus und sie landeten elegant, wie eine Katze auf dem flachen Dach, eines zugeschneiten Hauses. Gleich nachdem der Weißhaarige wieder festen Boden unter den Füßen spürte, befreite er sich aus dem engen Griff und taumelte einige Schritte zurück. Vor seinen Augen drehte sich alles und er fühlte sich, als müsste er sich gleich übergeben. Nein, Höhe oder Geschwindigkeit waren wirklich noch nie sein Ding gewesen! Er hörte Keigo im Hintergrund kurz auflachen und schenkte ihm einen Todesblick, während er nach und nach sein Gleichgewicht wiederfand. Immer noch ein wenig benebelt im Hirn, richtete er sich auf und betrachtete dann stumm ihre Umgebung. Sie schienen sich in einer eher abgelgenen Gegend von Shizuoka zu befinden. In der Ferne konnte er die grellen Lichter sehen und hörte, wie die Autos und Bahnen über die Straßen rassten, doch dort, wo sie sich befanden war nichts von alledem. Keine krebserregnde Beleuchtung und keine weiteren Geräusche, als das leise rauschen des Windes und das knirschen des Schnees unter ihren Füßen. Es war schon lange her, seit er das letzte mal in seiner alten Heimat war, doch die Stadt kam ihm immer noch so vertraut vor, wie damals.

"Warst du schonmal in Shizuoka?" Er blickte wieder zu Keigo, der noch immer an der selben Stelle wie vorher stand. Seine roten Flügel hatte er eingezogen und seine goldenen Augen musterten Toya aufmerksam. "Warum fragst du?", konterte er nur. Nicht sonderlich erpicht darauf, einem Fremden von seiner tragischen Lebensgeschichte zu erzählen. "Weiß nicht. Dein Blick sah irgendwie so...so nostalgisch aus. Als würdest du das alles hier schon kennen." Der Blondschopf kratzte sich verlegen am Hinterkopf und es schien nicht so, als würde er noch eine Antwort erwarten, als er damit begann, sich den Schnee von der Kleidung zu klopfen. Toya hätte es ihm ja gleich getan, allein aus Höflichkeit, um nicht alles im Haus nass zu machen, wäre da nicht der Fakt, dass es nicht aufgehört hatte zu schneien und die weißen Flocken unermüdlich auf die helle Kleidung seines Gegenübers fielen, der verzweifelt versuchte, sich von ihnen zu befreien. Nach einer Weile schien die Geduld des Anderen entgültig aufgebraucht zu sein und er seufzte einmal kurz, bevor er sich die Hand des Weißhaarigen schnappte und diesen unter Protest mit sich zog. Sie liefen geradewegs auf eine Tür zu, die wohl vom Dach aus, ins innere des Gebäudes führte und Toya ging davon aus, dass sich hier Keigos Wohnung befand. Er hatte erwartet, dass der Blondschopf einen Schlüssel herausholte, doch stattdessen hielt er einfach seine Handfläche auf das Holz, bevor sich die Tür mit einem knarzen öffnete. Der Weißhaarige hätte es wohl niemals zugegeben, doch dieses Schauspiel beeindruckte ihn schon ein wenig, nachdem er Jahre auf der Straße gelebt hatte.

Your Power (Dabihawks)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt