4

982 50 4
                                    

Louisa

"Loui?" Johns Stimme drang zu mir durch. Ich stand seit einer Ewigkeit am Fenster, starrte hinaus in die Dunkelheit.
Keine Ahnung wie spät es mittlerweile war.

Zwei Wochen waren vergangen seit John und Raphael zu Besuch gewesen waren.

Heute Nacht, um 00:17 Uhr hatte Amir aufgehört meine Hand zu halten. Er hatte seinen letzten Atemzug gemacht.

Ich hatte schon kurz zuvor John angerufen. Weil ich es gewusst hatte. Ich hatte es gespürt.

Johns Arme schlangen sich von hinten um mich, presten meinen Körper fest an sich und erst mit dieser Berührung brachen meine Dämme.
Ich weinte Still, sah hinaus in den Garten. Sah mich selbst dort mit Amir tanzen und lachen.
Wir hatten Pläne, Träume und alle Möglichkeiten.

Jetzt hatte ich nichts mehr.

"Ich kann nicht atmen." schluchzte ich.
John wich zurück, dachte vermutlich er würde mich erdrücken. Als er mich los ließ fühlte es sich jedoch an als würde ich in die Tiefe stürzen. Mir wurde kalt und ich begann hektisch zu Atmen.
"Halt mich!" stieß ich panisch aus. John griff sofort nach mir, drehte mich um und drückte mich wieder an sich.

"Bitte! Bitte mach das es aufhört!" bat ich verzweifelt. Mein gesamter Körper schmerzte, es fühlte sich an als würde alles was mich je aufrecht stehen ließ langsam zerfallen.
"Ich halte dich! Ich bin da!" flüsterte John hilflos. Doch es half nicht, Nichts half gerade.

"John ich kann hier nicht bleiben!" schluchzte ich. Ich konnte wirklich nicht.
Zwar war mit Amirs letztem Atemzug finanziell alles abgedeckt. Das Haus, die Beerdigung und auch Witwenrente. Aber der Gedanke hier zu leben, in einem Haus das ich mit meiner großen Liebe gekauft hatte, brachte mich um.
"Ich will hier weg!" stieß ich laut aus und verlor komplett die Kraft. Ich sank zu Boden. John verhinderte das ich stürzte, ließ mich vorsichtig nieder.
Hysterisch weinte ich. Raufte mir das Haar, zog daran, schnappte nach Luft und doch half es nicht den Schmerz in mir zu verjagen.
"Loui!" schrie John mich an. Er musste, anders hätte ich ihn nicht wahr genommen.
Erst als Marten mich an einem Arm packte und wieder auf die Beine zog hatte ich überhaupt realisiert das auch er hier war.
Meine Familie war da für mich und trotzdem, der Schmerz wurde nicht weniger.

Die Beiden brachten mich nach unten, setzten mich auf die große Wohnlandschaft. Marten hielt mich in seinen Armen, John räumte die Küche um, auf der Suche nach Teebeutel.
"Scheiss auf Tee. Ich brauch Vodka, Schnapps oder sonst was!" wimmerte ich.
"Soweit kommts noch." murmelte er und stellte den Teekocher an.
"Du musst Wasser rein geben." murmelte Marten als das Ding zum zweiten Mal von selbst ausging.
Auch John nahm das ganze mit.

Es dauerte bis ich mich gefangen hatte.
Es war bereits Hell als ich dazu in der Lage war den Arzt anzurufen.
Zum Glück war es hier am Land etwas einfacher für mich alle wichtigen Dinge zu erledigen.

Der Arzt hatte bereits den Bestatter informiert als er auf dem Weg hier her war. Zudem war er so nett und hatte mir direkt einen Stimmungsaufheller organisiert. All das war schon vorab besprochen worden.
Ich hatte mich dadurch in sicheren Gewässern geglaubt doch jetzt wo der Tag gekommen war auf welchen wir eigentlich schon seit Monaten warteten, schien ich trotzdem zu ertrinken.

"Ich will nochmal hoch bevor sie ihn holen." murmelte ich und stand auf. Marten und John folgten mir, blieben jedoch an der Tür zum Schlafzimmer stehen.

Ein letztes mal griff ich nach Amirs Hand. Ein letztes mal Küsste ich seine Stirn und sagte ihm leise das ich ihn liebte.

Es war Still im Haus. Auch als Amir abgeholt wurde, wurde nicht viel gesprochen.
Das Ticken der Uhr machte mich wahnsinnig, für Musik oder den Fernseher fehlten mir jedoch die Nerven.

Irgendwann begann ich das Bett abzuziehen. Ich entsorgte die Bettwäsche und ging dann duschen.
Ich steckte mich in Amirs Klamotten und setzte mich wieder zu Marten und John.
"Und jetzt?" fragte Marten Irgendwann in die Stille.
"Keine Ahnung." antwortete ich. Ich wusste es wirklich nicht. Alles in mir fühlte sich an als stünde ich am Ende meines Lebens.

Als wir uns darauf konzentriert hatten Amirs letzte Monate zu planen hatte niemand, am allerwenigsten ich selbst, daran gedacht das mit Amirs Tot mein Leben trotzdem weiter ging.
Ich fühlte mich jedoch nicht dazu in der Lage.
Wie um alles in der Welt sollte ich jetzt weitermachen? Was sollte ich jetzt tun?
Beinahe schämte ich mich für den Gedanken. Mein Mann war noch keine zwölf Stunden tot und ich fragte mich was mir das Leben jetzt bringen würde.

Wir, in schlechten Zeiten Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt