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John


Die Beerdigung von Amir war ungewöhnlich denn außer mir, Marten und Louisa war niemand gekommen. Louisa schien gefasst, doch als Amirs Sarg in den Wagen geschoben wurde und wenig später vom Hof des Verabschiedungsinstituts fuhr, hatte sie die Beherrschung verloren und war in Tränen ausgebrochen. 

Nur zwei Tage später saßen wir wieder im Auto. Louisa blieb zurück. Sie musste einige Dinge  erledigen und meinte, sie wollte etwas Zeit für sich.
Widerwillig akzeptierten wir ihre Entscheidung und reisten ab. Natürlich machte ich mir Sorgen, doch ich konnte meine kleine Schwester auch verstehen. Ich selbst hätte vermutlich auch keinen Bock das ständig jemand um mich herum schlich wenn ich mich in einer solchen Situation befinden würde. Dennoch blieb die Sorge um Lou in meiner Magengegend verankert. 

Jeden Abend telefonierten wir miteinander, meist hörte sie mir einfach nur zu und manchmal, da weinte sie. Sie weinte und fragte mich wann es aufhören würde weh zu tun.
Meine Erkenntnis: Ich wusste es nicht.

Zwei Wochen nach unserer Abreise riss dann jedoch der Kontakt ab.

'Hi großer Bruder. Nehme mir eine Auszeit. Ich muss raus hier. Meine Adresse wird eine andere sein. Welche sie haben wird weiß ich noch nicht. Ich melde mich.
Kuss
Lou'

Ein grauenhaftes Gefühl machte sich in mir breit. Es half jedoch nicht sie mit Anrufen zu bombardieren denn schon nach kurzer Zeit bekam ich nur noch die Mailbox zu hören.
Ich hatte keine Ahnung wo Lui sich aufhielt. Ich wusste nicht ob es ihr gut ging und konnte nur hoffen das sie nicht auf dumme Gedanken kommen würde.

Knapp drei Monate nach dem letzten Kontakt war ich kurz davor einfach blind nach ihr zu suchen doch Marten hielt mich zurück.
Zum Glück, denn ich wäre nicht in Hamburg gewesen als sie sich endlich wieder gemeldet hatte.

"Ja?" murmelte ich ins Telefon. Die Nummer die mich anrief hatte ich nicht erkannt, kurzzeitig hatte ich sogar gezögert den Anruf überhaupt anzunehmen, doch ich hatte jedes mal Angst dass Louisa etwas zugestoßen war und man mich deshalb versuchte zu erreichen.

"Hey großer Bruder." sagte Loui leise. Man konnte hören das sie nicht sicher war ob ich ihr nicht doch noch den Kopf abreißen würde. Ich hingegen brauchte einen Moment um überhaupt zu realisieren das meine Schwester am anderen Ende der Leitung war.

"Lui! Wie geht es dir?! Gott sei Dank! Meine Fresse weißt du eigentlich was ich mir für Sorgen gemacht habe?!" stieß ich aus und fuhr mit einer Hand in mein Haar. Auch Marten sah auf und warf mir einen überraschten Blick zu während er sich aufrichtete und mich aufmerksam beobachtete. 
"Es tut mir leid." murmelte Sie betreten.
"Wo bist du? Wie geht's dir? Bist du in Ordnung? Was hast du gemacht?" fragte ich hektisch. Marten runzelte die Stirn und deutete mit der Hand das ich etwas runter kommen sollte.
"Ich bin in Berlin. Mir geht's... Ganz oke soweit. Ich bin gerade erst gelandet." erzählte sie.
"Berlin? Ich komme sofort!" stieß ich aus und sprang auf. Meine Hand flog eilig über meinen Wohnzimmertisch um das wichtigste zu schnappen doch Marten packte mich am Arm und bedachte mich mit einem Blick der mir zu verstehen gab das ich mich beruhigen sollte.
"Zu Fuss oder was? Dicker warte! Ich bring dich!" rief Marten mir nach. Er war die Ruhe in Person und verschwand nochmal im Bad während ich nervös durch meine Wohnung zappelte um eilig etwas einzupacken.
"Ich..." begann Loui, doch ihr brach die Stimme weg.
"John mir geht's nicht gut!" schluchzte sie.
ich seufzte denn ich hatte nicht erwartet das sie mal eben von der Bildfläche verschwinden würde und dann rehabilitiert wieder zurück kehrt.
"Loui ich hol dich ab. Ich ruf Raf an der ist in Berlin, der wird dich erstmal vom Flughafen weg schaffen. Wir treffen uns dann bei ihm okay?" schlug ich vor, mehr als ein Schluchzen seitens Louisa war jedoch nicht zu vernehmen. 
"Ich geb dir mal Marten, damit ich Raf anrufen kann ja?!" seufzte ich und reichte mein Handy weiter.

"Was gibt's?!" nahm Raf meinen Anruf nur wenige Augenblicke später an. 
"Bonez hier..." seufzte ich. Kurz war es still, lediglich ein Rascheln war zu hören.
"Was ist passiert? " fragte er ernst.
"Kannst du Loui vom Flughafen abholen? Ich mach mich direkt auf den Weg aber sie weint und..." Schwafelte ich hektisch.
"Berlin schätze ich?" fragte er nach und unterbrach mich somit.
"Jo!" bestätigte ich.
"Bin so gut wie auf dem Weg. Meld' mich wenn ich sie eingesammelt hab." murmelte er und legte direkt auf. Raf hatte in den letzten Wochen haut nah miterlebt welch Sorgen ich mir um meine Schwester gemacht hatte. Alleine deshalb konnte er verstehen wie wichtig es mir war, das Louisa bis zu meinem Eintreffen bei jemandem bleiben konnte dem ich vertraute. 

"Gib mir Loui nochmal!" forderte ich Marten auf und streckte die Hand nach meinem Telefon aus.
"John will nochmal mit dir reden. Wir sind quasi auf dem Weg Prinzessin." verabschiedete er sich leise und gab mir das Handy weiter.
"Loui, Raf holt dich ab. Am besten du haltest einfach Ausschau nach einem teurem Auto!" rief ich ins Telefon.
"John bitte schrei nicht so herum, ich bin nicht taub." murmelte Sie.
"Ja sorry, Raf braucht circa ne viertel Stunde zu dir. Wir etwa... Drei? Marten hat Bleifuß." murmelte ich während wir die Treppe runter hechteten.
"John bitte fahrt vorsichtig! Ich löse mich nicht in Luft auf." bat meine jüngste Schwester mit Nachdruck.
"Ja ist ja gut!" murrte ich unzufrieden. Meine Schwester verstand offenbar nicht welch Sorgen ich mir in den letzten Wochen um sie gemacht hatte. Dennoch bemühte ich mich, etwas Ruhe zu bewahren, auch wenn es ganz offensichtlich nicht ganz so gut funktionierte. 

"... Mein Akku ist gleich leer John. Ich leg auf damit ich im Notfall nochmal anrufen kann ja?" hing sie an.
"Ja is' gut." murmelte ich zähneknirschend und beendete nach einem "Pass auf dich auf!" das Telefongespräch. 

Louisa war aufgetaucht. Zumindest das beruhigte mich etwas. Trotzdem wollte ich so schnell wie möglich zu ihr und sie in meine Arme schließen.

Wir, in schlechten Zeiten Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt