Romero versuchte immer einer der ersten im Raum zu sein, um einen Platz in der letzten Reihe zu bekommen. Die Politik der freien Platzwahl, die ihre Schule betrieb, hatte den Nebeneffekt, dass sich die Räume meist von hinten auffüllten. Sein Verdacht dazu war ja, dass die Lehrer das eingeführt hatten, um Nachzügler und Faulenzer direkt vor der Nase zu haben. Jedenfalls trieb es ihn dazu an, wenn möglich überpünktlich zu erscheinen. Er hielt es nämlich kaum aus andere im Rücken sitzen zu haben. Das machte ihn immer ganz nervös, und der Drang, sich permanent umzudrehen oder bedrohlich zu knurren, wurde mit fortschreitender Stunde immer schlimmer. Früher, als er der einzige Wolf in seiner Klasse war, war das nicht so ein Problem gewesen, wenn das ab und an mal vorkam. Aber jetzt, mit drei anderen Wölfen im Raum, die seine Unruhe sofort spüren würden, durfte das nicht mehr passieren. Für jemanden von seiner Position war es absolut unangebracht, sich durch ein paar kleine Menschen derart aus der Ruhe bringen zu lassen.
Als er heute ankam, war sogar noch der Sitz beim Fenster frei. Er ließ seinen Rucksack neben dem Sessel zu Boden gleiten, und nahm Platz. Mehr als Block und Stift brauchte er für den ersten Unterrichtsblock nicht herauszulegen. Ihr Lehrer für Geografie und Wirtschaftskunde, bzw. auch für Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung danach, war ein erklärter Feind jeglicher Schulbücher, die je gedruckt worden waren. Zumindest hatte bisher keines seinen Ansprüchen genügt. Mit einem leisen Seufzen ließ er seinen Blick aus dem Fenster schweifen, um die vorbei ziehenden Wolken zu beobachten.
Als die nächste Gruppe Mitschüler den Raum betrat, verbreitete sich der Duft von frischem Brot mit ihnen. Romero brauchte nicht hin zu sehen, um zu wissen, dass Rem angekommen war. Seiner Familie gehörte der größte Bäckereibetrieb in Whiskerton East, und er half dort jeden Morgen noch vor der Schule aus, wenn das meiste Brot gebacken wurde. Damit gehörte er zu jenen Schülern, die ihren Nebenjob für jeden erkennbar in einer Duftwolke mit sich herum schleppten. Nun, zumindest für jeden mit einer Wolfsnase.
Ohne jegliche Eleganz ließ Rem sich in den Sessel vor ihm fallen, und schreckte ihn damit aus seinen Gedanken auf.
"Hey, Rom! Aufwachen Kumpel! Was ist denn so spannend da draußen, dass du deinem Lieblingsbeta keine Beachtung mehr schenkst? Ich überlege ernsthaft beleidigt zu sein!"
Ohne es zu wollen, musste Romero grinsen. Die gute Laune seines Freundes grenzte heute mal wieder sehr an unverschämt. Er sollte versuchen ihn ein wenig im Zaum zu halten: "Rem! Wenn dich wer hört. Außerdem hat dich doch schon der Geruch verraten."
"Sollen die kleinen Menschlein doch zuhören, wen stört's? Die halten mich doch sowieso schon für verrückt.", erwiderte der Angesprochene achselzuckend, jedoch brav um einiges leiser als vorhin noch, "Und hör bloß auf, dich über meine Dunstwolke zu beschweren! Ich hab eine der angenehmsten in der ganzen Schule. Stell dir mal vor ich würde wie unser Sternchen hier riechen!", meinte er, und deutete mit dem Kopf in die Richtung des erwähnten Mädchens. Stella half ihrer Tante in ihrem Esoterikladen, soweit er wusste. Jedenfalls hafteten ihr immer die verschiedensten Gerüche von Ölen Kräutern, Tinkturen und - am schlimmsten von allem - Weihrauch, an. Das war jedoch noch einigermaßen erträglich, ganz im Gegensatz zu ...
"Oder Ghealach bewahre, wie der Omega.", unterbrach Rem seinen Gedankengang erneut, "Ich werde nie verstehen, wie man sich das als Wolf freiwillig antun kann."
Bei dem Gedanken verzog Rem ganz automatisch die Nase, sprang jedoch gleich zum nächsten Thema weiter, "Heute Nachmittag muss ich übrigens ganz schnell wieder heim, wir haben ein Catering Event am Abend, und zu wenig Personal. Ich geb dir meine Bücher aus der Stadtbibliothek, und du bringst sie mir zurück, ja? Die laufen nämlich heute ab. Nächstes mal, tu ich dir dann wieder was gutes. Wie wäre es mit Kuchen von meinem Opa? Er macht diese Woche bestimmt noch was mit Schokolade. Aber jetzt entschuldige mich, ich muss noch ein paar Matheaufgaben rechnen, bevor Herr Windur kommt."Damit drehte Rem sich um, und überließ seinen Sitznachbarn wieder seinen Gedanken. Typischerweise wartete er nicht einmal ab, ob seine Bitte angenommen werden würde. Romero schmunzelte, weil sie beide wussten, dass der Kuchen von Rem's Opa das perfekte Lockmittel war. An die Backkünste des alten Mannes kam einfach keiner heran. Mit einem kleinen, unbewussten Nicken zu sich selbst beschloss der junge Alpha also, dass er dafür auch gerne einen Abstecher zur Bibliothek einlegen konnte. Zwischen Unterrichtsende und dem Treffen mit den Stadträten lagen schließlich knappe zwei Stunden.
Nachdem das beschlossene Sache war, schweiften seine Gedanken zu dem Thema, das Rem davor besprochen hatte - dem Omega. Seinem Vater war Gleichbehandlung innerhalb ihres Rudels wichtig, und das war ja auch eine tolle Sache. Er selbst war fest entschlossen diese Richtung beizubehalten, und keinesfalls einen Omega öffentlich schlecht zu machen. Aber dieser Geruch! Eigentlich konnte nicht mal das Wort Gestank es hinreichend beschreiben. Romero wusste nicht, wo er in seiner Freizeit arbeitete, oder - wie Rem gesagt hatte - wie er sich das freiwillig antun konnte. Jeden Tag umgab ihn diese Wolke von Chlordämpfen, und was wusste er schon, was sonst noch alles für Chemikalien in Putzmitteln drin war. Zumindest dachte er sich, dass es Putzmittel sein mussten. Gefragt hatte er ihn nie. Manchmal dachte er zwar darüber nach, ob es nicht angebracht wäre ein Gespräch zu beginnen, immerhin war auch der Omega teil des Rudels, das er einmal anführen würde. Aber er befürchtete, dass er es ob der Schmerzen in seiner Nase nicht schaffen würde, ein höfliches Gespräch durchzuziehen, und hat es somit bisher ganz sein lassen.
So viel, wie er gerade darüber nachdachte, stach es ihn schon wieder in der empfindlichen Nase. Da nieste ein Mädchen aus der ersten Reihe plötzlich, und als er leicht erschrocken aufsah, bemerkte Romero, dass der Geruch keine Einbildung war. Der Omega war tatsächlich soeben in die Klasse geschlüpft und beeilte sich zu einem der letzten freien Sitze zu kommen. Seine Ankunft löste hektisches wegpacken von halbfertigen Hausarbeiten im ganzen Raum aus. Alle wussten, dass der Omega immer wenige Augenblicke vor dem Lehrer in die Klasse kam. Er war zu so etwas wie der inoffiziellen Alarmglocke ihrer Klasse geworden. Wobei er für die menschlichen Mitschüler natürlich nicht der Omega war, sondern ...
Romero stutzte. Er wusste nicht wie der Omega hieß. Das ganze letzte Jahr waren sie bereits in derselben Schulstufe gewesen, und er kannte seinen Namen nicht. Das war eine Schande für ihn, er müsste eigentlich die Namen aller Rudelmitglieder kennen. Und auch wenn ihm bewusst war, dass ihm noch ein paar der Mitglieder am Rande fehlten, war das hier ein viel zu offensichtlicher Fehler.Herr Windur kam herein, und er nahm äußerlich eine aufrechte, respektvolle Haltung ein, während er innerlich mit dem Kopf gegen die Tischplatte schlug. Dieses Versäumnis musste er heute noch aus dem Weg räumen, bevor es jemandem aus dem Rudel auffiel. Das konnte doch nicht so schwer sein. Und wenn er schon dabei war, schaffte er es vielleicht gleich noch ein erstes Gespräch mit dem Omega zu führen.
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Ein Alpha und sein Omega (Whiskerton #1)
WerewolfEin etwas zu unsicherer Alpha, und ein unerwartet sturer Omega. Wo kann das nur hinführen? Laufend/ langsame Updates (aktuell Blockade im Hirn, sorry) 1000 Reads am 28.03.2023 2000 Reads am 27.12.2023