18 ~ Nino

52 5 0
                                    


Nachdenklich malte Nino einen Kreis auf das Blatt vor sich, und schrieb ein kleines M hinein.

"Was stimmt nicht mit dir?", hatte Nino's Mutter ihn heute morgen gefährlich leise gefragt, nachdem sie den ersten Bissen des Frühstücks probiert hatte.
Eine Frage, die er nicht beantworten konnte - auch nachdem klar wurde, dass sie wohl darauf Bezug nahm, dass er an diesem Tag mit Zucker anstelle von Salz gekocht hatte. Zu seinem Glück war sie jedoch zu sehr mit ihrer bevorstehenden Abreise beschäftigt gewesen, um sich weiter mit ihm auseinander zu setzen.
Das verhaute Essen war bei ihm gelandet, und er hatte schnell einen Haufen Schinkenbrote für alle anderen gemacht - dann war es auch schon Zeit gewesen, dass er sich in Richtung Schule auf den Weg machte.

~

Seine Nase begann zu jucken, und er fuhr sich abwesend mit dem Handrücken ein paar mal drüber.
Ein zweiter Kreis gesellte sich zu dem ersten, dieser mit einem schnörkeligen S darin.

"Was stimmt nicht mit dir?" , hatte seine Schwester am Weg zur Schule wissen wollen, und ihn dabei verwirrt angestarrt. Nino hatte sein Essen gesenkt, und verwirrt zurückgestarrt. Wobei, genau genommen... Eigentlich hatte er sie zu diesem Zeitpunkt bereits verwirrt angestarrt. Schon seit sie ihn kurz vorm Stadtrand keuchend eingeholt hatte, lauthals verkündend, dass sie ihn heute begleiten wollte. Nun starrte sie also zurück. Was war noch mal die Frage gewesen?
Nach einer Weile rang er sich zu einem ahnungslosen Schulterzucken durch, stopfte sich eine weitere Gabel gezuckerter Eierspeiß in den Mund und ging weiter.
Trotz seiner eher abweisenden Haltung war Gwen an seiner Seite geblieben, und hatte ihm dann an der Schule angekommen sogar bei seiner heutigen Aufgabe geholfen. Es war ungewohnt gewesen, aber nicht unangenehm. Seine Schwester mochte keine Stille, und hatte daher ohne Punkt und Komma von den Leuten in ihrer Klasse erzählt. Wie nervig Corey nicht war, und wie hübsch Tamara, und dass Corey nie mit wem sprach, und dass sie in der Gruppenarbeit der zickigen Irina zugeteilt wurde, obwohl sie die überhaupt nicht leiden konnte, und gestern war John voll fies zu Corey gewesen, und so weiter. Dieser Corey, wer immer das auch war, war definitiv am öftesten vorgekommen. Ob ihr selbst das wohl aufgefallen war? Naja, es war ihre Sache.
Er hatte es jedenfalls genossen, ihren Ausführungen zu lauschen, während er die nassen, vergammelnden Blätter zusammenkehrte, die sich überall auf dem Schulgelände verteilten. Bei der Menge, die bereits am Boden war, müssten die Bäume eigentlich schon kahl sein, aber auch an den Ästen befand sich Laub noch und nöcher. Gwen hielt die Laubsäcke auf, er kehrte einen Haufen zusammen, sie sprang hinein, er kehrte wieder, sie hielt ihm lachend erneut den Sack hin, und mit etwas Glück bekam er diesen zumindest zur Hälfte voll, bevor sie wieder lossprang. So war es zugegangen, bis die ersten regulären Schüler begonnen hatten einzutreffen. Es war ziemlich chaotisch gewesen, aber schön.

~

Die Erinnerung formte ein Lächeln auf Nino's Gesicht, das jedoch nur von seinem Gegenüber bemerkt wurde, und nicht von ihm selbst.
Er merkte nur, dass sein linkes Auge zu brennen begann, und blinzelte ein paar mal schnell hintereinander, um zu vermeiden, dass sich eine Träne bildete.
Die Reihe wurde mit einem dritten Kreis ergänzt, diesmal mit einem schiefen G versehen.

"Was stimmt nicht mit dir?", hatte er Gemma murmeln hören, als er während der Mittagspause am 'Waldrand' ihres Schulhofes saß, möglichst weit weg von den meisten anderen, die sich entschieden hatten, ihre freie Zeit herausen zu verbringen.
Fragend hatte er den Blick von den letzten Resten eiskalten, ekehalften Eiermatsches gehoben, und suchend umher geschaut. Sie meinte doch nicht etwa ihn?
Er entdeckte sie schließlich hinter einer Gruppe jüngerer Schüler, alleine in der Wiese liegend, mit einem Buch, das sie sich vors Gesicht hielt, ohne wirklich hinein zu sehen. Stattdessen suchte ihr Blick seinen: "Ja, ich meinte dich. Schau nicht so auffällig."
Auffällig? Er runzelte fragend die Stirn, und Gemma verdrehte genervt die Augen. Er brauchte einen Moment um zu realisieren, dass sie anscheinend versuchte, ihrer beider gutes Gehör auszunutzen, um heimlich mit ihm zu sprechen. Mit langsamen, hoffentlich unauffälligen Bewegungen, ließ er seinen Blick über die anderen Schüler schweifen, die sich in ihrer erweiterten Hörweite aufhielten. Er glaubte zwar nicht, unter Beobachtung zu stehen, wollte Gemma aber auch nicht unnötig aufregen, nachdem sie ihn extra gebeten hatte, bedeckt zu bleiben. Tatsächlich, aktuell waren sie die einzigen Wölfe.

Ein Alpha und sein Omega         (Whiskerton #1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt