9 ~ Romero

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Romero ließ sachte die Beine von der Brücke baumeln. Anstelle seinen Blick über die Umrisse der Häuser seiner Stadt am Horizont schweifen zu lassen, hielt er ihn auf den Fluss unter ihm gesenkt. Noch konnte er durch das klare Wasser hindurch die verschiedenen Steine im Flussbett erkennen. Mit dem Einsetzen der Dämmerung jedoch würde das Strudeln unter ihm langsam ein undurchdringliches Schwarz annehmen, und verbergen, was sich in seinem Inneren befand. Ein faszinierendes Schauspiel, das er gerne beobachtete. 

Es erinnerte ihn an die Leute in seinem Leben. Man konnte sie noch so gut zu kennen glauben - am Ende des Tages konnte man sich nie sicher sein, wen man da vor sich hatte. Wie sehr Menschen sich doch ändern  konnten, sobald man einander in einem anderen Licht sah. 

Besonders stark hatte er das an jenem Tag zu spüren bekommen, als er seinen Alpharang erhalten hatte. Der Verlust seines Bruders schmerzte ihn heute wie damals am meisten.  

Und bald würde wieder eine ähnlich große Veränderung anstehen. Der Geburtstag, an dem sich das Geheimnis zu seinem Gefährten lüften könnte. Ab dann hätte er endlich die Chance die eine Person zu finden, der er endlich rückhaltlos vertrauen konnte. Die an seiner Seite bleiben würde, egal, was das Leben ihnen entgegen zu werfen hatte.
Es sei denn, das war auch alles nur eine groß angelegte Täuschung - ein Mythos, am Leben erhalten von den Großen seiner Art. Vielleicht würde er auch seinen Gefährten nie wirklich kennen. Wenn er ihn den überhaupt jemals kennen lernte. Und wenn, was würden seine Familie und Freunde von seinem Gegenstück halten? Würde das Rudel ihn akzeptieren? Offiziell konnte niemand gegen eine Gefährtenbindung Einspruch erheben, aber das war nicht der einzige Weg, jemanden seine Ablehnung spüren zu lassen. Die kleinen Gesten des Alltags hatten seiner Erfahrung nach viel Macht. Was, wenn sich wieder Leute von ihm abwandten, die ihm wichtig waren? Er war sich nicht sicher, ob er das noch einmal ertragen könnte. 

Während Romero also auf dieser Brücke saß, und immer tiefer in seiner negativen Gedankenspirale versank, fiel ihm gar nicht auf, dass jemand fröhlich pfeifend auf einem knallgelben Fahrrad am Weg, der am Fluss entlang aus der Stadt heraus führt, auf ihn zu gestrampelt kam. Erst als Rem sich schwungvoll neben ihm zu Boden fallen ließ, und dabei ächzte als hätte er furchtbaren Muskelkater, riss es ihn zurück ins Hier und Jetzt. 


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Etwas später lagen die beiden Freunde nebeneinander auf den Bohlen der Brücke, und reckten die mit dem versprochenen Kuchen vollgestopften Bäuche in Richtung des Sternenhimmels über ihnen. 

"Rem?"         "Hm?" 
"Erinnerst du dich noch an Marie-Sophie? Ich hab dir doch von ihr erzählt."
"Die Jugendfreundin deiner Mutter, die vor 'nem Jahrzehnt oder so nach Toronto gezogen ist?"
"Genau die."  
"Was is mit der? Is sie tot? Oder kommt sie auf Besuch?"
"Was!? Nein, weder noch. Wieso sollte sie tot sein."

"Was weiß ich, Mann. Erstochen. Autounfall. Von 'nem Bären gefressen. Gibt viele Möglichkeiten."
"Alter, lass es."

"Ich mein ja nur, wenn man so drüber nachdenkt, ist es eher verwunderlich, wenn sie noch lebt." "Rem!"         "Schon gut, ich lass es." 


Eine Weile versanken sie in genervtem Schweigen, während jeder seinen eigenen Gedanken nachhing.

"Hey, Rom."
"Was willst du denn noch?"
"Was is jetzt mit Marie-Sophie? Wenn sie nicht herkommt, und nicht ... - naja, was wolltest du erzählen?" 

Kurz überlegte Romero noch, ob er einfach weiterhin eingeschnappt schweigen sollte, aber das brachte er nicht über sich. Rem hatte es nicht verdient, dass er seinen Stress an ihm ausließ, und außerdem wollte er es ihm ja erzählen. 

Ein Alpha und sein Omega         (Whiskerton #1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt