17 ~ Romero

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Noch 11 Tage bis zu unserem Geburtstag - 2.Oktober (Montag)

Heute ist der zweite Tag, an dem Andrino und ich in unser Waldhaus eingesperrt werden. Gestern haben wir unsere Sachen gepackt, und sind hierher gefahren. Heute ist also der erste wirkliche Tag in Gefangenschaft.


Kritisch beäugte Romero die wenigen Worte, die er gerade in sein altes Notizbuch gekritzelt hatte. Nein, so konnte er das nicht schreiben. Selbst wenn es außer ihm niemals jemand lesen sollte, das war ein bisschen zu harsch. Mit dem kleinen, schmierenden Radiergummi am hinteren Ende seines Bleistiftes radierte er etwas herum, und ersetzte ein paar Worte:

Noch 11 Tage bis zu unserem Geburtstag - 2. Oktober (Montag)

Heute ist der zweite Tag,      den  Andrino und ich im Waldhaus der Familie verbringen.       Gestern haben wir unsere Sachen gepackt, und sind hierher gefahren. Heute ist also der erste wirkliche Tag unseres Sabbaticals.


Sabbatical. Ein schreckliches Modewort - aber ihrer Mutter gefiel es. Half ihr wahrscheinlich dabei, diese verrückte Aktion vor den anderen Müttern zu rechtfertigen. Denn, welch Überraschung: Als sie begonnen hatte, ihr beiden Kinder jeden Oktober von der öffentlichen Schule zu nehmen, und für einen Monat mit ihnen Heimunterricht in ihrer luxuriösen "Jagdhütte" abzuhalten, waren die meisten menschlichen Familien ihrer Stadthälfte, die jene Möglichkeit nicht hatten, sehr empört. Romero schmunzelte, empört war ja noch nett ausgedrückt. Angetrieben durch die alten Erinnerungen blätterte er zurück zu den Einträgen aus diesen Tagen, die hauptsächlich aus Kritzeleien von Mistgabeln und Fackeln bestanden. Nicht, dass er ein künstlerisches Talent hatte, aber soweit war es noch zu erkennen.
Vorsichtig steckte er sich den Blei hinters Ohr, und fuhr mit den Fingern die alten Striche nach. Früher hatte er immer Heugabeln und Fackeln gesagt, und das auch so darunter geschrieben. Bis zu dem einen Tag, kurz vor ihrem Geburtstag damals, als Dino das Heft in seine Finger bekommen hatte. Romero hatte sich Sorgen gemacht, dass sein Bruder ihn dafür aufziehen würde, dass er in seinem Alter noch so eine Art Tagebuch schrieb, auch wenn es das Jagdhaus nie verließ, also quasi nicht zu seinem regulären Leben gehörte.
Diese Sorge war jedoch unbegründet gewesen. Die einzigen Vorhaltungen, die er bekam, waren darüber, dass man nur hinter Leuten herjagte, die man nicht leiden konnte. Entsprechend würde jeder, der noch alle Tassen im Schrank hatte, dafür zu seiner MISTgabel greifen, nicht zur Heugabel.
Grinsend sah er auf die letzte Zeichnung aus diesem Jahr herab - die einzige, die von seinem Bruder war: an der Gabel hing noch der halbe Misthaufen dran.

Das mentale Erinnerungsalbum zuschlagend blätterte Romero zurüch zu seiner aktuellen Seite, und überlegte, ob es noch etwas gab, das er notieren könnte.
In diesem Moment vibirierte sein Handy, das er in der Mitte seines Zimmers am Boden liegen lassen hatte, mehrmals schnell hintereinander. Das konnte nur bedeuten, dass Rem unten vor der Tür stand, um ihnen das erste Lernpaket hinterher zu werfen, das die Schule ihnen zusammenschürte. Ihre Lehrer gönnten ihnen wirklich keinen einzigen Tag Pause. Warum sollten sie auch. Und zumindest hatte er damit etwas zu tun, um seine Gedanken abzulenken.

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Noch 7 Tage bis zu unserem Geburtstag - 6. Oktober (Freitag)

Eine Woche. Heute in einer Woche ist es soweit.
Heute kommt Rem wieder her, mit neuen Aufgaben. Es nervt mich mittlerweile, dass er uns nur jeden zweiten Tag Unterlagen vorbei bringt, aber wir können auch nicht von ihm verlangen, jeden Tag mit dem Rad zu unserer Hütte zu fahren, nur weil mir langweilig ist. Das sind schließlich fast zwei Stunden pro Strecke. Er würd am liebsten nur einmal pro Woche kommen, also sollte ich dankbar für sein Bemühen sein.
Also bleibt mir nur übrig, an den Projekten für Herrn Windur zu arbeiten. Rem wird nicht mehr viel zu tun haben, außer sie am Ende einmal durchzulesen.

Ein Alpha und sein Omega         (Whiskerton #1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt