7 ~ Romero

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Romero überquert den Hauptplatz, und hält auf das Gebäude der Stadtbücherei zu. Es gehört zu den älteren Häusern in der Innenstadt, und wurde vor zwei Jahren renoviert. Früher gab es nur die Treppe an der linken Seite der Vorderfront, aber seither führt auch noch eine gemauerte Rampe von der rechten Seite her zum Eingangstor. Da er sich von rechts näherte, hielt er auf die Rampe zu. Im Hinaufgehen lies er seinen Blick über die Hauswand neben ihm schweifen. In unregelmäßigen Abständen waren dort Infotafeln angebracht, damit man am Weg in den Tempel des Wissens - wie die Angestellten ihren Arbeitsplatz gerne nannten - bereits ein bisschen was über die Geschichte der Stadt lernen konnte. Bei seiner Lieblingstafel wollte er noch mal kurz stehen bleiben, weil sie ihm immer ein kleines Schmunzeln entlocken konnte. Er fing an zu lesen: 

Woher kommt der Name Whiskerton?
In der Stadtgründungsurkunde steht als Name noch "Whisker Town", also Stadt der Schnurrhaare - mit den Jahren hat der Volksmund dann Whiskerton daraus gemacht hat. Auch wenn die Gründe dafür nicht näher ausgeführt werden, gehen die Stadthistoriker davon aus, dass es an den vielen Katzen lag, die damals hier in den Straßen und Gassen gewohnt haben. Vor der Flussregulation, den neuen Siedlerwellen, und der Einführung der Fischereilizenzen wurde hier nämlich so viel gefischt, dass für die kleinen Tiger mehr als genug Reste zusammen kamen, und sie gut davon leben konnten. Heute finden viele diese Vorstellung recht süß, aber in den zeitgenössischen Quellen beschweren sich viele Leute über den Gestank und den Krach, den die Katzen verursacht haben, und meinen es würde schon bald zur untragbaren Plage werden.

Oh, das war sie nicht. Romero schüttelte den Kopf über sich selbst. Jetzt fand er nicht mal mehr seine Tafel. Die anstehende Sitzung machte ihm anscheinend doch mehr zu schaffen, als er es sich eingestehen wollte. Normalerweise versuchte er eher sich möglichst konfrontationsfrei durch diese Treffen zu mogeln, aber heute würde er sich zur Abwechslung mal so richtig aus seiner Komfortzone wagen müssen. 
Rems ältere Schwester hatte sich für ihre absolute Traumstelle in einem Bistro beworben. Vonseiten der Familie gab es zwar ein wenig Gegenwind - schließlich waren sie backende Werwölfe und ihre Kleine wollte in ein veganes Bistro - aber spätestens seit sie sich innerhalb kürzester Zeit gegen alle Mitbewerber durchsetzen hatte können, platzten sie vor Stolz. 
Das einzige Problem an der Geschichte: das Bistro lag in West-Town, sie würde also im Territorium des anderen Rudels der Stadt arbeiten. Als Mitglied des Whisk-East Rudels bräuchte sie dafür also eine spezielle Genehmigung des Kerton-West Rudels. Da Carina zur jungen Generation des Rudels gehörte, hatte sein Vater bestimmt, dass er den Antrag durchbringen musste. Es gab zwar an sich keinen Grund, eine Ablehnung zu erwarten, aber er war trotzdem total nervös. Er durfte es einfach nicht vermasseln, schon allein wegen Rem. Und noch weniger durfte er sich in irgendeiner Hinsicht vor dem anderen Rudel oder gar seinem Vater blamieren. 

Während er so darüber nachdachte, war er ein wenig weiter gegangen, zum richtigen Schild: 

Was ist mit den Katzen geschehen? 
Hatten die Einwohner genug von den vielen hungrigen Katzen und Katern in ihren Straßen, und haben sie verjagt? Haben die Leute vermehrt die armen Tiere von den Straßen in ihre Häuser geholt und sterilisieren lassen, wodurch die Population mit den Jahren geschrumpft ist? Sind die Katzen von alleine weitergezogen, als die Fischerei, und damit auch ihre Hauptnahrungsquelle, zurückging? So genau werden wir das wohl nie wissen, aber vermutlich war es eine Kombination aus diesen und anderen Gründen. Was ist dein Lieblingsgrund? Hast du vielleicht eine neue Idee? 

Romero ließ den Kopf hängen. Sonst konnte ihn das immer aufmuntern. Schließlich wusste er im Gegensatz zu all den Menschen sehr wohl, dass es alleine die Ankunft der alten Werwölfe gewesen war, die die Katzen verjagt hatte. Da konnten sie so lange rätseln, wie sie wollten, sie würden nie drauf kommen. Aber heute klappte nicht mal das. Bevor er sich weiter vor etwas drücken konnte, das noch nicht einmal mit der Versammlung zu tun hatte, atmete er einmal resolut ein und aus, straffte sich und ging die restlichen Meter zum Tor.

Ein Alpha und sein Omega         (Whiskerton #1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt