15 ~ Romero

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Frei.

Romero fühlte sich frei.
Befreit und glücklich.
Als würde er mit seinem Rudel ungezügelt durch den Wald toben, und Kaninchen jagen.

Was absolut keinen Sinn ergab, da er seit mindestens drei Stunden mit seinem Onkel, seiner Tante, seinem Bruder und mörderischen Kopfschmerzen in einem unerträglich aufgeheiztem Auto mit kaputter Klimaanlage festsaß. Da halfen auch die offenen Fenster nicht mehr.
Seit Ewigkeiten fühlte er sich eingeengt, dehydriert und generell einfach mies. Dieser plötzliche Stimmungsumschwung machte absolut keinen Sinn. Und dennoch - wenn er die Augen schloss, meinte er in der abgestandenen Luft des warmen Fahrtwindes die Blätter eines Waldes rascheln zu hören, sowie das Plätschern eines kleines Rinnsales und einmal sogar das überraschte Bellen eines Wolfes.
Er musste an Sauerstoffmangel leiden, oder hatte einen Hitzschlag bekommen, irgendwas in die Richtung. Anders konnte er es sich nicht erklären.

Als sie an einem Schild vorbeirollten, das Autofahrer darüber informierte, was die Raststätte bei der nächsten Ausfahrt alles zu bieten hatte, hielt er es nicht länger aus, und warf ein "Wie wäre es, wenn wir da mal kurz Pause machen würden?", in den Raum.
Augenblicklich konnte er sehen, wie sich die Schultern seiner Tante vor ihm hoffnungsvoll ein wenig hoben, bei der Aussicht, dass sie seinem Vorschlag tatsächlich folgen würden. Aber natürlich stimmte sie ihm nicht wörtlich zu, sondern sah nur abwartend zu ihrem Mann hinüber. Wie immer, würde sie sich unabhängig von ihren eigenen Wünschen nach seiner Entscheidung richten.

Der Alte machte sich nicht einmal die Mühe, eine Antwort darauf zu formulieren, oder ihn auch nur anzusehen. Einzig das abschätzige, herablassende Schnauben, dass er von sich gab, verkündete seine Absicht, nicht auf den gemachten Vorschlag einzugehen.
Enttäuscht sank Tante lse zurück in ihren Sitz, und lehnte den Kopf gegen ihr Fenster. Für ihre Verhältnisse war das bereits überdeutlich zur Schau gestelltes Missfallen an der Situation, aber das machte es kein bisschen hilfreicher.

Noch hatte er jedoch nicht ganz aufgegeben. Noch waren sie an der Ausfahrt nicht vorbei gefahren.
Hilfe suchend warf er einen kurzen Seitenblick zu seinem Bruder hinüber. Solange er ihn nicht offensichtlich um Unterstützung bat, konnte Andrino ihren Onkel mit seiner ähnlichen ruppig-befehlenden Art oft überzeugen bei Dingen zuzustimmen, mit denen er Romero bereits hatte auflaufen lassen. Bei Angelegenheiten, die auch zu dessen eigenem Vorteil waren, konnte er sich normalerweise auch im Streit auf ihn verlassen. Auch wenn er es hasste, immer noch von dem Idiot abhängig zu sein, hasste er es im Augenblick noch mehr, in diesem Auto gefangen zu sein, während sein Wolf nach Freiheit schrie.

Vor seinem Fenster zog das nächste Hinweisschild vorbei, der Abstand zur Ausfahrt wurde immer kleiner. Wieso sagte Dino denn nichts?
Nachdem er sicher war, dass die beiden vorne ihnen keine weitere Aufmerksamkeit schenkten, sah er noch einmal nach links, diesmal ein wenig länger. Der andere saß von ihm weg gedreht, mit dem Gesicht an der Scheibe lehnend, und rührte sich nicht. Leicht irritiert runzelte Romero die Stirn. Klar, auf diesen Reisen wurde nie viel gesprochen, aber dennoch schaffte Andrino es ungewöhnlich still und teilnahmslos zu wirken.
Leise und langsam trat er ihm gegens Bein, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen - doch als sein Bruder ihm daraufhin das Gesicht zuwandte, schrak er zurück. Sein Gegenüber sah schrecklich aus: ganz bleich und verschwitzt starrte er aus weit aufgerissenen Augen quasi durch ihn hindurch, die Lippen so verkrampft zusammengepresst, als müsste er sich jeden Moment übergeben.

Was ein Mist, sie mussten aus diesem Wagen heraus! Nur wie, ohne Andrino vor ihrem Onkel bloßzustellen. Bei aller Bevorzugung, auch dem anderen wurden strenge Grenzen und Regeln auferlegt. So wurden ja auch ihre Vorväter erzogen, also sollte es auch ihren Weg formen, und so weiter. Verdammter, altmodischer Trottel. 

Ein Alpha und sein Omega         (Whiskerton #1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt