Bevor ich irgendwie hätte reagieren können, standen mein Bruder und ein weiter Mann in unserer Küche. Meine Augen wurden groß und ich schreckte hoch. Bis eben hatte ich auf dem kleinen Sofa in unsere Küche gelegen, mit dem Kopf auf Samuels Schoß, die Beine über die Armlehne gewinkelt.
Anstatt mich zu begrüßen, starrte John feindselig zu Samuel, der seinen Blick leicht überfordert erwiderte.
„Was machst du denn hier?"
„Wer ist das?", fragte mein Bruder mit tiefer Stimme, ohne auf meine Frage einzugehen oder den Blick von Samuel abzuwenden.
Die darauf folgende Stille schien nicht enden zu wollen.
„Du musst Jara sein. Hi, ich bin Raf.", versuchte der andere Mann die Situation zu retten und hielt mir freundlich die Hand entgegen.
Ich kannte ihn bis jetzt nur von Fotos, aber hatte ihn noch nie persönlich kennengelernt. John hatte mir eine Unmenge über ihn erzählt, denn Raf spielte in seinem Leben eine große Rolle. Auf freundschaftlicher sowie auf musikalischer Ebene.
„Ja, hi.", erwiderte ich seine Begrüßung etwas unbeholfen und schielte wieder zu meinem Bruder.
„John, das ist Samuel, mein Freund."
Johns Augen schellten zu mir und seine Miene spiegelte Überraschung, Verwirrung und so etwas wie Wut zugleich wider.
„Dein was? Seit wann das denn?"
Ja gut. Ich hätte John von ihm erzählen sollen, schon klar. Keine Ahnung, warum ich das nicht getan hatte. Wir hatten uns im Februar das letzte Mal persönlich gesehen, seitdem war ich nicht mehr in Hamburg gewesen. Zu dem Zeitpunkt gab es allerdings noch nichts zu erzählen. Am Telefon hatte ich nie den richtigen Moment gefunden und irgendwie hatte ich auch etwas bammel vor seiner Reaktion. Nicht zu Unrecht, wie sich gerade herausstellte.
„Jara!", brummte John und starrte nun mich mit diesem Blick an. Schnell schaute ich weg und rückte etwas näher an Samuel.
„März.", nuschelte ich mit hoher Stimme in meinen nicht vorhandenen Bart.
„März? Dein Ernst? Seit März? Und warum weiß ich davon nichts? Wir haben Juli!"
Yassin und Dilan verfolgten das Schauspiel schweigend und auch Raf schien nicht recht zu wissen, was er von all dem halten sollte.
„Bruder, entspann dich. Deine Schwester ist alt genug. Und jetzt begrüß sie wenigstens mal richtig."
Während Raf sich mit den anderen bekannt machte, stand ich auf und ging auf John zu. Vielleicht würde eine Umarmung ihn etwas besänftigen, immerhin hatten wir uns schon eine ganze Zeit nicht mehr gesehen.
Mit einem leisen „Darüber reden wir noch, junge Dame." zog er mich in seine Arme und drückte mich feste an sich. Sein typischer Geruch, der mir mittlerweile so vertraut war, stieg mir sofort in die Nase und beruhigte mich unweigerlich.
„Tut mir leid John. Ich erklär dir das noch alles, versprochen."
Nachdem wir unsere Umarmung gelöst hatten, stellte John sich auch den andern vor. Sogar Samuel reichte er die Hand und versuchte sich sichtlich zusammenzureißen.
Yassin holte schnell noch zwei Stühle und wir rückten etwas zusammen.
„Was macht ihr überhaupt hier?", wiederholte ich schließlich die Frage, auf die ich immer noch keine Antwort bekommen hatte.
„Wir waren in Wien und sind jetzt auf dem Weg nach Berlin. Dachten halt, wir könnten hier in Frankfurt mal vorbei fahren und dich besuchen."
„Um die Uhrzeit? Hättest du nicht wenigstens Bescheid sagen können?"
„Du hast doch eh frei." John nippte an seinem Bier und lehnte sich etwas mehr in seinem Stuhl zurück.
Unser WG-Kater Adorno war in der Zwischenzeit aus seinem Schönheitsschlaf erwacht und hatte es sich auf Johns Schoß gemütlich gemacht. Mit seiner riesigen Hand kraulte er den Kater und hatte vermutlich schon jetzt sein kleines Katerherz gewonnen.
„Ich muss morgen arbeiten. Wir alle übrigens."
„Du hast doch Urlaub.", warf mein Bruder unbeeindruckt ein.
„Aber erst übermorgen."
Mittlerweile war es kurz vor 2 Uhr. Für gewöhnlich war ich um diese Uhrzeit längst im Bett, wenn ich am nächsten Tag arbeiten musste. Zudem morgen einiges anstand und ich bereits jetzt wusste, dass der Dienst anstrengend werden würde.
„War ja auch spontan. Bock, mit nach Berlin und dann nach Hamburg zu kommen übers Wochenende?"
„Jooohn, ich muss morgen arbeiten. Immer noch."
„Nach der Arbeit halt."
Raf versuchte sich ein belustigtes Grinsen zu verkneifen. Sein Blick huschte immer wieder amüsiert zwischen meinem Bruder und mir hin und her.
„Leute, ich geh mal pennen. In vier Stunden klingelt mein Wecker schon wieder.", verkündete Dilan und stand auf.
„Ich muss auch mal langsam los. Ich muss morgen um 8 Uhr in Darmstadt sein.", schloss sich mein Freund an.
Yassin blieb bei den beiden Männern sitzen, während Dilan ins Bad ging und ich Samuel zur Tür brachte. Unbeobachtet von den Männern, vor allem von meinem Bruder, schmiegte ich mich an Samuel und hauchte ihm sanft einen Kuss auf die Lippen. Er erwiderte den Kuss und zog mich noch näher zu sich.
„Tut mir leid, dass mein Bruder so übertrieben hat.", hauchte ich ihm entschuldigend zu, als wir uns voneinander gelöst hatten.
„Schon in Ordnung. War ja eigentlich nicht anders zu erwarten. Immerhin hast du mich vorgewarnt, wer dein Bruder ist."
Das stimmte. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die wussten, wer mein Bruder und seine Freunde waren. Ich hatte es Samuel erzählt, da ich ihm wirklich vertraute und keine Geheimnisse vor ihm haben wollte. Da Samuel genauso wenig Deutschrap hörte, wie ich, war er nicht sonderlich beeindruckt von der Tatsache, dass mein Bruder nicht nur John, sondern eben auch Bonez MC war.
„Ich bin morgen den ganzen Tag in Darmstadt. Rufst du mich an, falls du wirklich mit nach Hamburg fährst?"
Ich nickte und drückte ihm erneut einen Kuss auf die Lippen.
„Mache ich. Komm gut heim."
Samuel lächelte und ich wusste sofort wieder, warum ich mich in ihn verliebt hatte. Seine braun-grünen Augen strahlten eine unglaubliche Wärme aus und sein Lächeln brachte mich jedes Mal auch zum Lächeln. Seine hellbraunen, leicht gelockten Haare waren an den Seiten kürzer, oben etwas länger und fielen ihm meist etwas ins Gesicht. Ich liebte es, mit meinen Händen durch seine Haare zu fahren. Samuel war etwa 1,85 Meter groß und hatte eine eher schmale, aber trotzdem unglaublich sportliche Figur. Neben meinem Bruder wirkte er fast klein, im Vergleich zu mir war er aber immer noch groß und ich konnte mich wunderbar in seine Arme schmiegen.
„Schlaf gut, Süße."
„Du auch." Mit einem verliebten Lächeln schaute ich ihm hinterher, bis er auf der Treppe nicht mehr zu sehen war.
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Hey Brother (Bonez MC)
Fanfiction(Fortsetzung von „Long Long Way") „Reg dich nicht auf Jari, du hast jetzt ja ein paar Tage frei und kannst dich erholen." „Oder mit uns Party machen." Ein blonder Lockenkopf schob sich in mein Sichtfeld. Ihn und Raf hatte ich fast ausgeblendet. „Was...