„Na, vermisst du uns schon?", begrüßte mich mein Bruder am Telefon und ich konnte das Grinsen in seiner Stimme deutlich hören.
Um ihn herum war es laut und ich war mir fast sicher, dass er gerade unterwegs war.
„John? Hast du kurz Zeit? Wenn nicht, rufe ich später noch mal an."
„Was ist los? Ist was passiert?" Seine Stimme klang jetzt ernst und ich konnte hören, wie er sich von den Stimmen im Hintergrund entfernte.
„Versprichst du mir, dass du ruhig bleibst? Egal, was ich gleich erzähle?"
„Rück schon raus mit der Sprache."
„John!"
„Jaja, versprochen. Also?"
„Ich hatte gestern einen Unfall mit dem Fahrrad und bin im Krankenhaus. Mir..."
„WAS? Geht's dir gut? Bist du verletzt? Soll ich kommen? Sag was!"
Jetzt war er völlig panisch und seine Stimme überschlug sich. So viel zum Thema ruhig bleiben.
„Mir geht's einigermaßen, solange ich mich nicht bewege. Ich hatte eine Gehirnerschütterung, hab einen gebrochenen Arm, eine gebrochene Rippe und ein paar Prellungen. Ich bin erst vorhin aufgewacht, darf morgen aber wahrscheinlich wieder nach Hause. An den Unfall erinnere ich mich eigentlich gar nicht. Ich habe ziemliche Schmerzen und kann meinen rechten Arm und meine rechte Hand nur noch eingeschränkt benutzen. Aber ich bin trotzdem gut weggekommen, meinte die Ärztin. Es hätte wesentlich schlimmer ausgehen können."
John war einen Moment still, dann konnte ich ihn leise mit einer anderen Person reden hören.
„Hör zu. Du rührst dich nicht von der Stelle. Ich bin so schnell es geht da. Hab dich lieb."
Dann legte er einfach auf. Verwirrt nahm ich das Handy vom Ohr. So war das eigentlich nicht geplant.
„Alles in Ordnung?", hakte Samuel nach, als er meinen irritierten Blick sah.
„Ähm, ich habe die Vermutung, dass mein Bruder heute Abend hier auftaucht. Er hat einfach aufgelegt."
„Er weiß doch gar nicht, in welchem Krankenhaus du bist. Oder?"
Yassin hatte Recht. Darüber hatten wir nicht gesprochen.
„Vielleicht meldet er sich ja noch mal."
Was ich in dem Moment nicht bedachte, war die Tatsache, dass ich kein Handy mehr hatte und mein Bruder mich somit nicht erreichen konnte.
Nach dem Mittagessen, von dem ich nur wenige Bissen runterbekam, wurden mir weitere Schmerzmittel verabreicht. Ich spürte, wie ich immer müder wurde und irgendwann einfach wegdämmerte.
Als ich das nächste Mal wach wurde, saß Dilan an meinem Bett.
„Hey.", krächzte ich, was sie von ihrem Handy aufschauen ließ.
„Hey.", lächelte sie. „Hab gehört, dir geht es wieder etwas besser?"
Sie erzählte mir, dass sie die Jungs heim geschickt hatte und seit etwa einer Stunde hier war. Es war später Nachmittag, also hatte ich doch ein paar Stunden geschlafen. Wir unterhielten uns eine ganze Weile, bis wir von Dilans Handy unterbrochen wurden.
„Yassin.", meinte sie und ging schulterzuckend ran.
Obwohl Dilan nicht mit Lautsprecher telefonierte, konnte ich Yassins Stimme deutlich hören.
„Ich sag's mal so. Jaras Bruder und GZUZ sitzen in unserer WG-Küche. Sag Jara mal, dass es so langsam seltsam wird, wenn hier jede Woche Deutschrapper zu Besuch kommen. Die beiden wollen noch mal ins Krankenhaus. Ist Jara wach?"
„Ja, ist sie. Ich geb sie dir mal."
Sie reichte mir ihr Handy, was mir, dank des Gipses, erst mal aus der Hand glitt.
„Das ist doch scheiße.", maulte ich rum und versuchte mit links das Handy an mein Ohr zu halten.
Vorhin hatte es doch auch geklappt, warum stellte sich meine linke Hand jetzt so unfähig an?
„Alles okay?", fragte Yassin direkt nach.
„Ja, egal. Ich bin wach und von mir aus können die beiden noch mal kommen."
„Okay, richte ich aus."
Etwa 20 Minuten später traten die beiden Männer in das Zimmer ein. Dilan verabschiedete sich, da sie mir Zeit mit den beiden geben wollte. All zu viel von der Besuchszeit blieb uns für heute nicht mehr übrig.
„Was machst du denn für Sachen?"
John wusste nicht so recht, wie er mich begrüßen sollte. Ich hätte ihn gerne umarmt, doch ich traute mich kaum, meinen Oberkörper zu bewegen. So vorsichtig, wie er nur konnte, legte er einen Arm um mich und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Jonas nahm einfach nur meine linke Hand in seine und lächelte mir aufmunternd zu. So ernst hatte ich ihn selten zuvor gesehen.
„Soll ich euch alleine lassen?", fragte er rücksichtsvoll.
„Nein, bleib bitte."
Das ließ er sich nicht zwei Mal sagen. Wie schon all meine anderen Besucher, zogen sich die beiden Männer die Stühle an mein Bett. Meine Zimmernachbarinnen hatten heute Mittag auch jeweils ihre Familien zu Besuch gehabt. Jetzt saßen allerdings nur noch mein Bruder und Jonas mit uns im Zimmer.
„Ihr hättet nicht extra herfahren müssen. Ich komme doch morgen schon wieder raus."
Mein Bruder musterte mich einen Augenblick. Auch er sah ungewohnt ernst aus.
„Ich konnte nie für dich da sein, bei keiner noch so kleinen Verletzung. Jetzt liegst du im Krankenhaus. Da ist es doch das Mindeste, dass wir das zusammen durchstehen."
Auch Jonas nickte.
„So macht man das für die Familie."
Es rührte mich und ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen.
„Nenene, hier werden jetzt keine Tränen vergossen. Wir wollten dich doch aufmuntern."
Aus einer Tüte zog Jonas ein etwa 50cm großes Plüschkrümelmonster hervor, bei dessen Anblick ich schon wieder kichern musste, nur um im selben Moment wieder das Gesicht zu verziehen.
„Aua, ich darf nicht lachen. Das tut weh."
„Hier. Ein kleines Krümelmonster für das große Krümelmonster."
Stolz überreichte er mir das blaue Plüschtier, das ich lächelnd entgegennahm.
Bei einer unserer vielen gemeinsamen Fahrten durch Hamburg, hatte ich es geschafft, meine offene Cookiepackung falsch herum zu halten und so, aus Versehen, das halbe Auto voll zu krümeln. Jonas hatte sein Auto zu diesem Zeitpunkt gerade erst frisch gewaschen und ausgesaugt. Es war einer der wenigen Momente, in denen ich ihm durchaus zugetraut hätte, komplett an die Decke zu gehen. Selbst Maxwell, der mit uns im Auto saß, hatte kurz die Luft angehalten. Jonas schluckte seinen Ärger jedoch runter und ich musste ihm lediglich versprechen, dass ich nie wieder krümelige Sachen in seinem Auto aß. Das Versprechen hatte keine zwei Tage gehalten, aber heute konnte er drüber lachen und zog mich sogar damit auf.
„Danke!", hauchte ich gerührt und musste mich wirklich zusammenreißen, nicht in Tränen auszubrechen.
„Magst du noch mal erzählen, was überhaupt passiert ist?" Gespannt schaute mich mein Bruder an.
Er saß zu meiner rechten und hatte meine Finger vorsichtig in seine Hand genommen. Ich nickte und begann zum wiederholten Mal an diesem Tag wiederzugeben, an was ich mich erinnern konnte.
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Hey Brother (Bonez MC)
Fanfiction(Fortsetzung von „Long Long Way") „Reg dich nicht auf Jari, du hast jetzt ja ein paar Tage frei und kannst dich erholen." „Oder mit uns Party machen." Ein blonder Lockenkopf schob sich in mein Sichtfeld. Ihn und Raf hatte ich fast ausgeblendet. „Was...