11.

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„Boah, Skittlez, entspann dich mal.", raunte ich dem völlig überdrehten Vierbeiner zu.

Dieser sprang gerade fröhlich um mich und meinen Bruder und war sichtlich erfreut darüber, sein Herrchen wieder zu sehen. Wir hatten ihn gerade bei Frost abgeholt und wollten nun eine kleine Runde mit ihm spazieren gehen.

Es war Vormittag, also blieb noch genug Zeit bis zu den Konzertvorbereitungen am Mittag. Ich hatte in den frühen Morgenstunden tatsächlich noch ein wenig Schlaf abbekommen und fühlte mich relativ fit.

„Jetzt erzähl mal."

Verwirrt schaute ich zu meinem Bruder.

„Na, wegen dir und diesem Samuel."

Ich nickte zu einer Holzbank, auf die wir uns setzten. Skittlez tobte sich auf der Wiese vor uns aus. Es waren nur John und ich. Raf war mit Jonas unterwegs.

„Was willst du denn wissen?"

„Alles natürlich."

„Okay. Samuel und ich kennen uns eigentlich schon so seit der 10. Klasse. Er war auf einer anderen Schule als ich, aber wir haben uns immer wieder auf Partys oder größeren Geburtstagfeiern getroffen. Wir hatten auch gemeinsame Freunde, wie es in der Schule halt so ist. In der Oberstufe kam dann schnell die Zeit der Abipartys."

Bei den Gedanken an die teilweise völlig eskalierten Partys musste ich schmunzeln. Abipartys wurden vom jeweiligen Abijahrgang organisiert, um Geld für den Abiball dazu zu verdienen. Die Partys liefen zwar offiziell über die Schule, fanden aber oftmals in anderen Locations statt. Die Lehrer und Lehrerinnen, die den Abend ‚beaufsichtigten', feierten meist einfach mit uns älteren Schülern mit. Einige dieser Abende waren komplett aus dem Ruder gelaufen.

„Wir haben uns auf sämtlichen Abipartys getroffen, die es bei uns in der Stadt gab. Der Eintritt war billig, alle waren da und es gab viel Alkohol für wenig Geld. Das war eine heftige Zeit. Nach der Schule haben Samuel und ich uns aus den Augen verloren. Ab und an hat man sich zwar noch mal gesehen, aber es war einfach nicht mehr so, wie zu Schulzeiten. Jetzt im Februar haben wir uns zufällig wieder in einer Kneipe in Frankfurt getroffen. Und dann kam halt nach und nach eins zum anderen. Wir haben uns ein paar Mal getroffen und sind seit Anfang März zusammen. Er hängt oft bei uns in der WG rum. Die anderen kennen ihn auch noch von früher und verstehen sich super mit ihm. Samuel studiert in Frankfurt Sportwissenschaften, ist ab und an deswegen auch beruflich in Darmstadt, wohnt aber immer noch in Offenbach. Deswegen war ich in den letzten Wochen auch wieder oft dort."

„Er ist gut zu dir?"

„John. Samuel könnte keiner Fliege was zu leide tun. Er kann sich wehren, falls es nötig ist, klar. Samuel macht unglaublich viel Sport, aber er ist niemand, der Gewalt einsetzt, falls du das meinst. Er hat mit der Straße nichts zu tun und hängt auch nicht in krummen Dingen drinnen."

„Also doch ein Schnösel."

„Man John, lass das!"

Mein Bruder hatte seinen Blick abwesend auf Skittlez gerichtet.

„Er tut mir gut, das ist doch die Hauptsache, oder? Er ist ein guter Mensch, behandelt alle um sich herum mit Respekt, setzt sich für andere ein. Ich liebe ihn wirklich. Vielleicht kannst du das irgendwann akzeptieren."

„Warum hast du mir nichts erzählt? Dachtest du, ich raste aus, oder was?"

Ich schwieg ein paar Sekunden, weil ich darauf nicht wirklich eine passende Antwort parat hatte.

„Keine Ahnung. Aber du hast ja nicht gerade begeistert reagiert und deine Blicke habe ich sehr wohl wahrgenommen. Vielleicht hatte ich einfach keine Lust auf so ein Gespräch am Telefon."

John reckte seinen Kopf nach hinten und wandte sich mir zu.

„Ich war einfach nicht darauf vorbereitet, okay? Und dann liegst du da an einen Typen gekuschelt, den ich nicht mal kenne. Hätte ich es vorher gewusst, hätte ich safe anders regiert."

Vielleicht hatte er recht.

„Ist ja gut. Können wir es einfach dabei belassen? Du kennst ihn ja jetzt."

„Der wird mich schon noch richtig kennenlernen."

Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute ich den großen Blonden neben mir an und hoffte inständig, dass er das nur so gesagt hatte.


Die Anspannung zwischen mir und John fiel nach unserem Gespräch deutlich ab und wir konnten endlich wieder herumwitzeln, wie sonst auch immer. Wir liefen immernoch durch den Park, waren aber eigentlich schon wieder auf dem Heimweg. Es gab jedoch eine weitere Sache, über die wir vor dem Konzert heute Abend sprechen mussten.

„Du, das mit dem persönlichen Security war doch nicht ernst gemeint, oder? Ich meine, das sind doch alles deine Leute. Da wird schon nichts passieren."

John schüttelte leicht den Kopf und wirkte mit einem Mal sehr nachdenklich.

„Auf deiner Stirn steht aber nicht geschrieben ‚Bonez kleine Schwester'. Nicht alle wissen, wer du bist und wie du zu uns gehörst. Kein Bock, dass dich wer dumm anmacht. Da laufen nicht nur enge Freunde rum, sondern genug Leute, denen ich nicht unbedingt zu 100% vertraue. Da kommt die ganze Straße zusammen. So ist das bei uns halt. Sobald du groß bist, will plötzlich jeder was von dir."

Seufzend verzog ich mein Gesicht, denn die Vorstellung gefiel mir ganz und gar nicht.

„Ich kann auf mich alleine aufpassen, ehrlich."

John seufzte ebenfalls und stellte sich dicht vor mich. Mit ernster Miene legte er mir seine Hände auf die Schultern und suchte meinen Blick.

„In deinem Umfeld vielleicht. Das hier ist was anderes. Du wirst hinter der Bühne kaum andere Frauen sehen. Höchstens lokale Mitarbeiterinnen oder irgendwelche famegeilen Schlampen, die wer angeordert hat. Glaub mir einfach. Da kommen mehrere Jahrzehnte Knast im Backstag zusammen. Ich will nur nicht, dass es zu irgendeiner unnötigen Situation kommt, okay?"

„Kann ich nicht einfach immer bei euch bleiben? Das reicht doch."

„Du kommst dann einfach mit auf die Bühne? Und zu den Fans? Und in die Duschen?"

Ich verdrehte die Augen.

„Du weißt schon, wie ich das meine."

„Mach dir einfach keinen Kopf und vertrau mir bei der Sache."

Um das Thema abzuschließen, zumindest von seiner Seite aus, zog er mich unerwartet in eine Umarmung. John duldete keinen Wiederspruch und es schien zwecklos, weiter mit ihm darüber zu diskutieren.

„Aber wehe, das ist so ein ernst dreinschauender Gorilla. Das kannst du nicht bringen.", nuschelte ich an seiner Brust.

Johns tiefes Lachen ließ seinen Oberkörper vibrieren.

„Du wirst schon noch sehen."

Hey Brother (Bonez MC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt