Das Gefühl, von etwas Schwerem erdrückt zu werden, holte mich aus meinem traumlosen Schlaf. Benommen versuchte ich zuzuordnen, was gerade passierte. Es dauerte einen Augenblick, bis ich begriff, dass sich jemand von hinten halb an mich gekuschelt, halb auf mich gelegt hatte. Mit seinem gesamten Gewicht. Am Geruch erkannte ich, dass es sich um meinen Bruder handeln musste.
„John?", krächzte ich mit müder Stimme.
„Ich will mich doch gar nicht mit dir streiten. Tut mir leid.", lallte dieser nuschelnd zurück und zog mich noch ein Stück näher zu sich ran.
Bevor ich etwas erwidern konnte, hörte ich schon sein gleichmäßiges atmen. So gut es eben ging, versuchte ich wieder eine gemütliche Position zu finden. Johns schwerer Arm ließ mir nur wenig Bewegungsraum und ich akzeptierte schließlich meine eingeengte Lage. John ließ sich von alldem nicht stören. Er war einfach eingepennt. Nicht mal seine Schuhe hatte er ausgezogen. Zu seinem typischen Geruch fügte sich eine Mischung aus Alkohol, Rauch, Weed und Schweiß. Alles in allem roch er einfach nach einer durchfeierten Nacht.
Ich schaffte es tatsächlich noch mal für ein paar Stunden einzuschlafen. Als ich das nächste Mal wach wurde, zeigte mir mein Handy an, dass es inzwischen kurz vor 10 Uhr war, weshalb ich beschloss, aufzustehen. Umständlich wand ich mich aus Johns Armen.
In der Küche stand ich vor dem nächsten Problem. Wortwörtlich. Raf hatte einen riesigen Kaffeeautomaten mit sämtlichem Schnickschnack und unzähligen Funktionen. Kurz studierte ich die ganzen Knöpfe, war mir dann aber nicht mal sicher, ob nicht irgendwo noch Bohnen nachgefüllt werden müssten. Das wäre dann zudem mega laut, weshalb ich mich innerlich bereits von meinem Traum von Kaffee verabschiedete.
„Was ein verdammtes Scheißdrecksteil. Warum hat denn heutzutage niemand mehr eine normale Kaffeemaschine?", fluchte ich missmutig vor mich hin und hätte fast einen Herzinfarkt erlitten, als hinter mir ein raues Lachen ertönte.
Ich fasste mir ans Herz und drehte mich mit vor schreckgeweiteten Augen um.
„Alter, das kannst du doch nicht machen."
Mein Herz raste immer noch. Raf versuchte sich ein schelmisches Grinsen zu verkneifen, was ihm immerhin so mittelmäßig gut gelang. Nur mit enger Boxershirt und mit komplett verwuschelten Haaren stand er da und schien jetzt erst zu realisieren, wie er mir gegenüber getreten war.
„Sorry, ich zieh mir mal schnell was über. Dachte, ich wäre der erste, der wach ist."
Keine Minute später stand er wieder in der Küche, dieses Mal mit Jogginghose und schwarzem T-Shirt.
„Ist deine Wohnung, da kannst du rumlaufen, wie du willst. Und jetzt sag schon, wie das Teil funktioniert."
„Was willst du denn haben?"
„Einfach einen Kaffee bitte. Ganz normal mit ein bisschen Milch."
Raf drückte auf ein paar Knöpfe, ehe die braune Brühe endlich in die Tasse lief und den Raum in einen angenehmen Geruch hüllte.
„John ist immer noch unterwegs?" Sein Blick war zur Couch gewandert, die immer noch genauso aussah, wie wir sie vor ein paar Stunden verlassen hatten.
„Hm nee, der liegt im Gästezimmer. Wollte sich bei mir entschuldigen und ist dann eingeschlafen."
„Oh, okay?"
„War auf jeden Fall ganz schön betrunken und ist dann einfach bei mir eingepennt."
Raf kam mit einer Tasse Kaffee zu mir an den Esstisch und fuhr sich müde übers Gesicht.
„Soll ich Brötchen holen, oder so?", schlug ich vor, da ich so langsam Hunger bekam.
„Hier in der Straße ist eine gute Bäckerei. Warte, ich geb dir Geld."
Als ich zurück kam, hatte Raf schon den Tisch gedeckt. Wir frühstückten ohne meinen Bruder, der mit Sicherheit noch ein paar Stunden im Bett verbringen würde. Während Raf duschen war, hatte ich kurz mit Samuel telefoniert. Heute war Freitag und er musste erst später zur los zur Vorlesung. Draußen war es sonnig und ich musste daran denken, dass meine Freunde morgen an den See gehen wollten. Ich war fast schon ein wenig traurig darüber, dass ich nicht mit konnte. Den Gedanken verwarf ich allerdings schnell wieder, als ich mir darüber klar wurde, dass ich später den Rest der 187 Bande wiedersehen würde.
Ich schickte der WG ein Foto von Rafs Palmen auf dem Balkon, die Sonne im Hintergrund, und wünschten ihnen einen schönen Tag.
Da wir spät und ausgiebig gefrühstückt hatten, verzichteten wir auf ein Mittagessen. John kam um kurz nach 13 Uhr mit müden Augen aus dem Gästezimmer gewankt.
„Morgen.", brummte er und ließ sich wie ein Sack neben mich auf die Sitzbank am Esstisch fallen.
Augenblicklich vergrub er sein Gesicht in seinen Armen, die er auf dem Tisch gelegt hatte. Seine Locken standen in alle Richtungen ab. Raf und ich warfen uns einen kurzen Blick zu.
„Geht's?", fragte Raf nach, woraufhin John einen undeutlichen Laut von sich gab.
Vorsorglich holte Raf ihm eine Packung Kopfschmerztabletten und ein Glas Wasser. Ich kraulte meinem Bruder kurz durch die Haare, was ihm immerhin ein kleines Lächeln entlockte.
Irgendwie schafften wir es doch noch, am Mittag loszufahren. Mein Bruder hatte sich dieses Mal auf die Rückbank verzogen und machte sich dort breit. Er war verkatert und äußerts wortkarg, konnte es jedoch trotzdem nicht lassen, die ganze Zeit sinnlose Insta-Storys zu drehen.
Die Fahrt zog sich. Wir fuhren von einem Stau in den nächsten und so langsam verlor selbst Raf die Geduld. Nur John schlief die meiste Zeit seelenruhig und bekam von alldem nichts mit.
Erst am Abend kamen wir in Hamburg an. Wir stellten nur kurz unsere Sachen bei John ab, ehe wir uns mit den anderen in einem Steakhouse trafen.
„Hey Zwerg, komm schon her. Hast dich lang genug nicht blicken lassen." Jonas zog mich in eine viel zu feste Umarmung, ehe er Raf ähnlich euphorisch begrüßte.
Das ganze Begrüßungsprozedere dauerte einige Minuten und bis wir uns schließlich alle gesetzt hatten, stand schon eine Bedienung am Tisch. Ich saß zwischen Jonas und Anton, mir gegenüber saß Alex. Alle Stühle waren besetzt, was bedeutete, dass ansonsten keiner mehr dazustoßen würde. Jonas hatte meinen suchenden Blick bemerkt und richtig gedeutet.
„Marten ist unterwegs. Der kommt erst die nächsten Tage wieder nach Hamburg. Keine Ahnung, wann genau."
„Oh, okay." Ich versuchte meine Enttäuschung zu verbergen, was mir nicht wirklich zu gelingen schien.
„Den wirst du schnell genug wieder zu Gesicht bekommen. Und so lange werden wir dir einfach auf die Nerven gehen. Du wirst gar nicht merken, dass Marten fehlt."
Da war ich mir nicht so sicher, aber den Gedanken behielt ich für mich. Marten war mir unglaublich ans Herz gewachsen. Bei ihm konnte ich mich jederzeit über meinen Bruder auskotzen, wenn er mir mit seinen Eigenarten mal wieder auf die Nerven ging. Das kam nicht allzu oft vor, aber Marten hörte meinem Gefluche jedes Mal zu, ohne es als Lappalie abzutun.
„Erzähl lieber mal, warum du die letzten Monate nicht in Hamburg warst.", forderte Alex.
„Ihr tut alle so, als wäre ich jahrelang nicht hier gewesen."
Alex schien kurz zu überlegen, wie lange mein letzter Besuch tatsächlich her war.
„Digga, es war fast ein halbes Jahr, also komm jetzt ja nicht mit billigen Ausreden."
Ich musste mich geschlagen geben und erzählte grob, was ich in den letzten Monaten so gemacht hatte.
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Hey Brother (Bonez MC)
Fanfiction(Fortsetzung von „Long Long Way") „Reg dich nicht auf Jari, du hast jetzt ja ein paar Tage frei und kannst dich erholen." „Oder mit uns Party machen." Ein blonder Lockenkopf schob sich in mein Sichtfeld. Ihn und Raf hatte ich fast ausgeblendet. „Was...