24.

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„Ihr seht fertig aus.", stellte mein Cousin am Abend fest, als er mich und John zu einer Gassirunde abholte.

„Geht schon.", raunte mein Bruder und holte die Hundeleine aus der Garderobe.

Marten schaute zu mir, ich zuckte jedoch nur die Schultern.

„Nichts weltbewegendes."

Zu dritt gingen wir ein bisschen durch die Stadt. Skittlez und Chopper liefen brav vor uns her, mussten jedoch angeleint bleiben. Marten und John trafen immer wieder Bekannte, doch ich hatte mich daran gewöhnt, dass die beiden halb Hamburg zu kennen schienen. Auch an die Blicke der mir Unbekannten hatte ich mich gewöhnt. Aus dem engeren Umfeld wusste fast jeder, wie ich zu John und zu Marten gehörte. Alle anderen konnten mich immer noch nicht ganz einordnen, am allerwenigsten die Fans. Doch es störte mich kaum noch, dass sie mich kritisch begutachteten und sich fragten, was eine wie ich mit der 187 Strassenbande zu tun hatte.

„Bock auf Döner?" Marten nickte zu seinem Liebslingsdönerladen, der sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand.

John und ich bejahten und wir steuerten den Laden an. Wir ließen uns die Döner einpacken und gingen wieder ein Stück zurück zu irgendwelchen Bekannten von Marten, die auf Bänken vor einem Barbershop saßen. Einer der Männer hatte zusätzliche Klappstühle organisiert und wir saßen mehr oder weniger mitten auf dem breiten Gehweg.

Ich hatte nicht bedacht, dass es so schwierig werden würde, mit meiner fast unfähigen linken Hand und der halb eingegipsten rechten Hand einen Döner zu essen.

„Maaaan, ich raste gleich aus. Warum fällt alles runter?"

Die Männer warfen mir mitleidige Blicke zu, denn es war eine traurige Tatsache, dass ich meinen Döner kaum unter Kontrolle hatte.

„Gib mal her."

Marten riss mir das Teil aus der Hand. Seinen Döner hatte er mit wenigen Bissen aufgegessen.

„Du stellst dich aber auch an."

Mit kritischem Blick brachte er meinen Belag, der eigentlich nur aus sehr viel Salat, Rotkohl, Tomaten, Gurken, Falafeln und Soße bestand, wieder etwas in Ordnung.

„Ich kann dir ja mal den rechten Arm brechen und dann sehen wir, wie gut du das hinbekommst."

Mein Cousin zog eine Augenbraue hoch und musterte mich unbeeindruckt.

„Du könntest mir nicht mal den kleinen Finger brechen."

„Du unterschätzt meine Kräfte, mein Lieber."

„Träum weiter. Vergleich mal deine Pommesarme mit meinen, dann reden wir weiter."

„Wenn du meinst, Popeye. Wir werden noch sehen, sei gewarnt!"

John schmunzelte vor sich hin und auch die anderen Männer verfolgten unsere Konversation belustigt. Vermutlich waren sie es nicht gewohnt, dass jemand so mit Marten sprach und vor allem nicht, dass Marten so darauf einging.

Endlich reichte er mir meinen Döner zurück, nicht ehe sich vorher einen riesigen Bissen zu genehmigen. Seine Mundwinkel waren voller Soße und er hatte beide Backen voll, als er mich provakant angrinste.

„Dein Ernst?"

Entrüstet starrte ich zwischen meinem Essen und meinem Cousin hin und her.

„Beim nächsten Mal bekommst du 'ne Falaffelbox. Die kannst du vielleicht essen, ohne die Hälfte auf dem Boden zu verteilen."

„Haha, ich schaffe das auch so."

Mehr oder weniger gelang es mir, den Rest zu essen, ohne dass alles aus dem Brot fiel. Als ich nach einer halben Ewigkeit endlich fertig war, durfte ich mir drinnen schnell die Hände waschen.

Draußen zog mich Marten zu sich, ehe ich mich wieder setzen konnte.

„War nur Spaß. Das weißt du doch, oder?"

Er grinste immer noch verschmitzt. Ich schaute ihn gespielt böse an, was mir mal wieder nicht gelang und mich schließlich selbst zum Lächeln brachte.

„Geht doch. Dieses Lächeln habe ich in den letzten Tagen viel zu selten gesehen. Was ist, geht ein Eis als Wiedergutmachung klar?"

„Hm, na gut. Ein Wassermeloneneis sollte es aber schon sein."

Darauf hatte ich jetzt wirklich Lust. Nichts war besser als dieser süße, künstliche Geschmack des Wassereises.

„Alles klar. Holen wir auf dem Rückweg."

Da es so langsam dunkel wurde, verabschiedeten wir uns und liefen gemächlich wieder zu Johns Wohnung zurück. Unterwegs bekam ich das Eis, das mir Marten versprochen hatte.


„Kommst du noch mit hoch?", fragte John, als wir an der Haustür angekommen waren.

„Nur kurz. Muss dann gleich noch auf den Kiez. Und Chopper davor noch zu mir bringen."

Die beiden Männer genehmigten sich ein Bier, während ich mir einen Tee machte. Marten blieb etwa eine Stunde, ehe er sich bei uns verabschiedete und weiterzog.

„Er ist immer nur unterwegs.", merkte ich an, als John wieder zurück ins Wohnzimmer kam.

„Marten braucht das. Er kann nicht einfach zu Hause hocken und nichts machen."

„So wie du eigentlich, oder?"

Mein Bruder legte seinen Kopf ein wenig schief. Er wusste genau, was ich andeutete.

„Bin ja gerade nicht alleine. Ansonsten bin ich aber auch nur selten zu Hause, das stimmt."

In den letzten Tagen hatte er sich fast jede Minute für mich Zeit genommen. Da ich seine ausgiebigen Insta-Storys größtenteils verfolgte, wusste ich, dass es eine absolute Ausnahme war, dass er so viel Zeit in seiner Wohnung verbrachte.

„Wenn du mal was ohne mich machen willst oder halt einfach feiern gehen willst, mach ruhig. Ich schaffe auch mal einen Abend ohne dich. Und ich weiß genau, wie sehr du das eigentlich brauchst. Guck nicht so."

John hatte einen belustigten Blick aufgesetzt, ganz so, als würde ich schon wieder den größten Unsinn von mir geben.

„Laber keinen Mist, Jari. Ich bin gerne hier mit dir. Ich hab dich sonst ja viel zu selten bei mir."

„Ich weiß.", gab ich leise zu, denn auch ich würde gerne häufiger Zeit bei meinem Bruder verbringen.

Da wir beide viele Termine hatten, John viel unterwegs war und ich an den Wochenenden meist arbeitete, ließ sich das leider nicht so einfach umsetzen. Das wussten wir beide, daher war es uns umso wichtiger, regelmäßig miteinander zu telefonieren und zu schreiben.

„Was ist, schaffst du noch einen Film? Oder pennst du wieder gleich ein?"

„Sagt der Richtige. Du bist da nicht besser als ich."

„Ach was, das zählt nicht. Da hatte ich die Nacht kaum geschlafen."

Zusammen suchten wir einen Film aus, den wir beide noch nicht gesehen hatten. Wir konnten uns meist schnell einigen, auch wenn ich es konsequent ablehnte, mir Horrorfilme anzuschauen. John sah irgendwann ein, dass es wohl besser so ist, da ich ansonsten noch schlechter schlafen würde.

Nach der ersten halben Stunde war mir eigentlich schon klar, dass ich das Ende des Film heute auf keinen Fall mehr sehen würde. Letzte Nacht hatte ich einfach zu wenig geschlafen. Ich bemühte mich, meine Augen noch ein wenig offen zu halten, aber auf die eigentliche Handlung konnte ich mich kaum noch konzentrieren.

„Na gut, du hattest recht. Ich schaffe den Film nicht bis zum Ende.", gestand ich meinem Bruder.

Er starrte selbst mit müden Auge auf den Fernseher und sah genauso erledigt aus, wie ich mich fühlte. Augenblicklich stoppte er den Film und grinste mich fast schon triumphierend an.

„Na endlich. Ich dachte schon, ich müsste vor dir aufgeben."

Hey Brother (Bonez MC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt