14.

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„Fahr doch du Bastard." Marten raste durch die Straßen zum Hauptbahnhof und schimpfte eigentlich über jedes andere Auto, das uns irgendwie in die Quere kam. Ein Wunder, dass wir nicht angehalten wurden. Das hätte mir jetzt wirklich noch gefehlt.

Raf war bei Alex geblieben, weshalb mein Cousin mich nun fuhr. Es war ein schneller Abschied gewesen und irgendwie tat es mir leid, dass alle durch unseren hektischen Aufbruch wach geworden waren. Nur John hockte mit in Martens Wagen. Wir hatten kurz bei ihm gehalten und meine restlichen Sachen geholt. Ich hatte zum Glück nicht groß was ausgepackt, daher konnten wir wenige Minuten später wieder los.

„Ausgerechnet heute hat diese verdammte Bahn keine Verspätung. Das gibt's doch gar nicht."

Ich aktualisierte alle paar Sekunden die Deutsche Bahn App, nur um zu sehen, dass mein Zug pünktlich abfahren würde. Das kam so selten vor und heute, wo mir eine Verspätung wirklich recht gewesen wäre, fuhr alles pünktlich.

„Du weißt, an welches Gleis zu musst?"

„Mhm. Wenn ich renne, schaffe ich es vielleicht."

„Zehn Minuten hast du noch."

Als wir endlich am Bahnhof ankamen und Marten das Auto parkte, umarmte ich erst meinen Bruder und dann meinen Cousin umständlich von der Rückbank aus und drückte beiden einen Kuss auf die Wange.

„Sag Bescheid, ob du deine Bahn bekommen hast. Wir warten hier so lange."

„Mache ich.", versprach ich und sprang aus dem Wagen.

Zum Glück ging ich regelmäßig joggen, denn ich schaffte es mit einem rekordverdächtigen Sprint gerade noch so in den Zug, ehe sich die Türen schlossen und wir losfuhren. Ich brauchte einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen. Natürlich war das Abteil, in dem sich mein reservierter Sitzplatz befand, ganz am anderen Ende. Umständlich lief ich mit meiner Reisetasche durch den gesamten Zug, immer noch etwas aus der Puste und mit Sicherheit rot wie eine Tomate.

Als ich meinen Platz endlich gefunden hatte, schrieb ich meinem Bruder, dass ich es gerade noch so geschafft hatte. Er hatte mir versichert, dass mich ganz zur Not auch irgendwer bis nach Frankfurt gefahren hätte. Das war lieb gemeint, aber ich wollte es eigentlich keinem zumuten, so eine lange Strecke zu fahren, nur um mich abzusetzen und dann wieder zurückzufahren.

Von der Bahnfahrt bekam ich nicht wirklich was mit. Ich schlief die meiste Zeit oder döste zumindest ein wenig. Vermutlich würde ich heute Nacht mal wieder nicht schlafen können, weil ich erst bis nachmittags und dann auch noch auf der Fahrt geschlafen hatte, aber darüber machte ich mir im Augenblick keinen Kopf.

Die Zeit, in der ich wach war, schrieb ich mit meiner WG, mit Samuel und teilweise mit den Leuten aus Hamburg. So ging die Fahrt einigermaßen schnell vorbei.



Die nächsten Tage waren dafür unglaublich anstrengend. Das Wochenende hing mir nach und mein Schlafmangel geriet so langsam aus dem Ruder. Ich schaffte es einfach nicht, wieder in meinen gewohnten Tages- und Schlafrhythmus zu finden.

„Am Freitag hab ich endlich mal frei. Da schlafe ich den ganzen Tag. Ohne Witz.", nahm ich mir fest vor, als ich Mittwochmorgen mal wieder völlig kaputt in der Küche saß.

Nicht mal mein dritter Kaffee schaffte es, meine Müdigkeit zu vertreiben.

„Du sollst nicht tagsüber schlafen, sondern in der Nacht. Das wäre schon mal ein Fortschritt." Yassin verscheuchte Adorno von seinem Stuhl und musterte mich mit besorgter Miene.

„Du sagst das so einfach."

Ohne weiter darauf einzugehen, lockte ich unseren Kater zu mir, um ihn noch ein wenig zu kraulen, bevor ich gleich los musste.

„Hast du heute wenigstens einen ruhigen Tag?"

„Ich hoffe es zumindest. Immerhin mal keine Termine, die ich begleiten muss."


Der Tag war alles andere als ruhig. Das Telefon klingelte in einer Tour und ich kam gar nicht hinterher, alles abzuarbeiten, was spontan anfiel. Meine Kollegin Hanna, die heute Nachtdienst hatte, schickte mich irgendwann heim, weil ich ansonsten noch Ewigkeiten im Büro verbracht hätte.

Passend zu meinem gesamten Tag, regnete es in Strömen. Das würde ein nasser Heimweg werden. Während ich mich auf mein Fahrrad schwang, überlegte ich, ob ich nicht irgendetwas wichtiges in der Übergabe vergessen hatte. So ging es mir oft und häufig überlegte ich die komplette Heimfahrt, ob ich auch wirklich alle wichtigen Infos weitergegeben hatte. Unzählige Male hatte ich mitten auf dem Heimweg umgedreht und war zurück zur Arbeit gefahren, weil mir doch noch etwas eingefallen war.

Komplett in Gedanken versunken bemerkte ich zu spät das Auto, das von links auf mich zugerast kam. Ich hatte ganz klar Vorfahrt, der Autofahrer schien mich jedoch zu spät wahrgenommen zu haben. Trotz Licht und Reflektoren. Im letzten Moment versuchte ich zu bremsen, rutschte jedoch auf der nassen Fahrbahn weg. Das Auto versuchte ebenso zu bremsen, doch auch dafür war es bereits zu spät.

Danach ging alles ganz schnell. Ich flog über die Motorhaube des Wagens und schlug auf der gegenüberliegenden Seite auf den nassen Asphalt auf. Meine gesamte rechte Seite schmerzte mit einem Mal höllisch und mein Kopf pochte unangenehm. Ich konnte mich vor lauter Schmerz nicht mehr rühren und blieb reglos auf der Straße liegen. Um uns herum begannen die ersten Autos zu hupen und die Schweinwerfer verzogen sich seltsam vor meinen Augen. Ich konnte mich nur noch auf meine Schmerzen konzentrieren. Der Fahrer des Autos versuchte mit mir zu reden, doch ich konnte weder klare Gedanken fassen noch sein Gesicht fokussieren. Wenige Sekunden später verschwamm meine Sicht und alles um mich herum wurde schwarz.

Hey Brother (Bonez MC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt