💠Fronts💠

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Die Stille könnte Wände zerschlagen.
Was in Jisungs Augen besonders beunruhigend war, denn die Fronten, welche sich gebildet hatten, trennten Welten. Seungmin, der ihm gegenüber saß, schielte an ihm vorbei.
"Und? Was siehst du?", wollte Felix flüsternd wissen. Sie saßen am hintersten Ende, nahe der Fenster, an einer langen Tafel. Jisung mit dem Rücken zur Mitte.
"Nicht viel. Sie sitzen, essen und erzählen, genau wie wir."
Jeongin seufzte und legte den Kopf auf die Tischplatte. Die ganze Atmosphäre war zum zerreißen gespannt, wie eine Bogensehne. Keiner der anwesenden menschlichen Schüler sagte ein Wort. Sie schwiegen, versuchte nicht einmal laut zu atmen.
Abgesehen von den neuen Gästen, die es sich auf der anderen Seite der Cafeteria gemütlich gemacht haben. Sirenen.
Die Rektorin würde in wenigen Minuten etwas verkünden, was sie eh schon alle wussten. Die Zusammenführung der einzelnen Klassen.
Der Blonde ahnte Böses und er war sich nicht sicher, wie er dieses Gefühl, welches sich in seiner Brustgegend ausbreitete, zuordnen sollte. War es Angst? Aufregung? Er schüttelte den Kopf und wagte einen Blick nach hinten. Seine Augen schweiften über die Menge, bis sie an einem goldenen Augenpaar hängen bleiben.
Jisung schluckte.
Minho beobachtete ihn. Für den Bruchteil einer Sekunde starrte er zurück.
Dann drehte er sich weg, während er sich fragte, was die Sirene wohl für Schlüsse aus seinem Verhalten zog. Er ergötzte sich wahrscheinlich an seiner Furcht und das störte den Blonden. Er wollte nicht, wie ein wehrloser Mensch wirken, obwohl er genau das war. Nichts konnte das ändern. Er begann mit den Zähnen zu knirschen. Eine Angewohnheit, die er von seinem Vater übernommen hatte.
"Ist alles in Ordnung? Du wirkst....genervt."
Jisung zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte den Kopf. Die anderen jetzt mit seiner kleinen Existenzkrise zu nerven, erschien ihm unpassend. Aber jetzt gerade merkte er, wie hilflos er im Gegensatz zu den anderen war. Darüber hatte er noch nicht nachgedacht. Jede Sirene, Meerjungfrauen oder Meermann besaß eigene Fertigkeiten, die ihn beinahe unbesiegbar machten. Dagegen würde er nie eine Chance haben. Nicht mit einem Dasein als Mensch. Doch wenn er so darüber nachdachte, einen grauenvoll Tod zu erleiden, um mächtig und unsterblich zu werden, wäre zu extrem. Sogar für ihn.
Der Lautstärkepegel nahm zu. So langsam kamen auch die Menschen und Meerjungfrauen in Fahrt. Sie merkten, dass die Sirenen ihr Ding taten und keiner Schaden davon trug.
Die Flügeltüren, welche die Cafeteria mit den Schlafsälen der Sirenen verband, glitten geräuschvoll auf. Ein jeder wandte den Blick von seinem Gesprächspartner zu besagter Tür.
Die Direktorin betrat wie eine Königin den Raum. Ihr Mantel wallte seicht im Luftzug der offenen Tür. Sie war atemberaubend schön, was Jisung erst jetzt vollkommen bemerkte. Flankiert wurde sie von Taeyeon und einem Meermann, dessen Aussehen und Name ihm unbekannt waren.
"Guten Abend, meine Lieben! Ich bin mir sicher, ihr wisst, warum wir uns heute hier zusammengefunden haben", begann sie und Jisung sah, dass alle die Aufmerksamkeit ihr zuwandten. Ein jeder hing an ihren Lippen, beobachtete ihre grazilen und wohlbedachten Bewegungen. Sie genoss das Gefühl, dass alle Schüler das Augenmerk auf sie richteten. Frau Young strotzte nur so von Selbstbewusstsein, was den Blonden ungemein fasziniert. Sie kannte ihren Wert, ihren Platz in dieser Welt und sie trank es wie den feinsten Whiskey. Spätestens nach ihrer Erzählung, wie ihr Ex-Ehemann gestorben war, hatte sie sich seinen Respekt verdient.
"Frau Young! Wie kommt es eigentlich, dass wir nun mit den Sirenen Unterricht haben? Vorher ging es doch auch!", fragte ein menschlicher Schüler und so, wie er das Wort Sirenen förmlich ausspuckte, war er kein Freund von ihnen. Jisung ballte die Hände zur Fäusten. Solche Menschen brachten ihn zur Weißglut. Auch wenn sie auf den ersten Blick angsteinflößend und abschreckend wirkten, sie waren noch immer Lebewesen dieser Erde. Also gab es keinen Grund, sie in den Dreck zu ziehen. Mag sein, dass Jisung selbst kein Heiliger war, aber eine solche Aussage forderte eine Denkzettel.
Doch eine Sirene kam ihm zuvor.
"Denkst du, wir wollen mit einer Sorte, wie dir rumhängen? Das ist ätzend!"
Und dann brach die Ruhe, um sich in Chaos zu wandeln. Mutige Menschen stemmten sich gegen die Sirenen. Zwar wurde niemand handgreiflich, jedoch flogen obszöne Schimpftriaden durch den Raum, sodass sich Jisung fragte, woher mancher solch frivolen Wörter kannten. Die Meerjungfrauen und -männer hielten sich weitestgehend raus, genau wie Jisung. Als er seinen Blick in Richtung Minho wandte, war er überrascht, dass dieser nicht mitwirkte bei den Taten seiner Brüder und Schwestern. Stattdessen starrte er ihn weiterhin, als hätte er niemals die Augen abgewendet, was ihm einen eiskalten Schauer über seinen Rücken jagte.
Überlegte er gerade, wie er mich am effizientesten töten konnte?
Der Blonde schluckte nervös. Er merkte, wie sich der Schweiß seinen Nacken hinunter bahnte. Er musste offen zugeben, dass er oftmals impulsiv handelte, was in vielerlei Hinsicht und Situation ein gefährliches Unterfangen bedeutete, doch er konnte nichts dafür. Es passierte einfach.
Wie jetzt gerade.
Er stand auf und nahm, ohne es wirklich wahrzunehmen, sein Tablet, hob es an, um es anschließend mit voller Kraft auf den Tisch zu donnern, sodass es durch die komplette Cafeteria hallte.
Ein jeder fixierte ihn.
Jisung begann sich an Kopf zu kratzen.
"Danke, Jisung, jetzt ist endlich wieder Ruhe!", sprach Direktorin Young und klatschte einmal in die Hände.
"So, um auf deine Frage zurückzukommen, Han-Gyeol, haben die Lehrerschaft und meine Wenigkeit beschlossen, dass wir die Klassen zusammenführen, da wir gerade ein akuten Lehrermangel vorweisen."
Allein die Tatsache, wie sie dies formulierte und aussprach, ließ ihn hellhörig werden. Der Blonde wandte sich an Seungmin, der seinen Blick teilte.
Irgendwas stimmte nicht.
"Und warum das?", fragte Sooyeon nach einer kurzen Meldung.
Frau Young lächelte kurz, doch ihre Augen waren vorsichtig.
Sie verbarg etwas.
"Einige Lehrer haben lukrativere Arbeitsplätze gefunden, weswegen sie uns verlassen haben."
Die blonde Meerjungfrauen schien zufrieden mit der Antwort, genau wie viele der anwesenden Schüler.
Jisungs Augen huschte wie von selbst zu dem einen Tisch auf der anderen Seite des Saals. Minho hielt ihm stand und schüttelte den Kopf. Er hatte das Gefühl, es bezog sich nicht auf sein ständiges Hingucken, sondern auf das, was die Direktorin äußerte.
Minho wusste etwas, wusste mehr als die meisten Schüler hier, was ihn sich automatisch fragen ließ, ob alle Sirenen die Wahrheit kannten.
Er nickte, als Zeichen, dass er verstanden hatte. Mehrere Fragen erfüllten seinen Kopf.
Warum hörte er auf Minho? Wieso kommunizierte die Sirene mit ihm, obwohl er ihm gedroht hatte?
Was zum Henker ging hier vor sich?
"Ich werde nun verkünden, in welchen Klassen die Sirenen untergebracht werden", gab die Rektorin bekannt und nahm einen Zettel von Taeyeon entgegen.
Jisung stieß einen Seufzer aus.
"Das kann jetzt eine Weile dauern", nörgelte Felix und ließ den Kopf sinken. Der Mensch merkte, wie Jeongin zu einer bestimmten Person starrte, welche auf der anderen Seite des Raumes saß, direkt neben Minho. Ein Grinsen konnte er sich nicht verkneifen.
Er blickte zu dem Größeren, welcher ihn peinlich berührt entgegenblickte und errötete.
Da bahnte sich doch etwas an.
Doch seine Schadenfreude blieb ihm schier im Halse stecken, als Frau Young ihre Klasse erwähnte.
"Die neuen Schüler in Klasse 3C sind: Bang Chan, Hwang Hyunjin, Seo Changbin und Lee Minho."
Jisung blieb das Herz stehen.
Er war sowas von am Arsch.

Pearls {Minsung}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt