Der chemische Cocktail auf seinem Kopf puckerte, während er versuchte die ätzende Säure nicht von seinem Kopf zu reißen, um es zu beenden.
"Warum ein Farbwechsel?", fragte ihn Felix, welcher mit den Handschuhen an seinem Kopf hantierte, als wäre er professioneller Friseur. Jisung zuckte auf die Frage hin seine Achseln. Der Meermann merkte, dass der Mensch nicht sprechen wollte und seufzte. In den letzten Tagen hatte Jisungs Persönlichkeit beinahe eine hundertachtzig Grad-Wendung vollbracht. Von dem offenen, neugierigen Jungen, der sich von nichts und niemanden den Weg weisen ließ, war nichts mehr übrig.
Stattdessen saß vor dem Blonden ein in sich zusammengesunkenes Wrack, dessen Einzelteile er versuchte zusammenzuhalten. Seungmin, Gaya, Jeongin und Felix selbst beobachteten sein Auftreten mit Sorge. Seine Schlafgewohnheiten verschlimmerten sich, er zog sich immer mehr in sich zurück, und von seinem Essverhalten wollten sie erst gar nicht sprechen. Es war ja kaum mehr vorhanden. Mittlerweile merkten das auch ihre Lehrer und Mitschüler. Manch einer starrte ihm besorgt hinterher, andere versuchte Gespräche oder Aufmunterungen zu starten, doch nichts dergleichen fand Fuß.
Han Jisung war nur noch eine Hülle seiner selbst.
Und seine Mitbewohner machten sich Sorgen.
"Was besitzt du eigentlich für Magie?", fragte Jisung und sah von seinen Händen auf. Der Standspiegel, vor welchem er saß, gab Felix' Gesicht preis, dessen Gemüt sich aufhellte. Der Meermann schloss kurz die Augen, schob seine Hand nach vorn. Es raschelte im Zimmer, jedwede kleinen oder großen Gegenstände aus Metall begannen zu klirren, zu singen, als wollten sie Felix zeigen, dass sie seine Stimme erhört haben.
"Metall. Ich kann es mir zu eigen machen. Mit meinen Hände zu neuen Dingen formen oder es als Waffe benutzen."
Jisung nickte und staunte nicht schlecht. Er begann auf seine Hände zu starren und ihm wurde wieder einmal mehr bewusst, dass er seine Eltern nicht fragen konnte, woher seine Kräfte stammten. Er spürte die Leere in seinem Inneren, wie sie durch in hindurch zog, wie sie alles in ihm aushöhlte und nichts außer Kälte und Verdorbenheit zurückließ. Irgendwas war in ihm zerbrochen und er war sich nicht sicher, ob jemals irgendetwas oder irgendjemand dieses Loch, diesen unendlichen, ewigen Krater in seinem Brustkorb schließen konnte. Nein, Jisung wusste es. Und dieser Verlust veränderte ihn für immer. Komischerweise verspürte er diese Gedanken nicht in Minhos Nähe. Er hatte niemanden von seinem Training vor drei Tagen erzählt, auch nicht Minhos Geschichte. An diesem Tag hatten seinen Worte geholfen, doch danach war er wieder in diesem Loch versunken und er kam nicht raus.
"Ich bin aus Australien hier eingewandert", begann Felix eine Konversation, während Jisung ihn im Spiegel beobachtete. Seine Hände führten die Pampe aus Farbstoffen auf seiner Kopfhaut und massierte sie ein, wobei sein Blick in die Ferne wanderte.
Er dachte an seine Familie.
"Anders als bei Seungmin, dessen Mutter ihn wegschicken ließ, fanden meine Eltern es großartig und faszinierend, dass ich solche Kraft besitze. Du musst wissen, meine Mum war eine begnadete Surferin in ihren jungen Jahren. Sie war wild und tobend und die tiefe ihrer Seele und ihrer Hingabe zum Meer wurde an mich weitergegeben. Mein Vater lernte sie bei einem Wettkampf kennen, während er Eis verkaufte."
Felix kicherte und Jisung versuchte es ebenfalls. Doch es glich mehr einer verzogenen Grimasse, die Kinder an Halloween erschrecken konnte. Er war so schrecklich müde. Und er hatte dieses Gefühl, als würde ihn seit geraumer Zeit irgendwer verfolgen. Es klang wie ein Zug, dem er einen Namen gegeben hatte.
Tschua-Tschua-Tschu-Tschu!
Hier kommt der Zug der Verdammnis, der dich niederwalzt, weil deine Eltern tot sind und du nicht. Tod, Verzweiflung, Schmerz. Haha! Tschu-Tschu!!!
Der noch Blonde schüttelte den Kopf, um Felix weiter zu hören zu können. Seine Gedanken waren seit einigen Tagen ein grausames Konstrukt, dass ihm Schlaf verweigerte und ihm zum ins Nichts starren animierte.
"Ich war musikalisch schon immer begabt, auch wenn ich das nicht offen zeige. Eines Tages war ein Talentwettberb in der Schule."
Der Meermann verzog das Gesicht, als wäre es eine unschöne Erinnerung.
Jisung fragte sich in der Zwischenzeit, warum er noch hier saß, warum er nicht längst über die Klippe in den Tod gesprungen war, warum Leben ätzend und unfair war, warum er einen Körper besaß, wobei seine Eltern in einem Sarg verwesten und zu Staub zerfielen. Sein Blick kreuzte den des Spiegels, wo zwei Gestalten sich hinter Felix auftürmten. Zwei Gestalten, die nicht mehr unter den Lebenden weilten, dessen Haut zu deformierten, schwarzverkohlten Körpern wurden, die doch keine waren. In Jisung stieg die Galle hoch. Das Brennen der Säure bahnte sich einen Weg durch seine Speiseröhre, um sie schrittweise zu dezimieren, um ihn von Innen heraus auszudörren.
Er hatte es verdient.
Wieso hast du dich nicht gemeldet?
Wieso hast du dich nicht entschuldigt?
Wieso bist du nur so ein miserabler Sohn?
Jisung sprang von dem Stuhl auf. Felix erschreckte sich und schrie, sodass Gaya von ihrem Buch aufsah. Ihre Augen blickten voller Sorge zu ihm hinüber. Der Blonde blickte in den Spiegel und erkannte, dass dort niemand außer dem Meermann und er war.
"Tut mir leid", murmelte er und nahm wieder Platz. Er hatte nicht einmal die Kraft, um sich zu erklären.
Der Blonde hinter ihm, nahm den Faden seiner Erzählung, nach einem Stirnrunzeln, wieder auf.
"Jedenfalls kam die Stunde meines Auftritt, und ich fühlte mich großartig und bereit, doch dann stand ich vor dieser Masse an Menschen und zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich nicht sprechen. Und ich hatte das Gefühl von all diesen Augen, die zu mir aufstarrten, verbrannt zu werden, wie ein Toast im Toaster auf höchster Stufe."
Jisung nickte zur Bestätigung und hörte seinem Hintermann aufmerksam zu. Damit konnte er verhindern, dass diese Situation von gerade eben sich wiederholte.
"Ich habe mir gewünscht nicht mehr da zu sein. Einfach zu verschwinden. Und dann, ganz plötzlich, war ich umgeben von einer metallenen Hülle, die mich vor jedweden Blicken beschützte."
Kurz wurde Felix Blick traurig.
"Nach dieser Sache bin ich nie wieder auf die Bühne gegangen. Ich habe meine sieben Sachen gepackt, damit ich hier, an diesem Internat lernen konnte, wie es ist, diese Magie zu kontrollieren."
Der Mensch verstand diesen Gedanken, verstand jedoch auch seinen Blick. Felix vermisste seine Eltern, genau wie Jisung seine.
"Wir hängen an Musik, an Gedichten, an Zitaten, an Kunst, weil wir, zum Verzweifeln, nicht alleine sein wollen. Wir möchten wissen, dass wir nicht verrückt sind und irgendwer da draußen weiß genau, wie unser einer sich fühlt. Wir möchten jemanden, der die Sachen erklärt, die wir nicht können."

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Pearls {Minsung}
FanfictionIch werde dich lieben, so wie die See liebt. In sanften Wellen und grausamen Stürmen. ~Lee Minho~ Mermaid AU Minsung Boy x Boy Don't like, don't read! Nebenpairs: JeongChan Seungjin Changlix