10 - Alte Versprechen (Thranduil)

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Sanft fuhr ich mit meinen Fingerspitzen über die Kopfhaut meiner Tochter und schäumte ihre Haare mit Seife ein. Die kleinen Blasen, die sich immer wieder von neuem bildeten und dann platzten, bedeckten ihre blonden Haare, die wie meine leicht gewellt waren und sich in den Spitzen kringelten. "Nana?", fragte Melian plötzlich und drehte ihren Kopf so, dass ich ihre eisblauen Augen sehen konnte, die mich so sehr an ihren Vater erinnerten. "Ja, mein Engel?", fragte ich zurück, hörte dabei aber nicht auf, ihre Haare zu waschen. "Können wir gleich die Sterne beobachten? Du hast gesagt, dass man heute besonders viele Sternschnuppen sehen kann." Ich hörte für den Bruchteil einer Sekunde auf, meine Finger zu bewegen, als mich die Erinnerungen mit denen ich Sternschnuppen verband, zu überrollen drohten. "Natürlich können wir. Aber zuerst übst du mit der Okarina", antwortete ich und schöpfte etwas Wasser mit einem Becher aus der Wanne, damit ich den Schaum aus Melians Haaren waschen konnte. "Aber ich kann das doch nicht! Es kommen immer nicht die Töne raus, die ich hören will. Du kannst das viel besser!", beschwerte sie sich. Ich lachte leise. "Glaub mir, am Anfang war ich auch nicht besonders gut. Aber weißt du, was mir geholfen hat, das zu ändern?" Meine Tochter schüttelte den Kopf, wobei einige Tropfen Wasser aus ihren Haaren flogen und auf den weißen Fliesen zu zerschellen schienen.

"Sehr viel Übung und ein sehr gute Freund." Ja, ein sehr guter Freund war er gewesen. Und ich hatte ihn geliebt, genauso wie er mich. Ich spülte Melians Haare fertig aus und half ihr dann aus der Wanne, bevor ich sie ihn ein flauschiges Handtuch einwickelte. Während ich das Wasser aus der Wanne ließ, tapste sie in den Nebenraum, in dem wir beide schliefen. Als ich bei meinen Eltern ausgezogen war, hatte ich nicht gerade viel Geld besessen, weswegen ich mir nur dieses kleine Haus hatte Leisten können, das Leider nur mit vier Räumen ausgestattet war. Doch ich hatte noch nie das Gefühl gehabt, dass Melian hier unglücklich war. Wir beide liebten unser kleines Heim, aber manchmal stellte ich mir vor, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich nicht diese eine Entscheidung getroffen und hier her gezogen wäre. Ich schnappte mir die hölzerne Bürste und folgte meiner Tochter ins Schlafzimmer, wo ich damit begann, ihr die nassen Haare zu bürsten, während sie mit ihrer Okarina übte. Die Töne waren meistens schief, doch trotzdem kam eine Melodie zustande, die ich nicht als unschön bezeichnen würde.

Plötzlich ertönte das helle Klingeln unserer Türglocke und ich blickte verwundert auf. Wer kam zu so später Stunde noch hier her? Die meisten in diesem kleinen Dorf blieben ab Beginn des Sonnenuntergangs im Haus und nur selten sah ich noch Leute, wenn ich Abends spazieren ging. "Wer ist da, Nana?", wollte Melian leicht ängstlich wissen und lehnte sich etwas gegen mich. Auch sie war mit den Gewohnheiten des Dorfes vertraut und wenn nach Sonnenuntergang noch jemand klingelte, war es meistens jemand Fremdes. Das letzte Mal war fast ein Räuber in unser Haus eingedrungen und Melian hatte eine kleine Narbe davon getragen, weswegen ich ihre Angst durchaus verstand. Ich drückte meine Tochter kurz an mich. "Mach dir keine Sorgen, mein Engel. Bestimmt ist Elinas Katze nur wieder nicht zu finden und sie will mich fragen, ob ich sie gesehen habe. Bleib einfach hier im Zimmer und übe weiter, ja?" Melian nickte zögerlich und setzte die Okarina an ihre Lippen. Es klingelte erneut. Ich verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Hoffentlich war es wirklich nur Elina.

Zur Sicherheit holte ich meine Zwillingsdolche aus dem Schrank und hielt sie schützend vor mich, während ich auf leisen Sohlen zur Tür schlich und horchte. Melian hatte nicht angefangen zu spielen. Aus dem Schaben auf dem Kiesweg, der vor dem Haus entlang führte, konnte ich entnehmen, dass sich ein wartendes Pferd vor der Tür befand. Kein Räuber oder anderes Gesindel würde mit einem Pferd hier her kommen. Ich ließ die Dolche etwas sinken, dann öffnete ich die Tür. Und erstarrte. Ein hoch gewachsener Elb mit blonden, seidig langen Haaren stand auf meiner Türschwelle, in ein helles Gewand gekleidet, das unter seinem beinahe schwarzen Umhang hervor blitzte. Thranduil. Er war hier. Er hatte mich gefunden, nach all den Jahren. Ich blinzelte einige Male, um mich zu vergewissern, dass ich nicht fantasierte und er mit einem Mal wieder verschwinden würde, als wäre er nie da gewesen. Erst jetzt wurde mir bewusst, wen ich dort eigentlich vor mir hatte und ich machte hastig einen Knicks. "Mein Prinz", begrüßte ich ihn, doch blickte ihn dabei nicht an sondern hielt meine Augen gesenkt. Auch der neckische Ausdruck, den ich sonst immer dabei in der Stimme gehabt hatte, blieb aus. Als würde mein altes Ich nicht mehr existieren.

𝓜𝓲𝓽𝓽𝓮𝓵𝓮𝓻𝓭𝓮 𝓞𝓷𝓮𝓼𝓱𝓸𝓽𝓼Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt