007 - Zwei kleine Lügen

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Mit federnden Schritten lief ich durch den Wald. Eigentlich sollte ich ja bei der Garde und meinen Eltern bleiben, aber ich musste mal wieder alleine sein. Als Prinzessin hatte ich nicht viel Zeit raus zu gehen und alleine durfte ich das schonmal gar nicht. Obwohl ich im Umgang mit dem Schwert ziemlich gut war und mich leicht selber verteidigen konnte, ließen mich meine Eltern nirgendwo alleine, außer in meinem Zimmer. Mein Schwert hatte ich immer dabei, nur zu festlichen Anlässen blieb es in meinem Zimmer. Für die Leute im Schloss war es ziemlich normal, ihre Prinzessin in Hose, Bluse und mit einem Schwert am Gürtel herum laufen zu sehen. Meine Eltern waren nicht unbedingt dagegen, aber wenn Besuch von außerhalb da war, bestanden sie darauf, dass ich die Kleidung einer Prinzessin trug.

Im Moment waren wir auf dem Weg zum Schloss des Nachbarkönigreichs. Meine Eltern wollten mal wieder versuchen, mich mit einem Prinzen zu verheiraten, da ich neunzehn war und immer noch keinen Mann hatte. Aber ich befürchtete, er würde genau wie alle anderen sein. Langweilig und ohne Humor. Ich war noch nie in diesem Königreich gewesen und die Bäume dieses Waldes faszinierten mich sehr. Das Geäst und die Blätter waren nicht so dicht wie zuhause, sodass viel Sonnenlicht auf die Pflanzen am Boden fiel. Auch die Pflanzen hier waren mir neu. Es gab Beeren, die ich noch nie zuvor gesehen hatte und die Blumen waren viel farbenfroher. Gerade wollte ich mich nach unten beugen um eine violette Rose zu pflücken, da hörte ich ein knurren hinter mir. Meine Hand wanderte sofort zum Griff meines Schwertes. Während ich mich umdrehte zog ich es.

Vor mir stand ein Wolf, der so groß war wie ein Pony. Er fletschte die Zähne und ging einen Schritt näher. Ich atmete tief durch und rief mir mein Training ins Gedächtnis. Dann wartete ich mit Herzklopfen, bis der Wolf angriff. Als er einen Sprung auf mich zu tat, wich ich zur Seite aus und verpasste ihm einen Schnitt mit meiner Klinge. Er jaulte auf und versuchte wieder mich zu erwischen, doch wie beim ersten Mal wich ich geschickt aus und ließ mein Schwert durch das Fleisch des Wolfes schneiden. Ein letztes Mal griff der Wolf an, doch erneut entkam ich seinem Gebiss und versetzte ihm den Todesstoß. Mit neutralem Blick betrachtete ich das erlegte Tier. Wieso war es so groß? Nachdenklich säuberte ich mein Schwert mit einem Tuch und steckte es wieder weg.

Wenn meine Eltern erfuhren, dass ich gegen einen übergroßen Wolf gekämpft hatte, würden sie wahrscheinlich aus Sorge, dass mir etwas passiert sein KÖNNTE, fast sterben. "Geht es euch gut?", ertönte plötzlich eine männliche Stimme hinter mir. Ich wirbelte herum und stand einem blonden Mann gegenüber. "Ja, mir geht es gut. Wieso fragt ihr?" Sein ungläubiger Blick entging mir nicht, als er antwortete. "Ihr habt gerade alleine gegen einen Grimm gekämpft und seid weder ängstlich gewesen noch seid ihr jetzt verletzt", erklärte er. "Was hättet ihr von mir erwartet zu tun? Zitternd auf dem Boden zusammen zu brechen, anfangen zu weinen und auf meinen Tod zu warten?", fragte ich etwas belustigt. "Nein, das erscheint mir jetzt nicht so schlau. Verzeiht, aber ich war überrascht, als ich sah das ihr mit einem Schwert umgehen könnt. Zuerst hielt ich euch für einen Mann", gab er zu.

"Naja, es ist ja auch nicht gewöhnlich für Frauen ein Schwert zu führen", tat ich seine Verwechslung ab und grinste. "Was tut ihr ganz alleine im Wald?", wollte der Blonde von mir wissen. "Das selbe könnte ich euch Fragen", erwiderte ich und schlug dann vor: "Ich verrate euch, wieso ich alleine hier bin und ihr tut es dann ebenfalls?" "In Ordnung", willigte er ein. "Ich bin eine gute Freundin der Prinzessin von Alieas. Und sie ist mit ihren Eltern und einer Garde auf dem Weg zum Schloss. Die Prinzessin bat mich sie zu begleiten und jetzt machen sie gerade eine Pause, da habe ich die Chance genutzt den Wald etwas zu erkunden." Es war nicht wirklich die Wahrheit, aber ein komplette Lüge hatte ich ihm auch nicht erzählt . "Und ihr?" Der Mann hielt kurz inne, dann antwortete er.

"Ich bin Mitglied der königlichen Leibwächter und habe gerade frei. Und da das Wetter so schön ist, wollte ich etwas im Wald spazieren gehen", offenbarte er nun seinerseits. "Darf ich Fragen wie euer Name ist?" Ich überlegte kurz, ob es schlau wäre ihm meinen Namen zu verraten, aber notfalls könnte ich auch sagen, ich hätte zufällig den selben Namen wie die Prinzessin. "Mein Name ist Lillieth. Wie heißt ihr?" "Mein Name ist Lias", antwortete er und lächelte mich an. "Ich sollte wohl langsam zurück gehen. Die Prinzessin wird bestimmt bald weiter gehen", meinte ich und wandte mich zum gehen, doch Lias nahm behutsam mein Handgelenk. "Meint ihr, die Prinzessin könnte euch für einige Stunden freistellen? Dann könnten wir uns in den Gärten wieder sehen, wenn ihr nichts dagegen habt." Ich überlegte. Ich könnte meine Eltern sicherlich dazu bringen, mich alleine in die Gärten gehen zu lassen.

"Das lässt sich sicher bewerkstelligen", versprach ich ihm. "Dann sehen wir uns morgen zur Mittagszeit in den Gärten?" Ich nickte. "Bis morgen zur Mittagszeit in den Gärten." Mit diesen Worten entzog ich Lias mein Handgelenk und lief zurück zu meinen Eltern und der Garde. Zum Glück sprachen mich meine Eltern auf mein Verschwinden nicht an und so stieg ich wieder auf mein Pferd. Ich hatte mich geweigert in die Kutsche zu steigen, da es dort drinnen immer so unglaublich stickig war. Deswegen hatten mir meine Eltern erlaubt, mit dem Pferd zu reisen. Nach einer halben Stunde erreichten wir das Schloss. Ich musste zugeben, es war beeindruckend. Ob die Gärten wohl genauso schön waren? Angestellte der königlichen Familie führte uns zu unseren Gemächern und ich zog mich um. Meine Eltern hatten auf ein etwas auffälligeres Kleid bestanden.

Also trug ich nun ein graues-blaues, bodenlanges Kleid, das von dünnen Trägern gehalten wurde. Das Kleid hatte einen etwas weiteren Rock und meine Oberarme wurden von dünnem Tüll bedeckt. Mutter wollte mir unbedingt eine Frisur machen, doch ich schaffte es sie zu überreden, meine schwarzen Locken offen zu lassen. Eine kleine Kette mit einem dunkelblauen Stein als Anhänger zierte meinen Hals. Glücklicherweise musste ich keine Mördertreter anziehen, weswegen ich nur einfache Ballerinas trug. Zu meinem Leidwesen hatte Mutter mir ein Diadem aufgesetzt. Immerhin war es nur ein zierliches aus Silber, welches hoffentlich nicht die Aufmerksamkeit eines bestimmten Leibwächters auf sich zog. Denn wenn Lias herausfand, dass ich eine Prinzessin war, würde er sich bestimmt nicht mehr mit mir treffen. Zwischen meiner Mutter und meinem Vater lief ich zum Thronsaal, in dem uns die Königsfamilie empfangen würde.

"König Athur, Königin Lisena und Prinzessin Lilieth", kündigte uns ein Mann an, bevor die Tür geöffnet wurde und ich mit meiner Familie den Saal betrat. Mein Blick wanderte über die Familie, die uns gegenüber stand. Und er blieb bei einem blonden Mann mit Krone auf dem Haupt hängen. "Lilieth?", kam es überrascht von ihm. "Lias?", fragte ich genauso überrascht zurück. Aber er hatte doch gesagt, er wäre ein königlicher Leibwächter? Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Lias hatte gelogen, genauso wie ich. Wir beide begannen leise zu lachen. "Die Freundin der Prinzessin... wieso habe ich das eigentlich geglaubt?", meinte er grinsend. "Die Lüge mit dem königlichen Leibwächter war aber auch nicht die beste", erwiderte ich, ebenfalls grinsend. Unsere Eltern blickten uns vollkommen verwirrt an. "Du kennst ihn?", fragte meine Mutter und sah zwischen uns hin und her.

"Wir trafen uns heute im Wald und er hielt mich im ersten Moment für einen Mann", erzählte ich und musste bei der Erinnerung fast wieder los lachen. Lias warf mir einen anklagenden Blick zu. "Nur weil ihr ein Schwert geführt habt", verteidigte er sich und tarnte sein Lachen in einem Husten, was ihm kläglich misslang. "Nun, kann die Prinzessin euch immer noch für morgen Mittag freistellen? Es müsste sich doch sicher bewerkstelligen lassen", fragte Lias und grinste mich an. "Ja, ich bin mir sicher die Prinzessin lässt mir ein paar freie Stunden", antwortete ich lächelnd, während unsere Eltern absolut gar nichts mehr verstanden. Vielleicht war der Prinz ja doch nicht so wie alle anderen.

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Ich bin gerade so richtig stolz auf diesen Oneshot. Wie findet ihr ihn?

𝓜𝓲𝓽𝓽𝓮𝓵𝓮𝓻𝓭𝓮 𝓞𝓷𝓮𝓼𝓱𝓸𝓽𝓼Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt