Ich war nun drei Wochen alt, als Dan nicht wie gewöhnlich morgens zu unserer Box kam, um uns abzuholen. Er kam eine Stunde später als sonst und brachte diesmal zwei Halfter mit. Er öffnete die Boxentür und legte meiner Mutter das Halfter an. Sie ließ es geschehen und rührte sich nicht, bis es ihr auf dem Kopf saß.
Nun kam Dan mit dem zweiten Halfter zu mir. Es war viel kleiner, als das meiner Mutter und hatte die Farbe dunkelgrün. Ich schnupperte daran. Es roch nach einem anderen Pferd und nach Stall. Vorsichtig legte Dan mir einen Riemen um die Nase, doch ließ den Rest noch in seiner Hand baumeln. Ich schreckte einen Moment zurück, da es sich ein bisschen so anfühlte, als würde er mein Maul gefangen nehmen, doch als er es ein zweites Mal über meine Nase legte und ich in diesem Moment ausgiebig gähnen musste, wusste ich, dass es nicht so war.
Dan übte mit mir jeden Tag das Halfter anzulegen, bis er sich traute mir es ganz über den Kopf zu legen. Als das geschafft war, übten wir nun Tag für Tag neben ihm her zu gehen. Ich durfte nicht vor ihm gehen und musste meine Schulter immer neben ihm halten. Ich durfte auch nicht am Strick zerren, in die Richtung, in die ich wollte. Ich lernte sehr schnell und es machte mir auch Spaß mit ihm zu arbeiten, auch wenn er manchmal ein paar misstrauische Blicke auf meinen Stern warf und etwas vor sich hinmurmelte, was ich nicht verstehen konnte.
Die Zeit verging und eines morgens stand nicht nur Dan vor unserer Box, sondern auch ein zweiter Mann. Als ich genau hinsah, erkannte ich, dass es der Mann war, der bei Bendits Tod gekommen war. Das machte mich ein bisschen nervös, aber ich blieb ruhig stehen, denn meine Mutter tat das gleiche. Der Mann schob die Tür auf und besprach etwas mit Dan.
„Ist das Cinderella?", fragte er.
Dan nickte.
„Eine prachtvolle Zuchtstute", meinte er.
„Oh ja", stimmte Dan ihm zu.
Dann strich er meiner Mutter kurz über die Nüstern, aber ging dann auf mich zu. Er musterte mich kurz, aber eindringlich.
„Das ist Nakitor?" Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, „Auch wunderschön. Wer ist sein Vater?"
„Ich bin ganz deiner Meinung. Ich habe Cinder letztes Jahr von Naestor decken lassen. Dieses Jahr überlege ich aber, ob Furio nicht besser geeignet wäre. Schaue dir sein Abzeichen an. Ich bin nicht sicher, ob es nicht zu groß ist. Naestor hat auch nur knapp die Auszeichnung erhalten. Obwohl er doch so einen schönen Stammbaum hat."
Der andere zuckte nur mit den Schultern. „Wenn er es nicht schafft, gib ihn mir und ich gebe ihn meiner Schwester. Sie hat doch die Pferdetherapie und legt auf Reinrassigkeit und perfekte Züchtungen keinen Wert."
„Lass uns darüber noch keine Gedanken machen. Es dauert noch eine ganze Weile bis dorthin."
Der andere nickte und klappte seinen Koffer auf, den er mitgebracht hatte. Er beförderte ein kleines Ding mit einer spitzen Nadel, die eine Kappe bedeckte aus einer Tüte hervor. Die Kappe nahm er ab und ging zu meiner Hinterhand.
„Halte ihn bitte fest", sagte er.Dan, der mir in der Zwischenzeit, in der sie geredet hatten, ein Halfter angelegt hatte, hielt dieses nun fest, sodass ich ihn meinen Kopf nun fast nicht mehr bewegen konnte. Plötzlich fuhr die Spritze in meinen Rücken und ein stechender Schmerz fuhr mir in die Hinterhand, sodass ich am Halfter meinen Kopf hochriss, meine Nüstern blähte und meine Ohren panisch aufgerichtet hatte. Mir entfuhr ein lautes Wiehern. Was war das gewesen? Nervös tänzelte ich hin und her und wollte auf die andere Seite meiner Mutter fliehen, doch Dan hielt mich fest. Ich stampfte mit dem Huf aus.
„Vielleicht wäre Percy, doch besser geeignet als ein Therapiepferd.", meinte Dan
„Ach übrigens, wir haben eine Gen-Probe von ihm ans Labor geschickt und wissen jetzt was bei seiner Farbe falsch ist"
Dan ließ mich los und redend verließen sie den Stall. Für heute kam ich nicht mehr auf die Weide.
In den nächsten Tagen tat meine Hinterhand bei hektischen Bewegungen noch ein kleines bisschen weh, aber der Schmerz ebbte schnell wieder ab.
Und als ich Sylvett und Darice darüber erzählte, meinten sie, sie hätten auch diese Spritze bekommen und ihre Mütter nannten es „Impfung".
Cassiopeia stand nun nicht mehr bei uns auf der Weide. Sie war jetzt auf der Wiese gegenüber von uns, wo die Jungstuten, die dieses Jahr kein Fohlen erwarteten oder für nächstes Jahr gedeckt waren standen. Bendit war erst ihr zweites Fohlen, so war Cassiopeia erst sechs Jahre alt. Auf der Wiese, auf der sie blieb, stand auch Estelle, die junge, nicht sehr gesprächige Haflinger Stute. Oft stand sie am Zaun der Koppel und guckte, wie es schien, sehnsüchtig in die Ferne. Manchmal kamen Cassiopeia oder andere Pferde zu ihr, doch sie senkte dann nur ihren Kopf und ging schweigend davon. Über die Wiese galoppieren, wie es junge Pferde auch noch zuweilen taten, sah man sie nie. Sie senkte lieber ihren Kopf ins Gras und begann still, für sich allein zu fressen.
Einmal fragte ich meine Mutter nach Estelle, aber ganz genau wusste sie es auch nicht.
Aber was sie wusste, wollte sie mir nicht erzählen. Sie meinte es wäre noch zu schmerzhaft für meine kleinen Fohlenohren.
Seitdem interessierte es mich noch mehr und ich wollte nicht lockerlassen, doch meine Mutter war genauso stur wie ich und gab nicht nach, es mir zu erzählen.
Irgendwann ignorierte sie die Frage einfach und unterhielt sich mit den anderen Stuten oder graste mit Heaven oder Salvia.
Bald vergas ich die Frage auch und die Tage wurden nun immer wärmer. Ich war schon zwei Monate alt und Dan führte uns manchmal erst zum Putzplatz und rieb uns ab, bevor wir abends wieder in die Box kamen. Das war gut, denn ich schwitzte meistens, wenn ich mit meinen Freunden über die Wiese tollte. Am liebsten aber, mochte ich immer noch Darice. Die anderen waren auch nett, aber sie war die erste die ich von den anderen Fohlen kennengelernt hatte und sie verstand auch, wenn es mal genug war und ich eine Pause brauchte oder Hunger hatte und spornte mich in der Zeit, anders als Sylvett, nicht zum Spielen an.
Darice war wirklich die Beste Freundin, die man sich wünschen konnte.
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Nakitor II Deutsch
RandomNakitor wuchs auf einem Haflingerzuchthof als Fohlen glücklich auf, doch als er danach verkauft wird, muss er lernen wie unfair das Leben sein kann, egal wie sehr man sich anstrengt.