7.

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Eric

Mein Fuß wippt unruhig auf und ab. Immer wieder blicke ich auf meine Uhr, um entnervt festzustellen, dass kaum mehr als eine Minute vergangen ist. Dann schiebe ich meinen Hemdärmel wieder über das Metall, nur um die Prozedur kurz darauf zu wiederholen.
Ich sehe meine Reflexion im schmierigen Fenster vor mir. Mein schwarzes Haar ist akkurat in der Mitte geteilt und glänzt selbst im spärlichen Licht des Flurs.

Eine weitere Minute ist vergangen. Ich schüttele meinen Arm aus und falte die Jacke auf meinen Knien, obwohl dies nicht nötig wäre. Meine Hände brauchen etwas zu tun.
Ich bin kurz davor einfach in das Zimmer zu stürmen. Was wollen sie tun? Mich schocken und rückwärts aus dem Raum schleifen?
Zutrauen würde ich es dem Personal, sie sehen alles andere als freundlich aus, patrouillieren die Gänge wie in einem Hochsicherheitsgefängnis.

Als ich den Blick von dem faltenfreien Stoff auf meinen Beinen hebe, kommt eine zierliche Krankenschwester auf mich zu. Sie schlägt sofort die Augen nieder, als sie mich sieht. Sie duckt sich beinahe weg.
"Kann ich jetzt zu ihm?", rufe ich ihr zu, obwohl sie noch lange nicht auf meiner Höhe angekommen ist.

"Er schläft noch", lautet die knappe Antwort.
Sie bremst ihre Schritte nicht ab, sie will an mir vorbeilaufen, also stehe ich auf und blockiere ihr den Durchgang.
"Können Sie ihn nicht wecken?"

Meine Stimme gibt ihr unmissverständlich zu verstehen, dass ich nicht länger hingehalten werden will.
Sie blickt mich mit hochgezogenen Augenbrauen herausfordernd an.
Ihr 'Wie bitte?!' ist so laut, dass sie es nicht auszusprechen braucht.

"Er braucht die Ruhe. Außerdem bin ich nicht befugt Besuchererlaubnisse zu erteilen. Sie sind nicht verwandt, oder?"
"Nein, aber ich bin ein Freund."
Ich knirsche mit den Zähnen.

Die Barbie vor mir blickt einmal meinen Körper hinunter. Ihr scheint zu gefallen, was sie da sieht, oder sie rechnet sich ihre Chancen aus, sollte ich handgreiflich werden. Ich bin sicher, mein Gesicht hat inzwischen einen bedrohlichen Ausdruck angenommen.
Was auch immer es ist, etwas scheint in ihrem Köpfchen zu klicken. Sie blickt hastig nach links und rechts.
"Nicht länger als eine halbe Stunde. Ich bin die einzige auf Station über die Abendstunden. Wenn Sie erwischt werden, habe ich damit nichts zu tun."

"Na also", zische ich zermürbt und schiebe mich an ihr vorbei, öffne die Tür zu Bens Krankenzimmer.
Paul hat ihm ein Einzelzimmer im hintersten Trakt des Krankenhauses besorgt. Wenn er am Telefon seinem Ärger über seinen nichtsnutzigen Sohn keine Luft gemacht hätte, hätte ich nie von Bens Unfall erfahren.

Er schläft tatsächlich.
Als ich ihn durch das Glasfenster zum Flur beobachtet habe, dachte ich, dass er lediglich so tut, um mich abzuweisen. Aber seine Brust hebt und senkt sich tatsächlich gleichmäßig. Seine Lider zucken.

Sein Kopf ist verbunden, das schöne Gesicht zerschrammt. Ich habe es nie für möglich gehalten, dass seine Haut Schaden nehmen könnte, egal, wovon. Sie wirkte immer so unantastbar, wie die eines griechischen Gottes.
Kein Faustschlag konnte seine Wange zum Platzen bringen. Kein Fingernagel, der über seine Haut gezogen wurde, konnte je mehr als rote Kratzer hinterlassen.

Er hat nie geblutet, nicht äußerlich. Und jetzt liegt er hier, seine Wunden noch ganz frisch.
Ich erinnere mich daran, wie oft er vor mir auf dem Boden kniete, Blut spukte und zu mir auflachte.
"Die haben wir fertig gemacht", hallt seine Stimme durch den Kopf.
Jetzt haben sie dich fertig gemacht, denke ich.

Einmal habe ich sogar seine Nase zum Bluten gebracht, als ich aus Versehen vor Euphorie die Arme zu weit ausgebreitet habe und mit meinem Handrücken unter seine Nase schlug. Aber nie seine Haut.
Seine Haut war immer unantastbar. Unabhängig davon, mit wie vielen Typen er sich gleichzeitig prügelte.

almost Love [boyxboy]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt