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Eric

Song: Best Years - 5 Seconds of Summer

Mein 'Vielleicht' hängt zwischen uns wie giftiger Nebel, der unsere Gliedmaßen in den letzten, quälend langsam verstreichenden Minuten erfolgreich gelähmt hat.
Als Erstes kann ich meinen kleinen Finger wieder bewegen, dann meine ganze Hand. Dann stehe ich auf.

Ich achte nicht darauf, ob Bens Augen mich verfolgen, ob er irgendeine Regung zeigt, als ich aufstehe und gehe.
Ich wünschte - wenigstens in diesem Moment -, dass ich einfach gehen könnte, raus aus dieser Wohnung, einfach die Tür hinter mir zuziehen und irgendwo ein neues Leben anfangen könnte, ohne die Erinnerungen des vergangenen.

Aber diese Option besteht nur in meinem Kopf, also gehe ich in die Küche und schenke mir ein Glas Wasser ein. Mein Mund ist zwar trocken und erinnert eher an Schmirgelpapier als Schleimhaut, aber ich bezweifle, dass ein Glas Wasser daran etwas ändern wird.
Nichtsdestotrotz lasse ich die kühle Flüssigkeit meine Kehle herunterlaufen und schiele dabei aus dem Augenwinkel zu Benny herüber, der immer noch regungslos auf dem Sofa sitzt.

Mit dem Unterschied, dass er seinen Oberkörper zu mir gedreht hat und mich unauffällig beobachtet.
"Machst du das eigentlich mit Absicht?", fragt er, als er meinen Blick bemerkt.
Ich hebe die Augenbrauen, ohne abzusetzen.
"Na, dieses anzügliche Trinken, als hättest du einen Schwanz im Mund", fährt er fort, ohne mit der Wimper zu zucken.

Ich würge, das Wasser schießt beinahe aus meiner Nase heraus und ich spucke den restlichen Inhalt meines Mundes in die Spüle.
"Was?", pruste ich, das Lachen unweigerlich in meiner Brust vibrierend.
"Komm schon. Du weißt genau, was ich meine", versucht er mich aufzuziehen und auch, wenn ich gerade das matte Silber meines Waschbeckens vor mir habe, kann ich sehen, wie Ben mit den Augen rollt. Wie seine Schwester.

"Das bildest du dir ein. Oder viel mehr ...", ich umrunde die Kücheninsel und baue mich vor ihm auf, "du hast Wunschvorstellungen und kannst gar nicht anders, als puren Sex in mir zusehen."
Wo ist das 'Vielleicht' hin, das eben noch zwischen uns gehangen hat?
Ich bekomme keine Gelegenheit darüber nachzudenken, denn Ben steht plötzlich auf, schiebt die Hände in die Hosentaschen und blicke mich durch wirre Strähnen hindurch an.

"Das mache ich ganz bestimmt nicht. Ich bin mir sicher, dass der erste Porno, der uns auf der Startseite von PornHub vorgeschlagen wird, ist heißer, als du und diese ... anzüglichen Dinge, die du immer abziehst."
"Auch, wenn er hetero ist?"

Ben nickt bestimmt.
"Außerdem", schiebe ich hinterher und drücke die Schultern durch, "verhalte ich mich überhaupt nicht anzüglich, ich beweg mich völlig normal, aber du -"
Eine Faust greift nach meinem Kragen. Beinahe schnappe ich nach Luft, aber ich schaffe es Contenance zu wahren.

"Was soll das jetzt werden?", frage ich, möglichst ungerührt, obwohl sich mein Atem gerade verschnellert hat.
"Halt die Klappe", knurrt der Jüngere und starrt mir in die Augen.
Das hat er so lange nicht mehr gemacht, jedenfalls nicht so.

Da ist zwar immer noch diese unendliche Wut und der Hass, aber da ist auch dieser Funke Leben, den er früher immer hatte, wenn ich mich nachts mit ihm in sein Zimmer geschlichen habe oder wir zusammen im Hinterhof irgendeiner Bar ein paar Typen vermöbelt haben.
Da ist es wieder.

Wenn wir uns unter anderen Umständen gegenüberstehen würden, würde ich ihn jetzt an mich ziehen und ihn küssen. Aber ich verbiete meinen Lippen sich zu teilen und meinem Kopf sich nach vorn zu schieben und meinem Nacken sich leicht zu senken.
"War das früher auch so? Hast du mich da auch beobachtet und einen Ständer bekommen?"

Ich versuche, seine Sprache zu sprechen, wenn er auf meine nicht reagieren will.
"Klar. Früher sahst du aber auch um einiges besser aus."
Ich fasse mich getroffen an die Brust und streife dabei seinen Unterarm mit den Fingerknöcheln, seine Narbe um genau zu sein.
Ich kann nicht anders, meine Augen senken sich auf sein verletztes Fleisch, das lange verheilt ist.

"Ich sehe jetzt noch besser aus, als damals."
Ben lacht in mein Gesicht und lässt mich los.
"Wenn du das glauben möchtest, aber du hast etwas Langweiliges bekommen, weiß auch nicht. Außerdem nenne es nicht immer damals."

Ich lege die Stirn in Falten.
"Aber es ist über fünf Jahre her, dass ich gegangen bin. Über ..."
Ich überlege. Ich weiß gar nicht mehr, wann das mit uns genau angefangen hat. Es muss über neun Jahre her sein.

"Ist doch egal. Zeit ist relativ."
Mit diesen Worten steuert Ben auf das Deko-Regal zu, baut sich davor auf und inspiziert es desinteressiert. Dabei zieht er ständig sein Shirt herunter.
Als sein Profil in mein Blickfeld tritt und ich mich neben ihn gegen das helle Holz lehne, ist das Verlangen, ihn zu küssen, beinahe unerträglich.

"Du bist aber auch nicht mehr so wie ... früher."
Ich ernte keinen Zuspruch dafür, dass ich nicht mehr das Wort 'damals' benutze, sondern einen skeptischen Seitenblick, bevor seine lange Nase erneut das Bild vor mir dominiert.
"Ben?"

Er gibt ein dumpfes Geräusch von sich, das meine Brust zusammenziehen lässt.
"Wenn du schon nicht mit mir reden willst, kannst du mir dann wenigstens etwas versprechen?"
"Versprechen sind nur Behauptungen."
Er schnippt eine weiße Giraffe, die mir noch nie zuvor aufgefallen ist, mit dem Finger um und lässt mich zurück, um ihr wie in Zeitlupe beim Fallen zuzuschauen.

"Du würdest darauf hoffen, dass etwas in naher oder ferner Zukunft eintreffen wird, dabei wird es das nicht. Weil ein Versprechen nichts wert ist."
Bens Stimme ist ruhig und ich glaube, ich habe ihm selten so genau zugehört. Sonst hängt er mir für gewöhnlich an den Lippen.

"Ein Versprechen ist etwas wert. Auch, wenn es vielleicht nie Wirklichkeit wird, ist es ein Beweis dafür, dass man sich im Moment bemühen will, dass man es versucht", sage ich leise und in einem einzigen Atemzug.
"Und? Was ist dieser Moment wert? Nichts! Er ist vorbei. Puff! Schon wieder vorbei."

Ben baut sich erneut vor mir auf. Breitbeinig und mit grimmigem Gesicht verdeutlicht er mit seinen leeren Händen, dass man besagten Moment nicht festhalten kann und er deswegen keine Wertigkeit hat.
Er versteht nicht, welchen emotionalen Wert ein Moment haben kann.
Da steht er vor mir. Ein gebürtiger Gegner, gleichrangig, der mich aus hungrigen Augen anfunkelt.

Und dann küsse ich ihn. Oder er mich.
Ich weiß es nicht. Ich sehe ihn nur näher kommen, oder mich näher kommen.
Ich spüre seine Lippen auf meinen oder meine auf seinen. Und dann taucht meine Zunge in seinen Mund und ich vergesse alles.

Den Moment. Die Narben. Die Vergangenheit. Und die Keramikgiraffe, die jetzt einen abgebrochenen Hals hat.

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Sorry, da bin ich mal wieder in die philosophische Schiene gerutscht. NOT SORRY haha :) + ich mag die Endsätze irgendwie voll :)

So. Ich muss das hier jetzt machen. Guckt euch "Through My Window" an! Der deutsche - nicht ganz so gute Titel - lautet "Ich sehe nur dich".
Leute, ich habe gestern wirklich schreiend vor meinem Tablet gesessen! It's that good.
Natürlich nicht für jeden, aber ich bin soooo ein sucker für solche Filme. Okay.

und noch was zu Serien: Das Ding ist, ich kann es fast nicht erwarten, dass das Wochenende vorbei ist & ich weiß, wie unmenschlich sich das anhört - das ist es auch, dass möchte ich gar nicht rechtfertigen - aber am Sonntag kommt eben die neue Folge von Euphoria raus und ich kann es kaum erwarten!!
Guck jemand von euch die Serie???

All my (spanish) (hehehe) Love,
Lisa xoxo

almost Love [boyxboy]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt