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Ben

Song: First Call - JESSIA

Ein Knacken in der Leitung. Ein paar Straßen weiter fährt ein Wagen mit quietschenden Reifen und überholtem, heulendem Motor an. Und dann die weichste Stimme, die ich je gehört habe und die es immer wieder schafft mich aus dem Stand zu beruhigen.
Er sagt meinen Namen, fragt, wie es mir geht, ob etwas passiert ist.

Es tut mir weh, dass er gleich vom Schlimmsten ausgeht. Noch mehr allerdings tut mir das Gewissen weh, dass diese Sorge legitimiert ist. Bei mir sollte man immer vom Schlimmsten ausgehen, da dem meistens so war. Und ich hasse das an mir. Ich hasse diese dunkle Seite, die Tag und Nacht die Oberhand hat und nun auch noch Eric zu diesem besorgten, abschätzenden Menschen gemacht hat.

"Ich - Mir geht es gut", lüge ich, ein Mechanismus, den man nicht mehr so einfach ablegen kann, wenn er erst einmal antrainiert ist.
"Bist du schon wieder vor irgendeinem Club und brauchst eine billige Taxifahrt nach Hause?"
Seine Bettdecke streicht den Hörer und lässt eine Gänsehaut über meine Wirbelsäule kriechen.

Seine Heimfahrt habe ich mit einer großen Portion von meiner Ehre und meinem Stolz bezahlt. Es war, streng genommen, die teuerste Taxifahrt, die ich je unternommen habe. Ich habe meine Prinzipien für ihn gebrochen, bin schwach geworden.
"Nein, ich bin ... ich bin Zuhause", lüge ich und damit es glaubwürdiger klingt, füge ich hinzu: "Ich konnte nicht schlafen und stehe gerade auf der Terrasse."

Im Nachhinein klingen diese Worte nicht weniger schwach. Sie beherbergen die klare Nachricht, dass ich ihn anrufe, weil ich nicht schlafen kann.
"Aha."
Sein Bariton vibriert durch meinen Kopf.

Wie schön es doch wäre, jetzt tatsächlich auf unserer Terrasse zu stehen, vor mir der vom Mondschein überflutete Rasen, eine Zigarette in meiner freien Hand und umschwirrt von den Motten, die unseren Garten besiedeln.
Stattdessen blicke ich auf eine Wand, die unzählige Male angepisst und angekotzt wurde, sodass sich ein dunkelbrauner Gürtel im unteren halben Meter entwickelt hat.

Und ich blicke auf die Müllcontainer des Clubs, mit der Sorge, dass jeden Moment die Metalltür hinter mir aufschwingen und betrunkene Feiernde heraus taumeln und meine Tarnung auffliegen lassen würden.
Ich muss pokern, wie ich es schon so oft in und mit meinem Leben getan habe.

Ich stelle mir vor, meine Hand würde den kühlen, glatten Stein der Balustrade ertasten, so wie ich es vor ein paar Wochen getan habe, mit Eric an meiner Seite, Rauch in meinen Lungen und diesem ziehenden Flattern in der Brust.
"Habe ich dich geweckt?", stelle ich die stumpfeste Frage, die mir einfällt und erreiche damit, worauf ich gehofft habe; ein Lachen.

"Nein, stell dir vor, ich bin um ..." Eine Pause entsteht, sicherlich weil er sich streckt, um auf die Uhr zugucken. "2:34 Uhr tatsächlich noch wach und überarbeite eine Präsentation, vor fünf Minuten habe ich mir ein Hähnchen in den Ofen geschoben."
"Du hast gar keinen Ofen", werfe ich kichernd ein.

Ich erinnere mich noch genau, wie er sich darüber beschwert hat, dass seine Küche keine vernünftige Küchenzeile hat, als er mir von seiner neuen Wohnung erzählte. Aber er ist störrisch und will keine größere Wohnung als eine Zweizimmerwohnung und diese scheinen in ganz Fitchburg ausschließlich mit Mikrowellen ausgestattet zu sein, wenn sie nicht gänzlich leer stehen und Wohnung möblieren hat er schon immer gehasst wie die Pest.

"Da hat aber jemand gut zugehört."
Der stichelnde Unterton entgeht mir nicht.
"Glaub es oder glaub es nicht, aber man sagt mir nach, ein großartiger Zuhörer zu sein", raune ich.
Wenn ich nicht gerade high, besoffen oder in einem tiefen Loch meiner Seele liege. Doch diese Worte bleiben in meinem Kopf, für niemanden hörbar.

almost Love [boyxboy]✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt