9. Dezember

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Emma stieß ihren Atem aus, sobald sie die schließende Haustür hörte.

Verflixt, sie war so nahe dran gewesen, sich zu blamieren. Denn sie wollte Rodja wirklich küssen. Einen Mann, den sie gerade einmal vierundzwanzig Stunden kannte.

Kein Wunder war er vor ihr zurück geschreckt.

Sie hatte sich quasi ihn an den Hals geworfen und sich aufgeführt wie eine Frau, die es bitter nötig hatte, sich von einem Mann etwas Zuneigung zu fordern. Das schreckte wohl jeden Mann ab. Besonders so jemand wie Rodja. Auch wenn sie ihn noch nicht so gut kannte, dachte sie sich schon, dass er eher ein Einzelgänger war. Zumindest was Frauen anging.  Immerhin lebte er in der Einsamkeit und als sie hier ankam, hatte er kaum mit ihr gesprochen.

Vielleicht war da so etwas wie sexuelle Anziehung, aber das wunderte Emma auch nicht, wenn er alleine lebte. Und nun kam sie daher und...

Jurij quiekte leise, als ob er sie sanft von ihren Grübeleien ablenken wollte und er schaffte es auch.

"Du willst deine Flasche, habe ich Recht? Ich sollte mich so langsam darauf konzentrieren, meine Arbeit zu erledigen, auch wenn es eher ein Gefallen ist."

Sie knuddelte das Kind.

"Ach, Wölfchen. Du hast mich nun schon einige Male vor einer Dummheit bewahrt. Wenn ich dich verlassen muss, werde ich wirklich traurig sein."

Jurij machte ihr nach der Flasche keinerlei Schwierigkeiten, sondern schlief sofort wieder ein, was in dem Moment nicht gerade sehr gut für Emmas Gedankenkarussell war. Sie saß im Wohnzimmer und zappte sich durch das russische Fernsehprogramm, ohne ein Wort zu verstehen. Seufzend ging sie an den Schrank mit den CD's und machte die Musikanlage an. Einen Moment starrte sie die Boxen mit offenem Mund an.

Warum zur Hölle, spielte sie jetzt Rockballaden ab? Emma konnte sich nicht daran erinnern, eine solche CD in die Anlage gelegt zu haben. Mh, vielleicht war es so eine Anlage, die mehrere CD's aufnehmen konnte. Sie drückte auf einen Knopf, aber die Musik wurde lauter, statt zu verstummen. Blöderweise war alles auf Russisch beschrieben und wieder fluchte Emma leise, weil sie in ein Land fuhr, ohne die Sprache zu beherrschen.

Sie versuchte der dunklen Stimme zu entkommen, die sie an Rodja erinnerte, in dem sie sich den Paketen zuwandte und anfing, die Möbel für Jurij aufzubauen Nach drei Stunden hatte sie zumindest einmal den Wickeltisch und ein Regal aufgebaut und in das zukünftige Kinderzimmer geschoben. Sie drückte ihre Hände in den Rücken und dehnte sich etwas, bevor sie herzhaft gähnte. Immerhin hatte sie nicht an Rodja gedacht und war nun so müde, dass sie bestimmt bald einschlief, bevor sie wieder über ihren peinlichen Auftritt erinnert wurde.

Emma wollte nur noch unter die Dusche und dann auf die Couch. Vielleicht sollte sie irgendwo anders schlafen, bevor Rodja nach Hause kam.

Eine Weile überlegte sie, doch entschied sich dann dagegen. Wenn er nach Hause kam, schlief sie schon. Es würde peinlich genug werden, wenn sie ihm morgen begegnete, aber heute nacht würde sie es nicht mitbekommen.

Sie lief an dem Zimmer mit dem schönen Wandteppich und dem großen Schrank vorbei, als sie plötzlich Stimmen vernahm. Sie stutzte und blieb stehen. Kamen die Stimmen aus dem Zimmer? Es hörte sich beinahe so an.

Leise klopfte sie an die Tür, doch die Stimmen redeten einfach weiter.

Das war echt gruselig.

Besonders, weil die Männer russisch miteinander sprachen. Eine der tiefen Stimmen erinnerte sie an Rodja, aber das konnte ja nicht sein. Er war auf Arbeit. Vorsichtig drückte sie die Klinge nach unten und streckte den Kopf hinein. Alles war ruhig und dunkel. Auch die Stimmen waren auf einmal verschwunden.

Väterchen Frost im NötenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt