18. Dezember

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Emma hätte gerne aus einem anderen Grund auf Rodja gewartet. Irgendwie konnte sie es immer noch nicht fassen, was sie von Rodjas Mutter erfahren hatte, aber mittlerweile musste sie zähneknirschend zugeben, dass nun alles einen Sinn machte, was sie vorher noch als Zufall abtat.

Rodja war Väterchen Frost!

Immer wieder ging sie einige Szenen durch, an denen es ihr hätte auffallen müssen. Diese Katzen-Tasse, die er angeblich auf den Flohmarkt gefunden hatte. Gab es in Russland überhaupt so etwas wie Flohmärkte?

Der Kaffee, der genau ihren Geschmack traf und den sie so gerne mochte.

Dieses Zimmer mit der Wandmalerei. Für einen jungen Mann war es einfach zu traditionell oder kitschig, wie man es nahm. Aber auch der bemalte Bauernschrank, der nicht zu Rodjas andere Einrichtung passte, machte nun Sinn.

Aber vor allem war es sein Wissen, was ihre Vorlieben anging. Egal um welche Art. Aber wenn sie an die letzten Stunden mit ihm zusammen dachte, erhärtete sich ihr Verdacht, dass Rodja wohl einen kleinen, aber entscheidenden Vorteil hatte.

Rodja hatte nicht instinktiv gehandelt. Er hatte es gewusst.

Emma nahm an, dass er alles von ihr wusste. Einschließlich ihre Körbchengröße.

Sie hob Jurij hoch, der seltsamerweise nicht einschlafen wollte. Stattdessen blieb er wach, als ob er ihr bestehen wollte. Oder Rodja. Das würde sich noch herausstellen.

Sie hörte, wie sich die Haustür öffnete.

Tief atmete sie ein und hielt die Luft an, bis Rodja im Wohnzimmer stand.

Wenn sie bis jetzt noch die Hoffnung hatte, dass sich alles als ein schlechter Scherz erweisen würde, so zeigte ihr sein Gesicht, dass es nicht so wahr. Sobald er sie sah, wurde er kreidebleich und schluckte einige Male hart.

"Emma, ich..."

Sie hob die Hand.

"Es ist also wahr."

Er nickte nur, während Emma die Augen schloss.

"War es das, was du mir sagen wolltest, während wir...intim wurden?"

Er seufzte und setzte sich ihr gegenüber, während sie Jurijs Po tätschelte. Es war dieselbe Situation wie vor ein paar Tagen, als sie hier ankam. Waren wirklich erst einige Tage vergangen? Ihr kam es viel länger vor.

"Intim ist nicht unbedingt das Wort, dass ich dafür verwenden würde. Eher Wahnsinn oder...na ja, der Wahnsinn eben. Aber ja, ich wollte es dir da sagen."

Sie holte tief Atem.

"Und warum hast du es mir vorher nicht gesagt?"

Er schnaubte.

"Ganz ehrlich, Emma. Wann hätte ich es dir sagen sollen? Als du hier ankamst? Hallo, ich bin Väterchen Frost, aber keine Angst, ich sehe nur an Silvester wie ein alter Sack aus."

Sie stand auf und drückte ihm Jurij in den Arm, um danach ihre Runden durchs Wohnzimmer zu drehen.

"Vielleicht nicht da. Aber du hattest viele Möglichkeiten. Als wir uns das erste Mal beinahe geküsst haben. Als du zur Arbeit musstest."

Sie blieb abrupt stehen.

"Du hattest da Schwierigkeiten, oder? Verflixt, du bist kein einfacher Spielzeugfabrikant. Du bist so was wie Santa Clause."

Er knurrte.

"Lass Nicolas aus dem Spiel. Mit ihm hat die ganze Scheiße angefangen."

Sie hob die Hand.

"Nicht vor Jurij fluchen, Himmel nochmal. Und inwieweit hat Santa Clause oder...Nicolas..."Er nickte ihr bestätigend zu und sie fuhr fort. "...damit zu tun?"

Rodja atmete schwer.

"Es ist eine lange Geschichte. Ich habe letztes Jahr Mist gebaut und beinahe hätte er sich von seiner Freundin getrennt."

Sie starrte ihn ungläubig an und er hob verteidigend eine Hand.

"Ich habe es wieder hingebogen und es ist nicht alleine meine Schuld gewesen. Ich meine, er war über vier Jahre mit Lisa zusammen und hat sie nicht geheiratet, weil er das verflixte Weihnachtsfest zu ernst nahm und Lisa dabei vergaß."

Sie schüttelte den Kopf.

"Ich will nichts von Santas Liebesgeschichten wissen, Rodja. Du hast nun ganz andere Probleme. Und zwar mit mir."

Er seufzte.

"Aber darum ging es doch. Er rächte sich, in dem er mir Jurij vor die Tür setzte. Er schickte mir tatsächlich jemand zur Hilfe."

Emma schnaubte.

"Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich keinen Nicolas kenne. Vor allem nicht, wenn er noch Santa ist."

Rodja verdrehte die Augen.

"Denkst du wirklich, Nicolas ist ein dicker alter Mann mit weißen Bart? Nein, er ist wie ich. Nur einmal im Jahr verwandeln wir uns. Na ja, Nicolas macht noch nicht einmal das, weil es ihm zuwider ist. Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Nicolas hat dich wirklich nicht geschickt, das habe ich kapiert. Es war mein Onkel, mein Vater und Opa Santa, die diesen Schwachsinnsplan ausgeklügelt haben. Sie dachten, es ist ein guter Einfall, wenn ich mich in dich verliebe. Sie benutzten einige Zauber und du warst unterwegs zu mir, ohne dass wir beide etwas davon ahnten."

Sie schloss die Augen und schluckte hart.

"Dann ist also nichts echt?"

Er erstarrte.

"Emma..."

"Du musst dich ja köstlich amüsiert haben, als ich dir von meinen Eltern erzählt habe und wie sie Weihnachten lieben. Und ich war ja wirklich einfach zu pflücken, nicht wahr? Du hast bestimmt gewusst, welche Knöpfe du bei mir drehen musst, damit in in deinen Armen dahin schmelze. Es war alles nicht echt und du hast es gerade zugegeben. Das ist...enttäuschend."

Sie schloss die Augen und versuchte ihre Tränen zu unterdrücken. Nein, sie durfte nicht vor ihm weinen. Er durfte nicht sehen, wie sehr er sie verletzte.

"Ich möchte nach Hause."

Es war ein Flüstern, aber er hatte sie verstanden.

"Emma..."

Schnell schüttelte sie den Kopf. Sie wollte kein Wort von ihm hören, denn sonst würde sie den letzten Rest ihrer Würde vergessen und in seine Arme sinken.

"Ich möchte nach Hause."

Emma war froh, dass ihre Stimme nun fest genug klang.

Rodja schloss einen Moment die Augen, dann nickte er und stand vom Sofa auf.

"Folge mir und nimm deine Tasche mit."

Er führte sie in dieses seltsame Zimmer und schob den Wandbehang, den sie so schön fand zur Seite. Dahinter befand sie eine Art Tür, die aber in einer Wand endete.

"Nenne deine Adresse und gehe durch die Tür."

Sie atmete tief ein und aus und nannte die Adresse ihrer Eltern. Es roch auf einmal angenehm nach Weihnachten und die Wand verschwamm irgendwie.

Noch einmal drehte sie sich um und sah zu den Mann, in den sie sich verliebt hatte. ein Schluchzen entwich ihrer Kehle. Oder war es Rodja, der ebenfalls weinte? Seine Augen sahen seltsam aus, als ob auch er mit den Tränen kämpfen würde.

Sie sah noch einmal zu Jurij und ging dann durch diese Tür. Auf einmal stand sie im Hausflur ihrer Eltern. Ihre Mutter kam gerade von der Küche und trocknete sich im Gehen die Hände ab.

"Emma? Wo kommst du denn her?"

Sie kniff die Augen zusammen, als sie bemerkte, wie sehr Emma um Fassung rang.

"Was ist geschehen?"

Emma ließ ihre Tasche fallen und fiel ihrer Mutter um den Hals.

"Oh Mama."

Väterchen Frost im NötenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt