Vielleicht ist es ein wenig unhöflich, dass ich meine Reaktion einfach herausplatzen lasse. „Was?"
Es ist eindeutig ein pikierter Ausdruck, der über Azaths Züge huscht. „Was dachtest du denn."
„Ähm", sage ich wahrheitsgetreu und beschließe, es hier nicht auf eine Diskussion von Fortpflanzungsmechanismen ankommen zu lassen. Stattdessen gestikuliere ich breit in Richtung der Truhe, auf dessen Rand Azath immer noch sitzt. „Das ... da. Ich dachte, naja..."
Ich werde das doch wohl erklärt kriegen, ohne auf Fortpflanzungsmechanismen zu sprechen zu kommen, oder? Konzentrier dich, Eliza.
„So, wie ich das bisher verstanden habe – und, Verzeihung, aber mein Verständnis über Djinn ist ein wenig begrenzt -"
„Ist mir bisher nicht aufgefallen."
„Also – mit dem Wissen, das ich habe, hätte ich jetzt nicht erwartet, dass sich deine Art auf eine Art und Weise fortpflanzt, bei der leibliche Kinder herauskommen."
Gut. Gut. Das war doch gar nicht so schwer. Eine Fortpflanzungs-Erklärung ohne ungerechtfertigte Annahmen über primäre Fortpflanzungsorgane, das sollte mir erstmal jemand nachmachen.
„Ich habe ein leibliches Kind", sagt Azath nüchtern und scheint nicht das Bedürfnis zu haben, dieser Tatsache noch eine Erklärung irgendeiner Art hinzuzufügen. „Sin Name ist Jessie."
Den Anfang von seinem Satz habe ich nicht verstanden, weil ich mich schon wieder an der Namensgebung aufhänge. Da heißt einer Azath und nennt sein Kind ... Jessie. Das ist beeindruckend.
„Okay, super", sage ich dann. „Ähm. Glückwunsch?"
Azath geht nicht darauf ein. „Jessie tut sich aktuell ein wenig schwer mit der Aussicht, in meine Fußstapfen zu treten", sagt er, plötzlich ein wenig fahrig. „Ich wünsche, dass du sim überzeugst, sich das anders zu überlegen."
Da war wieder ein Wort dazwischen, das ich nicht kenne, oder? Vielleicht habe ich doch vorher nicht falsch gehört. Aber der Inhalt schockt mich dann doch gerade mehr als ein seltsames Wort. „Ich soll was bitte? Wie soll ich das denn hinkriegen?"
Azath schürzt die Lippen. „Das ist Teil deiner Aufgabe, Menschling."
„Ich heiße Eliza."
Der Djinn zögert einen winzigen Moment. „Also schön. Eliza, es ist Teil deiner Aufgabe, das herauszufinden."
Ich blinzele einige Male und versuche, die neue Information zu verdauen. „Ooookay", sage ich dann gedehnt. „Und Zeit habe ich dafür wie lange?"
Einen Moment später würde ich mir am liebsten auf die Zunge beißen. Toll gemacht, beglückwünsche ich mich innerlich, genau das ist es, was du jetzt noch brauchst. Ein Zeitlimit.
Und tatsächlich sieht Azath aus, als hätte ich ihm gerade das Geschenk seines Lebens gemacht. „Bis ..." Er lässt den Blick durch den Raum schweifen. „Welchen Wochentag haben wir?"
Ich bin leider nicht schlagfertig genug, mir schnell etwas einfallen zu lassen, das mir das Leben einfacher machen würde. Die Tatsache, dass er nur nach einem Wochentag gefragt hat, hat mich geringfügig aus dem Konzept gebracht. „Es ist Sonntag."
Azath schenkt mir ein – liebenswürdiges? – Haifischgrinsen. „Bis Sonntag in zwei Wochen."
„Ernsthaft?!", fahre ich ihn an. „Ich soll dein Kind hirnwaschen und kriege dafür ... zwei Wochen Zeit?"
„Ja", sagt Azath ungerührt.
„Und wenn nicht?", fauche ich zurück. „Dann greift diese ganze Vergessens-Geschichte?"
„Es sollte jedenfalls ein Anreiz sein." Er macht sich nicht einmal die Mühe, mit den Schultern zu zucken.
Mir bricht der Schweiß aus. „Klingt lustig."
„Humor kann dir mit Jessie nur helfen. Ser ... ist eigenwillig."
Okay, das war jetzt das dritte Mal, dass ein unbekanntes Wort aufgetaucht ist. „Ser?", frage ich.
Azath wedelt mit den Händen, als würde er eine Fliege verscheuchen. „Djinn entscheiden sich erst mit dem Erwachsenwerden für ein Geschlecht. Ser ist ein neutrales Pronomen."
„Huh." Das ist wirklich nicht das Seltsamste, was ich heute erfahren habe. Mein Kopf ist mittlerweile in eine Art Zuckerwatte gewickelt. Gefühlt zumindest. Ich nehme irgendwie noch auf, was Azath mir sagt, aber so richtig verstehen kann ich es nicht mehr.
„Und wann lerne ich ... ser dann kennen?", versuche ich mich dennoch an der respektvollen Ansprache.
Azath muss offenbar kurz nachdenken. „Komm morgen Nachmittag hier vorbei. Bis dahin wird Jessie Bescheid wissen und du kannst sim mitnehmen."
Das letzte Wort durchdringt die Watte wie das kleine Holzstäbchen, auf die sie normalerweise gewickelt wird. „Mitnehmen?" Ja, meine Stimme ist gerade eine Oktave in die Höhe gerutscht.
Azath nickt ungerührt. „Ich verkaufe es sim als Praktikum in der Menschenwelt. Alle jungen Djinn in sin Alter machen das irgendwann. Du kommst also gerade zum richtigen Zeitpunkt."
Nicht nur das ist der richtige Zeitpunkt. Es ist auch für mich der richtige Zeitpunkt, um mich zum Gehen zu entscheiden. Vor den ganzen Pronomen dreht sich mir der Kopf.
Mit einer entschlossenen Bewegung knalle ich die Kiste zu. Ja, ich habe ein bisschen gehofft, dass Azath zwischen Kistendeckel und Kante eingeklemmt wird. Passiert nicht.
Stattdessen verschwindet er in einem Aufstäuben von schwarzem Staub. Allerdings dröhnt mir danach wieder das schrille Geräusch der Truhe in den Ohren, das mich am ersten Tag überhaupt erst dazu gebracht hat, sie zu öffnen. Blöde Idee eigentlich, rückblickend.
Doch von der schreienden Kiste abgesehen, ist alles wieder so normal. Wäre da nicht der schwere goldene Armreif um mein Handgelenk. Den ich nicht bezahlt habe.
Gequält kneife ich die Augen zusammen und gehe zur Kasse. Wir haben keine Barcodes an den Sachen, die wir verkaufen, aber an ihnen befestigt sind kleine – oft von mir – handgeschriebene Schildchen, auf denen der Preis steht.
Ich versuche die kleine 350 an dem Armreif nicht anzusehen, während ich eine Schere nehme und das Preisschildchen abschneide. Schlimm genug, dass ich das Schmuckstück klauen muss, dann muss ich nicht auch noch mit einem buchstäblichen Preisschild daran herumlaufen.
Wahrscheinlich sollten sich die Gedanken in meinem Kopf jetzt im Kreis drehen, aber da ist immer noch die Zuckerwatte um alles. Ich kriege sowas von überhaupt keinen Überblick.
Und während ich dann also den Raum wieder so herrichte, wie er war, bevor ich Azath kennengelernt habe, mein Kleid glattstreiche – das elegante Kleid, das ich mir für den besonderen Anlass ausgesucht habe – und Mr. Skylers Laden abschließe, da kann ich fast vergessen, dass ich gekonnt übergangen habe, was Azaths dritter Wunsch sein könnte.
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Simsaladjinn - Ein Djinn für alle Fälle
HumorWusste ich, dass in dem Antiquitätenladen einiges ein wenig seltsam ist? Natürlich. Dachte ich, das würde mich jemals irgendwie betreffen? Nein. Bin ich davon ausgegangen, dass ein Djinn mit Erziehungsproblemen mich als Babysitter verpflichten wür...