28. Eine inoffizielle Prüfung

440 33 5
                                    

Mit einer Geschwindigkeit, die für das Auge nicht sichtbar war, bewegte ich mich zu den Beiden und schlug Illumi auf die Hand. Er versuchte schon seit einiger Zeit meinen Dolch aus der Wand zu ziehen. Für mich fühlte es sich wie ein unangenehmes Kribbeln im Brustbereich an. Wenn er es geschafft hätte, wäre diese Kribbeln zu einem schmerzhaften Ziehen geworden.

"Fass ihn nicht an!" Mit einer einzigen Bewegung zog ich den Dolch heraus. Danach wischte ich ihn kurz an meiner Hose ab und steckte ihn zurück in die Halterung.

"Wieso ging das bei dir so leicht?"

"Er wollte nicht von dir herausgezogen werden. Deswegen."

"Du sagst das so, als ob sie lebendig wären." Sind sie ja auch. Das hätte ich jetzt gerne gesagt. Mein Dolch hat sich tatsächlich geweigert von ihm herausgezogen zu werden. Ich habe keine Ahnung, wie genau das funtioniert, ist aber sehr hilfreich. Außer die Dolche sind in einer Trotzphase. Dann hätte er sich rausziehenlassen und mich mit den Schmerzen geärgert. Ich kann froh sein, daß der andere mir meinen vopas verziehen hat. Denn die Beiden reagieren immer gleich. Ist der eine fröhlich, ist der andere auch fröhlich. Ist der eine stur, ist der andere stur. Und, und das ist meine Lieblingslaune der Beiden, ist der eine in Mordlustlaune, ist der andere auch so. Sie sind halt Zwillinge. Vielleicht sollte ich ihnen mal Namen geben. So nach 600 Jahren...

Statt ihm zu antworten drehte ich ich zu Hisoka.

"Und wo geht es jetzt hin?"

"Dürfte ich vorher erfahren, was das mit dem Dolch sollte?"

"Du hast mich genervt. Deine Mordlust im Rücken zu haben ist nicht gerade angenehm."

"Mit so einer Aktion steigert du sie aber noch." Innerlich seufzte ich. Der ist ja sowas von ein schräger Vogel.

"Werde ich mir merken. Also, wohin? Ich brauche dringend neue Klamotten."

"Ich gehe zurück zu meiner Familie." Dem Anschein nach fühlte sich Illumi aus dem Gespräch ausgeschlossen.

"Wer hat dich denn gefragt?" Völlig desinteressiert sah ich Illumi an. Dieser zuckte nur mit den Schultern.

"Man sieht sich." Und weg war er. Als ich wieder zu Hisoka sah, schaute er mich fragend an.

"Was denn? Ich bin ein wenig sauer auf ihn. Er hat mir beinahe Schmerzen verursacht." Ich verschränkt meine Arme. Er sah mich weiter abwartend an. Vermutlich dachte er, dass ich ihm das erkläre, aber darauf hatte ich jetzt keine Lust. Ein Seufzter entwich ihm.

"Und was war das mit, ich brauche dringend neue Klamotten?"

"Das war genauso gemeint, wie ich es gesagt habe.  Ich hab kaum noch Kleidung."

"Hast du denn Geld?"

"Nö? Aber du. Denke ich mal." Jetzt war es an Hisoka, mich wie ein Auto anzuschauen.

"Du meinst auch ich bin dein persönlicher Geldbeutel, oder?"

"Wer will denn einen Kampf mit mir?" Ich grinste.

"Wer will denn wissen, was Nen ist?" Mit einer Ruhe, die nur er an den Tag legen kann, stellte er mir eine Gegenfrage. Erst nachdem mein Lächeln erstarb, grinste er.

"Du bist echt ätzend. Weißt du das?"

"Aber, aber, liebe Maylene. Du weißt doch, es ist ein Geben und Nehmen." Fieberhaft überlegte ich, wie ich ihn dazu bringen konnte, mir alles zu bezahlen. Bei den Überlegungen, die ich in der vierten Prüfung gemacht hatte, war es einfacher gewesen. Währenddessen wurde ich wieder beobachtet. Ich gewöhne mich langsam dran.

"Ich habe einen Vorschlag. Wenn du es schaffst in 30 Minuten dieses Gebäude zu verlassen, dann bezahle ich dir deine Klamotten. Wenn nicht, wirst du erst mal meine Klamotten tragen und für dein Geld arbeiten müssen."

Stille.

"Könntest du den zweiten Teil nochmal wiederholen? Ich glaube ich habe mich verhört."

"Wenn du es nicht schaffst musst du etwas von meinen Klamotten tragen und für dein Geld arbeiten."

"Du redest so undeutlich. Vielleicht solltest du deinen Geldbeutel aus deinem Mund nehmen und mir die Klamotten bezahlen." Wiedereinmal wurde ich ganz kurz Zeuge eines neuen Gesichtsausdruck Hisokas. Genervt. Skeptisch schaute ich ihn von oben nach unten an. Sein Kleidungsstil stimmte ja mal überhaupt nicht mit meinem überein. Außerdemm ist er viel größer als ich, wie stellt er sich das bitte vor. Kopfschüttelnd schaute ich wieder nach oben.

"Nein. Nein, das kannst du vergessen."

"Warum hast du so eine Angst, Maylene? Du musst doch einfach nur das Gebäude verlassen." Ich hab genau den Unterton in seiner Stimme gehört. Der Kerl macht sich über mich lustig. Leider zurecht. Ich habe schlechte Karten das zu gewinnen.

"Na was ist. Du hast noch drei Sekunden dich zu entscheiden. Eins..." Oh nein. Jetzt fängt er auch noch an runter zu zählen. Ich muss mich entscheiden. Riskiere ich es und muss schlimmstenfalls seine Kleidung tragen, oder lass ich es und bleibe auf meinem jetzigen Stand mit noch weniger als gar nichts.

"Zwei..." Ach manno. Aber seine Kleidung...Das ist....Ich habe einfach keine Worte dafür. Das...Das geht doch nicht.

"Ei.."

"Is ja gut, ich machs. Man ey." Unzufrieden mit mir und meiner Situation stapfte ich in wieder einmal irgendeine Richtung los. Hisoka im Schlepptau. Ich brauchte eine Strategie. Versuchen wir erst mal die allgemeine Labyrinthstrategie. Immer rechts halten. Ihr fragt euch jetzt sicher, man sie ist doch ein Vampir, hat super Sinne und blah blah blah. Nur bringt einem das nichts, wenn nichts da ist. Weder Geräusche, noch Stimmen, noch Gerüche oder sonst was. Es gab überhaupt keine Anhaltspunkte für die Welt außerhalb des Gebäudes.

Mittlerweile sind schon zwanzig Minuten vergangen. In dieser Zeit war ich überall nur nicht draußen. Wenn uns einer beobachtet hätte, hätte er eine super Komödie gehabt. Zuerst bin ich in einen Raum gestolpert, in dem zwei Bediensteten des Hauses ein Techtelmächtel hatten. Ich war erstaunt, in was für einer Position sie sich befanden. Mir persönlich wäre das zu anstrengend, aber wer es mag.

Der Schrei der Frau war so schrill, dass ich vor Schreck aus meinen Gedanken erwachte und die Tür zu schmiss. Fluchtartig stolperte ich in die gegenüberliegende Tür. Das war allerdings auch nicht gut, denn mich starrte ein ziemlich wütender Professor an. Dem Anschein nach habe ich gerade sein Experiment verfälscht, als ich beim reinstolpern gegen ein Regal gestoßen bin. Dieses ist mit seinen diversen Flüssigkeiten auf den Tisch mit seinem Experiment gefallen. Vermutlich war das auch nicht ganz ungefährlich.

Genau in diesem Augenblick lief ein Hund in diesen Raum und schleckte an diesen ominösen Flüssigkeiten, die jetzt hier auf dem Boden verteilt waren. Kurz darauf fing er sich an zu krümmen und zu verformen. Dem Blick des Professors nach zu urteilen, war das jetzt nicht so geplant, aber ein neuer Erfolg. Denn aus dem Hund wurde eine Mutation, die nicht so an Experimenten und Erfolgen interessiert war, denn der Professor war im nächsten Moment Geschichte. So schnell es ging schlug ich auch diese Tür wieder zu und klatschte ein Do-Not-Enter-Schild auf Augenhöhe ans Holz. Hoffentlich hält sich jeder dran.

Hisoka war die ganze Zeit auf dem Flur geblieben und lehnte an der Wand. Nach seinem Grinsen zu urteilen genoss er die Show, die ich ihm bot.

"Wisch dir dein dämliche Grinsen aus dem Gesicht, du Clown."

"Aber, aber, Maylene. Warum so bissig?" Mit einem genervten Schnauben ließ ich ihn stehen und ging wieder los. Korridor, Tür, Korridor, Halle mit vielen Türen, Korridor, Wand, ach scheiße, Korridor, wieder die Halle mit vielen Türen, neuer Korridor, Eingangshalle, Korridor...Warte. Schnell lief ich zurück. Tatsache, es war die Eingangshalle, die ich bei meiner vorherigen Ich-Habe-Mich-Verlaufen-Tour gesehen hatte. Und das gute an einer Eingangshalle ist, dass es nach draußen geht. Voller Freude griff ich nach der Türklinke und drückte sie nach unten. Nach kurzem klemmen und dran rum gerüttelt, ich bin schon halb verzweifelt, ging sie auch auf und ich konnte nach draußen treten. Uns empfing die Sonne und ein schöner Vorgarten. Der Zeppelin des Huntervorsitzenden stand auch noch dort. Ich hatte es geschafft.

Kurz darauf piepte die Uhr von Hisoka. Er hatte anscheinend einen Timer gestellt. Siegessicher grinste ich ihn an.

"Ich glaube, du schuldest mir ein paar Klamotten, Geldbeutel."

Port Hunter - Der Beginn eines neuen AbenteuersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt