12. Vier Stunden und 52 Minuten

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Lange Rede, kurzer Sinn: Die Insassen dieses Gefängnisses sind alle Waschlappen.

Nachdem ich die Hand meines Angreifers abgefangen und meine Frage gestellt hatte, hatte ich mehr Gegenwehr erwartet. Stattdessen ließ mein Gegenüber so einen mädchenhaften Quietscher von sich, dass ich dachte, ich wäre wieder zu Hause bei meiner Schwester. Die hatte nämlich auch immer so gequietscht, wenn ich sie erschreckt hatte.

Wieder mit meinen Gedanken zurück in der Gegenwart, fragte ich ihn noch einmal.

„Woher wusstest du, dass ich hier stehe?"

„I...I...Ich ha...habe auf deine Bewegungen gehört." Ich runzelte die Stirn.

„Määääp. Falsche Antwort. Ich habe mich seit meiner Ankunft in diesem Raum nicht mehr bewegt. Versuch es nochmal." Jetzt versuchte er doch seinen Arm zu entreißen. Scheinbar war er auf sowas nicht vorbereitet gewesen und versuchte nun die Flucht. Also ergriff ich ihn am Hals und hob ihn hoch.

„Ich sagte, versuch es nochmal." Ein leichtes Knurren kam aus meiner Kehle. Meine Geduld, wenn ich überhaupt welche hatte, war langsam zu Ende. Mir ist noch niemand untergekommen, zumindest in meiner Dimension, der sich in der Dunkelheit, ohne Hilfsmittel, so an mich ranschleichen konnte, obwohl ich keine einzige Bewegung und kein einziges Geräusch gemacht hatte. Wenn es solche Leute hier gab, die es mit meinen „normalen" Vampirfähigkeiten aufnehmen konnten, musste ich aufpassen. Klar, ich kann nicht sterben, trotzdem kosten Verletzungen Energie.

„I...I...I..." Stotternd versuchte der Häftling zu sprechen. Ich achtete extra darauf, seine Kehle nicht allzu doll zu zudrücken, aber er brachte trotzdem kein vernünftiges Wort heraus. Abwartend starrte ich ihn an. Dabei konnte ich seine Panik weiter steigen sehen. Seine blinden Augen huschten von einer Seite zur anderen, während sein Kopf versuchte mit der Situation klarzukommen. Kurz darauf fiel er in Ohnmacht. Memme.

Frustriert und enttäuscht darüber, nichts aus ihm herausbekommen und keinen richtigen Kampf bekommen zu haben, ging ich den neuen Gang entlang, der sich, kurz nachdem ich den Häftling zur Seite warf, für mich geöffnet hatte. Diesmal schien meine Wegwahl gut zu sein, denn ich kam in keine einzige Sackgasse und lief auch in keine Falle. Zwischendurch sah ich auf meine Uhr. Mir blieben noch ungefähr 69 Stunden. Sollte ich also schaffen.

„Hoffentlich ist der dritte Kämpfer nicht auch so eine Memme." Seufzend betrat ich den letzten Kampfplatz. Der Häftling stand schon bereit, hatte aber noch Handschellen um und den Leinensack auf. Da meldete sich die Stimme des Prüfers wieder.

Dies ist dein letzter Kampf. Dafür muss ich dir kurz dein Handicap erklären. Dieser Raum ist mit Fallen gespickt. Diese reagieren auf das kleinste Geräusch, allerdings sage ich dir nicht, wo genau sie sind. Also musst du so leise wie möglich kämpfen, um keine der Fallen abzubekommen. Denn einige verletzen dich, andere sind tödlich. Viel Glück." Das wars mit der Erklärung. Die Handschellen von meinem Gegenüber klickten und er zog den Leinensack von seinem Kopf. Er aber blieb, anders als mein erster Gegner, dort stehen und beobachtete mich. Ich tat es ihm gleich, sodass wir ein paar Minuten schweigend da standen und uns gegenseitig ansahen. Bis es mir zu bunt wurde.

Schnell lief ich los und achtete darauf kein Geräusch zu machen. Nebenbei nahm ich meine zwei Dolche in die Hand. Als ich bei ihm ankam, griff ich sofort an, aber er blockte mit zwei Kurzschwertern, die er in seinem Hosenbund stecken gehabt hatte. Diese hatte ich bei unserem Beobachtungsduell schnell entdeckt und entschieden darüber, wie wir unseren Kampf austragen würden.

Das Geräusch der aufeinanderprallenden Klingen löste allerdings eine Falle in unserer Nähe aus und wir wurden mit Pfeilen beschossen. Schnell wich ich ihnen aus, genauso, wie mein Gegner. Immer wieder griff ich ihn an und immer wieder parierte er. Dadurch wurden immer mehr Fallen ausgelöst. Von Elektroschocks und Bärenfallen bis hin zu herunterfallenden Steinen war alles mit dabei. Mein Gegner musste ein paar Verletzungen dadurch einstecken, hat aber durch mich mehr erlitten. Mir steckten zwei Pfeile im Körper. Einer in der Schulter, der andere im linken Oberschenkel. Mein Gegner konnte mir aber keine zufügen.

Nach zwanzig Minuten stand mein Gegner schweratmend vor mir, ich dagegen spürte keineswegs Ermüdung. Dafür aber Hunger. Die Wunden meines Gegenübers rochen so gut, so dass mein Magen anfing zu knurren. Da ich mit dem Kampf recht zufrieden war, entschloss ich mich diesen zu beenden. Ich steckte meine Dolche wieder in ihre Halterung und wechselte in meinen Vampirmodus, wie ich ihn immer nenne. Meistens wechsle ich in diesen, wenn ich auf der Jagd bin und „frische" Nahrung aufnehme, so wie ich es jetzt vorhatte. Natürlich auch in anderen Situationen, aber meistens erst, wenn es mir bei Kämpfen zu langweilig wird oder ich wirklich in einer brenzligen Situation stecke. Es gibt noch einen weiteren „Modus", den benutze ich aber selten und ist jetzt auch nicht von Belang. Im Vampirmodus wechselt meine Augenfarbe von dunkel zu hellblau, meine Reißzähne wachsen und meine körperlichen Fähigkeiten nehmen um ein Vielfaches zu. Allgemein wir mein Verhalten animalischer, aber mein Selbst hat noch die Kontrolle über meinen Körper. Meistens zumindest.

Meinem Gegner gab ich keine Chance zu verarbeiten, was er gerade gesehen hat. In dem Bruchteil einer Sekunde stand ich vor ihm, riss ihm die Kehle auf und trank ihn bis auf seinem letzten Tropfen Blut leer. Das diese Aktion nicht gerade sauber verlief, war mir so ziemlich egal. Als ich fertig war, ließ ich ihn einfach dort liegen, wo ich stand, und ging zufrieden in den letzten Gang, der sich geöffnet hatte.

Nach ungefähr zwei Minuten kam ich in einen weiteren großen Raum an. An den vielen Türen, die in den Raum führten, konnte ich sehen, dass dies der Schlussraum war. Ich konnte beim Betreten aber noch niemanden entdecken, also musste ich die erste sein.

Nummer 269, äh..." kurzes Rascheln war zu hören, danach ein flüstern. „Lippo, wie heißt die Teilnehmerin eigentlich?"

Keine Ahnung. Steht das da nicht?"

Nein, würde ich sonst Fragen?" Wieder ein Rascheln. Innerlich lachte ich mich kaputt. Logisch, dass sie meinen Namen nicht wussten. Ich komme ja nicht aus dieser Welt und ich habe keinem der Verantwortlichen meinen Namen genannt. Also entschloss ich mich ihnen zu helfen.

„Zur Info, mein Name ist Maylene." Darauf folgte wieder kurze Stille. Leise konnte man das Geräusch von einem Stift auf Papier hören.

Ja, äh. Vielen Dank." Ein kurzes Räuspern. „Nummer 269, Maylene, hat als erste den dritten Prüfungsteil bestanden. Ihre Gesamtzeit beträgt vier Stunden und 52 Minuten." Gar nicht mal schlecht. Nur leider habe ich dann noch 67 Stunden in diesem langweiligen Steinraum. Was mach ich in dieser Zeit bloß?

Da fiel mir etwas ein.

„Ach, ich hätte mal eine Frage an die Leitung." Ich musste kurz warten, bevor ich eine Antwort bekam. Diesmal war es der Prüfungsleiter selbst, der mit mir sprach.

Was gibt es denn, Nummer 269?" Ich verzog leicht das Gesicht. Jetzt kennen sie schon meinen Namen, benutzen aber immer noch die Nummer. So fühlt man sich wie ein Häftling. Um meine Frage geklärt zu bekommen, beließ ich es aber diesmal dabei.

„Wie ist das hier mit Essen und so? Ich meine, 67 Stunden ohne etwas zu Essen hält hier wohl keiner aus."

Es werden Frühstück und Abendessen ausgegeben. Sonst gibt es nichts. Wieso fragst du?"

Nun ja, ich vermute, ihr habt meinen letzten Kampf gesehen. Also sollte klar sein, das normales Essen nicht zu meiner Nahrung gehört." Wieder folgte Stille.

Und was genau soll das heißen?"

„Naja. Ich brauche ab und zu mal menschliches Blut. Ich kann natürlich auch die anderen Teilnehmer anknabbern. Damit habe ich kein Problem."

Das wird nicht nötig sein, Maylene. Wir haben hier genügend Blutkonserven und können dir welche bereit stellen. Gibt es eine bestimmte Blutgruppe, die du bevorzugst? ...Ich hätte niemals gedacht, dass ich sowas mal frage." Das Letzte sagte Lippo mehr zu sich selbst. Ich fand die Situation einfach nur witzig.

„Mir ist jede Blutgruppe recht, aber wenn ihr es mit Wein mischen würdet, fände ich es super." Ich grinste vor mich hin. „Es reicht auch nur einmal am Tag. Schreibt am besten meinen Namen daran, sonst nimmt sich später ein anderer Teilnehmer das Gemisch."

Das...Wir werden schauen, wie wir es machen." Ein kurzes Knacken sagte mir, dass er das Mikro bereits wieder aus gemacht hatte und unsere Konversation zu Ende war.

„Vielen Dank! Das weiß ich zu schätzen!" 

Port Hunter - Der Beginn eines neuen AbenteuersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt