52 . Blitzkrieg [1]

52 16 1
                                    

Die Explosion, mit der sich die Nekropole in ihre einzelnen Bestandteile zerlegte, war überwältigend, wunderschön und absolut unerwartet. Die ganze Stadt schien sich in einen einzigen, riesigen Feuerball zu verwandeln, der sich tosend und lodernd in den Himmel erhob, als wollte er sich seinen Platz am Firmament erstreiten.

Der darauf folgende Knall war ohrenbetäubend. Die Druckwelle breitete sich entlang der Hänge aus, ließ die dort wachsenden Bäume umknicken wie Streichhölzer, fuhr über das Wasser des Kratersees und sandte eine Flutwelle in Richtung Palast. Die Vogelmenschen, die sich zu nahe an der fliegenden Stadt aufgehalten hatten, wurden entweder von der Explosion mitgerissen oder von ihrer Wucht davongeschleudert.

Emma duckte sich, als die Druckwelle das Schloss erreichte. Die Fenster wurden eingedrückt, platzten und splitterten. Ein warmer Wind fegte herein und trug den Gestank von brennenden Gummireifen mit sich. Überall um sie herum polterte und krachte es. Das ganze Schloss schien einen Satz zu machen.

Anschließend wurde es still. Emma wartete einen Moment, dann zog sie sich am Fensterrahmen in eine gehockte Position, wobei sie darauf achtete, sich nicht an den vielen Glasscherben zu verletzen, die auf sie herabgeregnet waren. Ihr Trommelfell vibrierte schmerzhaft. Trotzdem konnte sie das Rauschen des immer heftiger werdenden Regens vernehmen. Sie lehnte sich aus dem Fenster und beobachtete, wie die Vogelmenschen vor dem Wasser und den Auswirkungen der Explosion flohen, während sich die Megamon vor den Toren des Palastes versammelten, um das Schloss zu verteidigen. Unschlüssig bevölkerten sie den Bereich vor dem Portal und wandten ihre rot glühenden Augen auf der Suche nach dem Feind in alle Richtungen.

Einige Herzschläge lang geschah nichts. Dann erschienen Kilian und die Prinzessin inmitten des Regens, Rücken an Rücken und mit erhobenen Schwertern. Die Maschinenwesen realisierten die Gefahr erst, als es schon zu spät war. Aus der Entfernung konnte Emma nur Kilians blonden Haarschopf und das Wirbeln des Schneidenden erkennen, mit dem er unter die Megamon fuhr. Die Prinzessin erkannte sie anhand ihrer Maske. Genau wie Kilian stürzte sie sich furchtlos auf die Maschinenwesen. Geschmeidig wich sie ihren Angriffen aus tänzelte zwischen den klobigen Leibern umher, als handelte es sich um einem Tanzball, nicht um einen Kampf auf Leben und Tod.

Die Megamon reagierten auf den heftigen Ansturm, teilten sich auf und versuchten, Kilian und die Prinzessin voneinander zu trennen, doch schon im nächsten Moment spülte der Regenfall Anoushka, Laurent, Masumi und Hilde auf die Stufen vor dem Palasttor. Violette Blitze zuckten durch die Luft und trieben die Megamon auseinander, noch ehe sie eine geeignete Formation finden konnten. Laurent stürzte sich in seiner Wolfsgestalt auf die Maschinenwesen, Hilde und Masumi mit Schwertern.

Der Anblick ihrer Freunde erfüllte Emma mit so viel Energie, dass sie einen Luftsprung mit Gewalt unterdrücken musste. Das breite Lächeln konnte sie sich jedoch nicht verkneifen. Am liebsten hätte sie sofort alles stehen und liegen gelassen, um zu Kilian zu rennen und ihn fest in die Arme zu schließen, aber natürlich war das keine reale Option. Jedenfalls noch nicht.

»Eure Wunden sehen grässlich aus«, bemerkte Umbraniel an Rasputin gewandt.

Emma drehte sich um. Der Dämon lehnte mit dem Rücken an der Wand und hatte die Augen halb geschlossen. »Vielen Dank«, sagte er tonlos.

Camio, der noch immer seine Hand hielt, sah fragend zwischen Umbraniel und Emma hin und her. Er hatte diese großen Kulleraugen, denen man keinen Wunsch abschlagen konnte. Wenn das so blieb, würde er Sterbliche in Zukunft auch ganz ohne dämonische Verführungskraft um den Finger wickeln können.

»Gibt es irgendwas, das ich tun kann?«, fragte Emma.

»Das gibt es in der Tat«, erwiderte Rasputin und fuhr sich mit der Hand über die feuchten Haare, die ihm an der schweißnassen Stirn klebten. »Aber damit wären wir wieder ganz am Anfang.«

Morgenwind - die fliegende Stadt [Buch 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt