50. Animus ex Machina [2]

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Schnell zog Emma den Kopf wieder zurück. »Was ist das? Warum sehen ihre Seelen aus wie Menschen?«

Rasputin stützte sich mit einer Hand an der Wand ab. Eine Kräuselung wanderte über seine Miene, als hätte jemand einen schweren Stein in den See seiner eigenen dämonischen Seele geworfen. »Ich weiß es nicht«, antwortete er schließlich.

»Ist das bei allen Megamon so?«, flüsterte Emma.

Der Dämon nickte. »Ja. Bei allen, denen ich bislang begegnet bin.«

Emma verrenkte sich den Hals, um einen besseren Blick auf die Seelen der Megamon zu erhaschen. Für Schatten waren sie viel zu dunkel und scharf umrissen. Sie wirkten eher wie zwei Basteleien aus schwarzem Tonpapier. Trotzdem war es schwer, Details ihrer Gestalten auszumachen.

»Hast du dich das noch nie gefragt?«, murmelte Rasputin, während er mit einer Hand eine besonders tiefe Schnittwunde in seiner Brust abdeckte.

»Was?«, erwiderte Emma.

»Wieso die Morgena wie ein Mensch aussieht«, antwortete der Dämon. »Wieso ähnelt die Seele eines Megamon einem Menschen?«

Emma blinzelte. Darüber hatte sie bislang tatsächlich noch nicht nachgedacht. »Um die Kommunikation mit dem Baron zu erleichtern?«, schlug sie vor. »Derrick hat die Morgena mal ein Interface genannt – und die sollen ja möglichst benutzerfreundlich sein.«

»Aber die fliegenden Städte sind keine Maschinen. Sie sind lebendig«, wandte Rasputin ein.

Emma deutete in Richtung der Megamon. »Diese Seelen sehen aber nicht aus wie die Morgena.«

»Nein«, sagte Rasputin. »Sie sind nur die Überreste einer Seele wie der Morgena.«

»Weil sie besiegten fliegenden Städten entstammen«, murmelte Emma, mehr an sich selbst als an Rasputin gerichtet.

»Nur Fragmente«, stimmte der Dämon ihr zu.

»Und wie bringen wir sie jetzt dazu, den Durchgang freizumachen?«, fragte Emma. Als Rasputin darauf nicht antwortete, drehte sie sich nach ihm um und stellte überrascht fest, dass er sie direkt anblickte. »Was?«

»Ich sagte dir doch mal, dass die Megamon und meine Wenigkeit sich nicht unähnlich sind. Vielleicht gelingt es uns, mit ihnen zu kommunizieren«, flüsterte der Dämon.

Emma verzog spöttisch die Lippen. »Du meinst, über Telepathie?«

»Ich verfüge über einige telepathische Kräfte«, erwiderte Rasputin mit einem Kratzen in der Stimme, das entweder auf seine Erschöpfung hinwies oder darauf, dass Emma ihn mit ihrem Spott gekränkt hatte. »Wie sollte ich sonst so genau wissen, wo sich meine Brut befindet?«

»Schon gut, schon gut«, raunte Emma. »Tut mir leid.«

Rasputin betrachtete sie noch einen Moment aus seinen unverwechselbaren Augen, dann fuhr er sich mit dem Handrücken über die aufgesprungenen Lippen und deutete mit einem Kopfnicken auf die Megamon. »Am besten sagst du ihnen, dass die Gefangenen in einem anderen Teil des Schlosses gesichtet wurden.«

»Aber ich weiß doch gar nicht, wie das geht«, entgegnete Emma.

»Du musst dich selbst in einen Zustand versetzen, der mehr Jenseits als Diesseits ist«, erklärte Rasputin. »Hör' auf das Geräusch.«

»Welches Geräusch?«, knurrte Emma. Aus Erfahrung wusste sie, dass Meditation und alles, was damit in Zusammenhang stand, nicht ihrem Gemüt entsprach. Wenn sie sich entspannen wollte, ging sie ins Bett und schlief. Sie hockte sich nicht im Schneidersitz auf ein Sitzkissen und übte sich in Gelassenheit und Achtsamkeit. Ebenso vollführte sie keine ulkigen Verrenkungen nach indischer Philosophie, begab sich nicht auf Traumreisen, legte keine Karten und richtete ihre Wohnung auch nicht nach fernöstlichen Prinzipien ein. In ihren Augen war das alles Zeitverschwendung. Zeit, die man dazu nutzen konnte, die Dinge zu erledigen, wegen derer man gestresst war und Meditation überhaupt erst benötigte. Sie glaubte auch nicht an Trance, Tarot oder Hypnose. In ihrer Familie war dieser ganze Kram unter dem Oberbegriff Esoterik-Scheiß zusammengefasst.

Morgenwind - die fliegende Stadt [Buch 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt