51. Der Untergang der Sphären [1]

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Im Palast erwartete Emma und Rasputin ein regelrechter Spießrutenlauf. Die Megamon waren in Bewegung. Genau wie Emma vermutet hatte, war die Botschaft, die sie dem Maschinenwesen übermittelt hatte, von Megamon zu Megamon gewandert, mit der Konsequenz, das überall im Palast nach den Gefangenen gesucht wurde. An den Vogelmenschen ging dieses Tohuwabohu auch nicht unbemerkt vorüber. Sie beteiligten sich jedoch nicht aktiv an der Suche. Allem Anschein nach, weil sie genug mit der Morgenwind zu tun hatten, die noch immer wie ein riesiger Fesselballon am Himmel stand und nur darauf wartete, erobert zu werden.

»Diese fliegende Stadt ist vollkommen leer«, überhörte Emma ein Gespräch zwischen zwei Geflügelten. »Es ist eine Falle, sagt der General. Aber was sollen wir tun? Die Stadt kann ja nicht bleiben, wo sie ist.«

Rasputins Grinsen sprach mehr als tausend Worte.

»Gehört das zum Plan?«, fragte Emma, während sie in einen Korridor an der Rückseite des Schlosses einbogen, in dem tiefe Nacht herrschte.

Der Dämon schürzte die Lippen. »Orel Erelis ist dazu gezwungen, seine Truppen aufzuteilen. Er wird den Felsentunnel überwachen, genau wie den Gebirgspass und alle anderen Zugänge zum Schloss. Und jetzt will sein Kaiser auch noch, dass er die Morgenwind nach den Reliquien absuchen lässt.«

»Dann habt ihr geplant, die Vogelmenschen abzulenken«, stellte Emma fest und näherte sich einem der Fenster. Während in diesem Teil des Palastes tiefe Nacht herrschte, schien in anderen Teilen die Sonne. Sie wollte gar nicht wissen, was Schloss Allezeit mit ihrer inneren Uhr anstellte. »Aber wo sind Kilian und die anderen?«, fragte Emma und drückte ihr Gesicht gegen die Glasscheibe. Dahinter lag ein gepflegter Garten, der sich bis an den Rand des Kratersees erstreckte. Immergrüne Hecken und alle Arten von Frühlings- und Sommerblühern mäanderten wie farbenfrohe Flüsse durch die Idylle, die auch im Sternenlicht absolut postkartentauglich aussah. Es war fast ein wenig zu schön um wahr zu sein. Unwillkürlich musste sie an die alten Disney-Filme denken, die sie als Kind gesehen hatte. Die gleiche, geradezu übertrieben harmonische Atmosphäre herrschte in den Gärten von Schloss Allezeit. Fehlte nur noch, dass irgendjemand zu singen begann und mit den Tieren des Waldes tanzte. Sie konnte sich jedoch nur schwer vorstellen, dass die Prinzessin der Typ dafür war. Kaum hatte sie das gedacht, fiel ihr auf, dass einige der Sterne soeben dabei waren, zu erlöschen. »Was ist das?«

Rasputin trat hinter sie. »Ich weiß es nicht.«

»Das erinnert mich an Pax Angelus«, meinte Emma. »Dieser schwarze Spalt am Himmel...«

»Eine Verbindung zum Abyss«, murmelte Rasputin mit verzerrter Miene.

»Aber das hier ist anders. Es geht viel zu schnell.« Stern um Stern erlosch. In westlicher Richtung war der Himmel bereits vollkommen schwarz. Die unendliche Geschichte, dachte Emma. Das Nichts breitet sich aus.

»Wir kriegen Besuch«, bemerkte Rasputin. Der Klang schneller Schritte gab ihm Recht.

Emma fluchte leise und huschte den Korridor hinunter, in die Gegenrichtung. »Und wo finden wir jetzt Camio?«, wollte sie bei der nächsten Abzweigung wissen.

»Überlass' das mir«, sagte Rasputin, übernahm die Führung und geleitete sie tiefer in den Palast, Treppen hinauf und Treppen hinunter, durch lichtdurchflutete Galerien und finstere Innenhöfe. Immer wieder mussten sie Megamon ausweichen, die auf der Suche nach ihnen waren. Zum Glück gab es in diesem Schloss reichlich Nischen und Winkel, die ihnen Schutz boten. Im Gegensatz zu den Megamon, schien die Zahl der Vogelmenschen im Palast von Minute zu Minute geringer zu werden. Das spielte ihnen natürlich in die Karten, sodass es ihnen schließlich unbehelligt gelang, den Raum, in dem Camio gefangengehalten wurde, zu erreichen.

Morgenwind - die fliegende Stadt [Buch 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt