46. Verloren [3]

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Emma genoss das warme Gefühl, das sie beim Gedanken an Kilians Liebesgeständnis überkam, nahm seine Hand und gemeinsam schlenderten sie den Weg hinunter bis sie an die Stadtmauer gelangten, die mehr als vier Meter in den Himmel ragte. Im Schatten der Treppe, die zu einem der hell erleuchteten Wachttürme führte, standen Joseph und Laurent eng umschlungen und waren heftig am Knutschen.

»Komm«, sagte Emma grinsend und zog Kilian die Treppe hinauf.

Es tat gut zu sehen, dass sich Laurent und Joseph noch gern hatten. Der Verlust ihrer Kinder hatte ihre Beziehung stark belastet und zwischenzeitlich hatte Emma geglaubt, sie könnten vielleicht nie wieder zusammenfinden.

Laurent musste sie gehört oder gerochen haben, denn er löste sich von Joseph und schob ihn sanft von sich.

»Macht ruhig weiter!«, rief Emma ihm zu und schirmte demonstrativ ihre Augen mit der Hand ab. »Wir haben nichts ge-« Im nächsten Moment stolperte sie über eine der Stufen und wäre beinahe gefallen, wenn Kilian nicht blitzschnell zugepackt und sie festgehalten hätte.

Lachend, um ihre Verlegenheit zu überspielen, sprang Emma die Stufen hinauf.

Auf dem Wehrgang abseits des Wachtturms hatten sich bereits einige Stadtbewohner versammelt. »Von hier oben sollten wir Kassiliels Heiligtum sehen können«, erklärte Miragel jedem, den es interessierte oder der das Pech hatte, seinen Weg zu kreuzen. Im Moment handelte es sich bei den Unglücklichen um Hilde, Titus und Nori. »Das Heiligtum ist ein Turm, der viele hundert Meter in den Himmel ragt. Er ist aus dem Skelett einer riesigen Schlange gefertigt, die Kassiliel selbst im Kampf auf Leben und Tod bezwungen hat.«

Emma wandte sich in die andere Richtung, um dem Vortrag des Elfen zu entgehen. Einige Meter weiter erwarteten Masumi und Belle das Erreichen der Albsphäre. Da Belle zu klein war, um über die Brüstung zu sehen, musste Masumi ihren Kopf hochhalten.

»Komm mit«, sagte Emma und zog Kilian hinter sich her, den Wehrgang entlang, vorbei an Harrod, Lusine und Sebastian, die Rezepte zum Einkochen von Tomaten austauschten. Dahinter stießen sie auf Karel, Klarissa und die Prinzessin. Karel hatte der Prinzessin einen Strauß Wiesenblumen gepflückt, mit dem sie ganz offensichtlich nicht viel anfangen konnte. Jedenfalls hielt sie ihn in der Hand, als würde es sich um eine Handgranate handeln, die jederzeit losgehen konnte. Karel schien ihr Unwohlsein nicht zu bemerken. Ungeniert schwärmte er von ihren Kampfkünsten, während Klarissa die Augen verdrehte und leise Kotz-Geräusche von sich gab.

Emma lächelte ihr zu und zog Kilian noch einige Meter weiter. »Hier ist es gut«, teilte sie ihm schließlich mit.

Als wären ihre Worte ein Kommando gewesen, löste sich in diesem Moment die Atmosphäre-Kuppel der Morgenwind auf. Die bunten Schlieren verschwanden und die dahinterliegenden Sterne erloschen. Ein Raunen ging durch die versammelten Zuschauer.

»Die Albsphäre«, kommentierte Rasputin, der plötzlich neben Emma aus der Dunkelheit auftauchte. »Ein zutiefst verkommener Ort.«

»Ich denke, Miragel wird da anderer Meinung sein«, erwiderte Emma.

Rasputin rümpfte die Nase. »Ich gebe nichts auf die Meinung eines Elfen.«

»Aber so gut aufgelegt wie heute war Miragel noch nie, wandte Emma ein. »Er muss sich wirklich sehr darüber freuen, seine Heimat wiederzusehen.«

Kilian nickte. »Er hat durch die Flucht der Morgenwind damals alles verloren. Sein Zuhause und sogar seinen Vater.«

Emma erinnerte sich wieder an das, was die Prinzessin über Miragels Vater gesagt hatte. Daran, dass er sein Leben gegeben hatte, um sie zu beschützen. Sie wollte gerade etwas Entsprechendes anmerken, da vernahm sie Derricks Stimme. »Kilian!«, rief er. »Kilian!«

Morgenwind - die fliegende Stadt [Buch 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt