Zeit ist kostbar

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Als ich am nächsten Morgen vom Klingeln meines Weckers aufwache, nehme ich als erstes den warmen und weichen Körper war, der eng an meinen eigenen geschmiegt daliegt.
Und ohne die Augen öffnen zu müssen, erkenne ich an dem unverwechselbaren Duft und den sanften Fingern, die zart über meinen nackten Bauch streicheln sofort, wer da bei mir im Bett liegt.
„Guten Morgen schöne Frau", schmunzelt Sophia und ihre grünen Augen mustern mich mit einer Mischung aus Bewunderung und etwas, was sich ohne Zweifel als Verliebtheit bezeichnen lässt.
Und das macht mich wahnsinnig stolz und glücklich.
„Das Kompliment kann ich nur zurückgeben, du Charmeur", erwidere ich lächelnd und suche nach Sophias warmer Hand, um ihre Finger mit meinen zu verschränken.
„Was hast du die ganze Nacht gemacht?", frage ich sanft und küsse zart die Rückseite von Sophias Hand.
„Dich beobachtet, während du geschlafen hast. Das ist für mich Beschäftigung genug, eine sehr schöne sogar", antwortet meine Freundin und schenkt mir ein warmes Lächeln, das mein Herz sogleich schneller schlagen lässt.
„Aber du solltest jetzt trotzdem aufstehen und frühstücken gehen. Die Mädchen warten schon auf dich."
Ich verziehe nur das Gesicht und Sophia lacht leise, während wir uns gemeinsam aufsetzen und ich seufzend die Bettdecke zurückschlage.
„Kommst du mich nachher zwischen den Stunden besuchen?", frage ich sicherheitshalber noch einmal nach und sehe zugegebenermaßen ein wenig stolz dabei zu, wie Sophia galant zurück in ihre Klamotten schlüpft.
„Versprochen", entgegnet Sophia und beugt sich lächelnd zu mir herunter, stützt sich auf meinen Oberschenkeln ab und gibt mir einen kurzen Kuss auf die Lippen. Dann dreht sie sich um und verschwindet mit einem letzten Zwinkern durch die Wand.
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„Also irgendwie bist du seit deiner Rückkehr anders geworden", stellt Olivia mit kritischem Blick beim Frühstück fest. Ich aber blicke nur unschuldig von meinem Brötchen auf.
„Wie meinst du das?"
Meine Kollegin zuckt mit den Schultern und nimmt einen nachdenklichen Schluck aus ihrer Kaffeetasse.
„Du bist so gelöst und entspannt. Und heute Morgen kriegst du das Grinsen ja gar nicht mehr aus dem Gesicht. Hab ich irgendwas nicht mitbekommen?"
Ich beiße mir fest auf die Unterlippe und versuche mit aller Macht nicht an gestern Abend und an die vergangene Nacht mit Sophia zu denken. Aber es fällt mir schwer. Sehr schwer...
„Ich bin einfach nur froh wieder auf St. Rednor zu sein", antworte ich so diplomatisch wie möglich, doch daran wie Olivia mich daraufhin mit hochgezogener Augenbraue ansieht, merke ich sofort, dass sie mir dieses Ausrede nicht glaubt.
„Jaa...genau. Ich komme schon noch dahinter, Mary", sagt sie und grinst nun ebenfalls verschwörerisch. Ich aber schüttle nur den Kopf und wende mich wieder meinem Frühstück zu.
Besser Olivia findet es niemals heraus. Ich wüsste nämlich nicht, wie sie auf Sophia reagieren würde. Noch dazu auf die Nachricht, dass wir uns lieben...
„Tessa starrt dich übrigens schon den ganzen Morgen an", flüstert meine junge Kollegin mir kurz darauf beiläufig zu und beginnt amüsiert zu lachen, als ich genervt das Gesicht verziehe.
„Oh Gott. Dieses Mädchen", murmle ich ärgerlich und verkneife es mir, genau in die Richtung zu sehen, aus der ich Tessas sehnsüchtige Blicke auf mir spüren kann.
Olivia aber sagt nichts mehr dazu und isst nur stillschweigend ihr Frühstück weiter. Mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen.
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„Wenn du nur mit den Käfern in der Wiese spielst und mir nicht mehr zuhörst, Paula, bleibst du nächste Stunde im Klassenzimmer", sage ich freundlich aber dennoch bestimmt und sehe meine Schülerin mit mahnendem Blick an. Das angesprochene Mädchen zuckt daraufhin erschrocken zusammen und wendet verlegen ihre Aufmerksamkeit wieder meinem Unterricht zu.
Ich befinde mich mit meiner Klasse in einem etwas abgelegenen Teil von St. Rednors Garten. Etwa zwanzig Meter hinter den Gemüsebeeten, abgetrennt durch eine niedrigen Steinmauer stehen auf einer freien Fläche nahe des Waldrands, etliche hölzerne Bänke, auf denen meine 10. Klasse gerade so Platz gefunden hat. Ich selbst sitze auf einem hüfthohen Stein und habe mein aufgeschlagenes Geschichtsbuch auf dem Schoß.
Die Sonne steht trotz des frühen Mittags bereits hoch am Himmel und schickt ihre wärmenden Strahlen auf uns herab. Der Himmel ist blau und fast ganz ohne Wolken und ab und zu weht der Wind sanft durch die rauschenden Baumkronen. Es riecht nach Sommer, blühenden Blumen und frischem Gras. Und nach Pfannkuchen. Aber ich glaube, dass dieser Duft dann doch aus der Küche zu uns herüber zieht. Bald ist es Zeit fürs Mittagessen...
„Also, wer kann mir den Kalten Krieg noch einmal in wenigen Sätzen zusammenfassen?", frage ich ruhig und beobachte mit einem Schmunzeln, wie alle meine Mädchen auffällig unauffällig versuchen, nicht zu mir zu schauen.
Ich lasse sie noch eine Weile schmoren, immer in der Hoffnung, dass sich doch noch eine von ihnen melden wird. Und gerade als ich mich dafür entschieden habe, Louise diese Frage zu stellen, trägt der Wind das leise Klingeln der Schulglocke zu uns herüber. Ein erleichtertes Seufzen geht durch die Reihe der Schülerinnen.
„Ihr Glückspilze. Na gut, dann eben nächste Stunde", schmunzle ich und entlasse meine Klasse mit einer gutmütigen Handbewegung zu ihrem nächsten Unterricht. Angeregt tuschelnd und schnatternd packen sie ihre Bücher und Hefte zusammen und laufen dann gemeinsam über die grünen Wiesen zurück zum Internat.
Ich sehe den Mädchen noch einen Moment nach, dann stehe auch ich von meinem Stein auf, als mein Blick plötzlich an einer Gestalt ganz in meiner Nähe hängenbleibt.
„Ich glaube, ich könnte Ihnen den Kalten Krieg in wenigen Sätzen sehr gut erklären. Ich war selbst dabei", sagt Sophia mit vor der Brust verschränkten Armen, während sie rücklings an einem der dicken Baumstämme lehnt und zwar so, dass man sie vom Internat aus so gut wie gar nicht sehen kann.
Ihre Schuluniform raschelt sanft im leichten Wind und ein freches Grinsen liegt auf ihren vollen Lippen, als ich langsam auf sie zu gehe.
„Ach, warst du das?", entgegne ich spielerisch leise und stütze mich mit beiden Händen an der rauen Baumrinde, direkt neben der Taille der jungen Frau ab. Unsere Gesichter sind jetzt nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt.
Sophias grüne Augen blicken tief in meine und mein Herzschlag beschleunigt sich, als ich mich darin wieder einmal fast verliere.
„Bist du dafür nicht noch ein bisschen zu jung?"
Die roten Lippen meiner Freundin verziehen sich zu einem amüsierten Schmunzeln und ich spüre, wie sich ihre starken Arme sanft um meine Hüften legen, mich so noch näher an die hübsche Frau heranziehen.
„Man ist nur so alt wie man sich fühlt, vielleicht liegt es daran", murmelt Sophia gerade noch, bevor sich unsere Lippen zu einem innigen Kuss treffen.
Mir ist sehr wohl bewusst, dass wir uns gerade mitten am helllichten Tag in der Öffentlichkeit befinden, doch ich lasse für den Moment alle Vorsicht fahren, als ich beide Hände an Sophias Wangen lege und sie küsse, als würde es kein Morgen mehr geben.
Meine Freundin hält dem stürmischen Druck meiner Lippen auf ihren ohne Probleme stand und wieder bin ich es, die nach einigen wunderschönen Momenten atemlos nach Luft schnappen muss.
„Ich habe die ganze Stunde mit angehört. Du bist wirklich eine ausgezeichnete Lehrerin. Großes Kompliment", flüstert Sophia mir ins Ohr, als wir uns liebevoll in den Arm nehmen und ich kann nicht verhindern, dass ich bei ihrem süßen Kompliment rot werde.
„Ehrlich?", flüstere ich zurück und sehe in die tiefgrünen Augen meiner Freundin.
Sophia nickt nur lächelnd und streicht mir zärtlich eine Strähne aus der Stirn.
„Ehrlich. Ich wünschte, ich wäre früher von dir unterrichtet worden. Ich hätte so viel mehr und so viel lieber gelernt."
Daraufhin beiße ich mir fest auf die Lippe, um mir ein verführerisches Lächeln zu verkneifen. Den ungezogenen Gedanken in meinem Kopf muss ich trotzdem aussprechen.
„Bist du dir sicher, dass du dich bei mir im Unterricht überhaupt noch richtig konzentriert hättest...?", frage ich anzüglich und Sophias grüne Augen werden daraufhin eine Spur dunkler.
„Vermutlich nicht. Ich wäre seit dem ersten Tag Hals über Kopf in dich verliebt gewesen. Genauso wie ich es jetzt bin."
Diese Antwort reicht mir völlig aus.
Zärtlich dränge ich meine Lippen erneut gegen die meiner jungen Freundin und mein Herz in meiner Brust hüpft freudig auf und ab.
Es gibt nichts schöneres auf dieser Welt, als zu hören, welche Gefühle Sophia für mich empfindet. Na gut... mit Ausnahme ihrer Küsse vielleicht. Und-...anderen Zärtlichkeiten...
„Ich hätte mich genauso in dich verliebt", murmle ich sanft gegen Sophias rote Lippen, als wir uns für einen kurzen Moment voneinander lösen, „in die Tochter meines Chefs...ob das wohl Ärger gegeben hätte?"
Daraufhin lacht die junge Frau in meinen Armen herzlich auf und ein warmes Gefühl breitet sich in meinem Herzen aus.
Ich liebe es, Sophia lachen  zu sehen...
„Vermutlich. Mein Vater wäre explodiert vor Zorn. Von meiner strengen Schulleiterin, Schwester Edith, ganz zu schweigen."
Ich rolle nur mit den Augen.
„Apropos Schulleiterin. Meinst du Mrs. Scott wird sehr begeistert sein, wenn sie von unserer Beziehung erfährt? Sie hat ja nicht einmal unsere Freundschaft wirklich akzeptiert."
Sophia schweigt einen Moment nachdenklich, dann zuckt sie gleichgültig mit den Schultern.
„Also meiner Meinung nach, war sie nur deswegen von unserer freundschaftlichen Verbindung nicht besonders angetan, weil sie dachte, dass es eben keine platonische Freundschaft war. Müsste sie dementsprechend dann nicht bestens vorbereitet sein?", antwortet Sophia aufrichtig und küsst mich liebevoll auf die Wange, „aber wir müssen es ihr ja nicht direkt auf die Nase binden, oder?"
Ich nicke nur zustimmend und stehle mir dann noch einen letzten gefühlvollen Kuss von meiner Freundin, bevor ich mich seufzend von ihr zurückziehe.
„Ich muss zu meiner nächsten Stunde. Ich bin sowieso schon zu spät", murmle ich bedauernd und lache leise auf, als Sophia mich weiterhin an der Hüfte festhält und aus großen Augen treuherzig zu mir aufschaut.
„Gib den Mädchen doch noch einen Moment Zeit, zu Atem zu kommen. Ein ganzer Vormittag Unterricht ist sehr anstrengend."
„Was du nicht sagst", entgegne ich amüsiert und lasse mich von der jungen Frau zurück in eine enge Umarmung ziehen, „willst du mich etwa von meinen Pflichten abhalten?"
Sophia lächelt nur unschuldig.
„Höchstens für einen ganz kurzen Moment."
Und dann küsst sie mich wieder. Und mir raubt es beinahe den Atem, so fordernd drängen sich Sophias volle, rote Lippen gegen meine. Ein überraschtes Keuchen entkommt meiner Kehle und gerade als ich meinen Unterricht Unterricht sein lassen und meine Finger in Sophias wellige Haare graben will, löst sich meine Freundin abrupt von mir und schiebt mich sanft aber bestimmt von sich.
„Geh. Sonst kann ich für nichts mehr garantieren", sagt die hübsche, junge Frau heiser und ich schlucke schwer, als ich das Verlangen in ihren grünen Augen deutlich sehen kann. Und auch durch meinen Körper pulsiert die fiebrige Sehnsucht nach Sophias Berührungen.
„Wie soll ich jetzt noch einen vernünftigen Unterricht halten, ohne ständig an dich denken zu müssen?", entgegne ich atemlos und trete ebenfalls einen Schritt zurück, um noch mehr Abstand zwischen Sophia und mich zu bringen. Sonst kann nämlich auch ich für nichts mehr garantieren!
Meine Freundin aber lächelt nur frech und verschränkt die Arme vor der Brust.
„Du schaffst das, Mary. Ich glaube ganz fest an dich."
Und damit verschwimmt die Luft vor meinen Augen und Sophia löst sich geräuschlos in Luft auf.
Ich seufze nur tief und schüttle ergeben den Kopf.
„Manchmal hasse ich, dass du das kannst", murmle ich resigniert und packe schnell meine restlichen Sachen auf dem Stein zusammen.
Ein weit entferntes Kichern, vermischt mit dem Rauschen der Bäume im Wind, ist meine einzige Antwort.

1826Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt