Aus zwei wird eins

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„Es ist so still hier, findest du nicht?", frage ich leise, als Sophia und ich Hand in Hand durch die dunklen und einsamen Gänge von St. Rednor schlendern. Jetzt am frühen Abend würden uns normalerweise hunderte Schülerinnen begegnen, oder aber wir würden ihr fröhliches Lachen durch die endlosen Flure schallen hören.
Aber da ist nichts. Nur vollkommene Stille.
„Ich nenne es die friedlichen Stunden auf St. Rednor", schmunzelt Sophia und streicht mit ihrem Daumen zart über meinen Handrücken, „so gern ich die Mädchen auch habe...Ruhe ist etwas sehr schönes."
Ich neige leicht den Kopf, zum Zeichen, dass ich verstanden habe und betrachte nachdenklich die vielen alten Gemälde an den Wänden. Vor einem der Bilder bleibe ich schließlich stehen.
„Ich wünschte, ich könnte St. Rednor zu deiner Zeit erleben", sage ich dann andächtig und berühre mit meiner freien Hand behutsam den goldenen Bilderrahmen des Werkes. Darauf zu sehen ist eine gemalte Landschaft aus roten Bäumen, grünen Wiesen und einem blauen Fluss.
Meine junge Freundin wirft mir einen nachdenklichen Blick zu.
„Du meinst, als ich hier noch selbst zur Schule ging?", fragt sie sanft und wieder nicke ich, ohne meinen Blick von dem verblichenen Gemälde zu nehmen.
„Es hat sich nicht allzu viel verändert. Bis auf die Elektronik und die Renovierungen der Schlafsäle", erwidert Sophia leise und betrachtet nun ebenfalls das verstaubte Bild an der Wand.
„Trotzdem. Ich hätte dich gerne mal als Mensch erlebt. Wenn du nicht einfach so durch die Wand verschwinden kannst und ich berechtigt Angst um dich haben darf. Und wenn ich spüre, wie dein Herz schneller zu schlagen beginnt...", flüstere ich und komme Sophias Lippen gefährlich nahe, „wenn ich dich küsse."
Die grünen Augen der jungen Frau blicke tief in meine, als Sophia zart einen Finger unter mein Kinn legt.
„Das tut es jetzt auch. Manche menschlichen Eigenschaften habe ich noch nicht verloren...", wispert sie und dann nimmt meine Freundin auch schon vorsichtig meine linke Hand und legt sie auf die Stelle ihrer Brust, wo normalerweise ein gesundes Herz kräftig schlagen sollte.
Mir stockt der Atem.
Ich fühle ein schwaches Pochen. Ein schnelles Pochen. Das Pochen eines schlagendes Herzens...
„Aber-...wie ist das möglich?", frage ich fasziniert und blicke Sophia fest in ihre geheimnisvollen grünen Augen. Ich wusste ja, dass Sophia eine Art Herzschlag hat...Aber nicht, dass er sich verändern kann!
„Es ist eine Illusion. Eine Reaktion meines Köpers aus meinem früheren Leben, aus meinen Erinnerungen", antwortet sie mit rauer Stimme und dreht leicht den Kopf, um mir endlich den lang ersehnten Kuss zu geben. Und dann treffen ihre weichen, roten Lippen auf meine und ich schließe glücklich meine Augen, während ich die zärtliche Berührung erwidere.
Wir küssen uns lange. Ungehemmt.
Denn ist es niemand da, der uns dabei stören können.
Und wir achten auch nicht auf unsere Umgebung, als mich Sophia mit einem dumpfen Geräusch, gegen die steinerne Wand drückt, um mich noch inniger küssen zu können.
Meine Finger habe ich schon längst in ihren dunklen Haaren vergraben und ziehe die wunderschöne Frau in meinen Armen so noch näher an mich heran.
„Wir sollten uns in mein Zimmer zurückziehen", schaffe ich es zwischen zwei leidenschaftlichen Küssen atemlos zu sagen. Mein Herz schlägt viel zu schnell und mein Verlangen nach Sophia ist gerade so groß wie noch nie!
Ich will sie! Alles von ihr!
„Vor dem Abendessen?", neckt mich Sophia grinsend, doch ich bringe sie mit einem schnellen Kuss zum schweigen.
„Das ist mir sowas von egal! Ich habe Hunger auf etwas ganz anderes", flüstere ich heiser und sehe Sophia tief in die Augen.
Sie versteht sofort.
„Dann lass uns diesen Hunger stillen."
—————————
Ich weiß nicht mehr, wie Sophia und ich es letzten Endes doch noch vollständig angezogen in mein Zimmer geschafft haben. Aber als die Tür schließlich hinter uns zugefallen war, gab es kein Halten mehr!
Innerhalb von wenigen Minuten hatten sowohl ich als auch Sophia sämtliche Klamotten verloren und ich hatte mich atemlos unter meiner wahnsinnig attraktiven Freundin auf meinem Bett wiedergefunden.
Und auch wenn ich Sophias Unsicherheit ab und zu gespürt habe, war doch sie es, die an diesem Abend die meiste Zeit die Führung übernommen hat.
Und ich kann mich absolut nicht beklagen!
Zu sagen, Sophia wäre talentiert, was das Thema Sex angeht, ist eine glatte Untertreibung. Oder liegt es nur daran, dass ich sie so verdammt anziehend finde?! Dass nur ein einziger, tiefer Blick aus ihren grünen Augen reicht, um mich bei lebendigen Leib verbrennen zu lassen?! Die Berührung ihrer vollen Lippen auf beinahe jeder Stelle meines Körpers?
Ich weiß es nicht. Aber was ich definitiv weiß ist, dass ich mich noch nie so gut gefühlt habe wie in diesem Moment.
Mit Sophia zu schlafen fühlt sich so anders an, als alles was ich davor erlebt habe. Als hätte sie mir endlich die Augen geöffnet. Als hätte ich erst jetzt begriffen, wie sich Intimität zwischen zwei Menschen anfühlen soll! So vertraut. So liebevoll. So zärtlich. Und doch so wild. So leidenschaftlich. So verdammt heiß!
Und dieser erste Sex hat unsere Beziehung noch einmal auf eine ganz andere Ebene der Vertrautheit und Innigkeit gehoben. Sophia hat sich mir hingegeben. Mit all ihren Wünschen und Bedürfnissen. Genauso wie ich es getan habe.
„Wie fühlst du dich, Liebling?", frage ich sanft, während ich Sophia zärtlich im Arm halte, unsere nackten Körper eng aneinander geschmiegt. Die junge Frau in meinen Armen küsst zart meine Schulter, bevor sie mir leise antwortet.
„Lebendig. So lebendig wie schon lange nicht mehr", sagt sie andächtig und wir blicken uns tief in die Augen.
„Geht mir genauso", erwidere ich ebenso leise und streiche mit meiner freien Hand eine Strähne von Sophias dunkelbraunen Haar aus ihrer hübschen Stirn.
Sophia schmunzelt nur, dann stützt sie sich auf einen Unterarm und blickt mich warm aber dennoch nachdenklich an.
„Weißt du...vielleicht bist du ja der Grund, weswegen ich ein Geist geworden bin...", sagt meine Freundin dann sanft und ich ziehe überrascht die Augenbrauen nach oben.
„Ich?"
Wäre es nicht reichlich vermessen anzunehmen, dass ich der Grund für Sophias...Existenz bin?! Und will ich überhaupt der Grund sein? Immerhin hatte es Sophia die vergangenen Jahrhunderte garantiert nicht immer leicht. Oder besonders angenehm...
„Ja du. Ich frage mich schon so lange wieso ich überhaupt noch existiere. Nicht dass ich eine Wahl hätte, aber es beschäftigt mich doch...vielleicht habe ich jetzt meine Antwort gefunden", fährt Sophia sanft fort und nimmt meine Hand in ihre, um kurz darauf zärtlich mein Handgelenk zu küssen. In ihren grünen Augen spiegeln sich in diesem Moment so viele unausgesprochene Gefühle wieder.
„Aber...wieso? Damit wir beide uns kennenlernen konnten?", frage ich verwirrt nach und runzle die Stirn. Bevor mir Sophia allerdings antworten kann, schießt plötzlich noch ein zweiter Gedanke durch meinen Kopf. Ein Gedanke, der mich erschrocken zusammenzucken lässt!
„Warte mal, hattest du nicht gesagt, du würdest sterben wenn du deine 'Aufgabe' auf dieser Welt erledigt hättest?!"
Die junge Frau in meinen Armen aber schüttelt nur schnell den Kopf und spielt weiter sanft mit meinen Fingern in ihren.
„Es war lediglich eine Überlegung von mir, Mary. Letztendlich weiß ich nicht einmal, ob es überhaupt einen Grund für mein Leben als Geist gibt. Aber ich möchte glauben, dass es so ist. Sonst würde ich mir wahnsinnig sinnlos vorkommen", erklärt mir Sophia leise ihre Sicht der Dinge und ich entspanne mich augenblicklich wieder. Der Gedanke, Sophia eines Tages zu verlieren ist viel zu schmerzhaft, um noch weiter an ihm festzuhalten...
„Gut. Ansonsten hätte ich mich lieber mein Leben lang von dir fern gehalten, als zu riskieren, dass du sterben könntest", antworte ich ehrlich und streiche zärtlich über Sophias nackten Rücken. Die Haut unter meinen Fingerspitzen fühlt sich warm und weich an. So schön...und so lebendig.
„Tu mir das nicht an, Mary", entgegnet die junge Frau in meinen Armen und beugt sich langsam zu mir herunter. Mein Herz beginnt sogleich schneller zu schlagen, als Sophias Lippen meinen ganz nah kommen.
„Ich kann mich dir so schon kaum entziehen", flüstert sie heiser gegen meine Lippen und nur einen Augenblick später sind wir auch schon wieder in einen leidenschaftlichen Kuss versunken, als plötzlich-
Klingeling.
„Hör nicht drauf!", murmle ich und drehe Sophia und mich geschickt so, dass sie nun unter mir liegt.
Klingeling.
„Bist du dir sicher?", fragt Sophia daraufhin und blickt mich aus grünen Augen tief an. Augen, die mein Herz sofort wieder schneller schlagen lassen.
Klingeling!
Wir seufzen beide genervt auf und ich lasse, wenn auch recht widerstrebend, von meiner hübschen Freundin ab.
„Manchmal hasse ich die moderne Technik", murmelt Sophia resigniert und auch ich werfe einen ärgerlichen Blick auf mein Smartphone, das auf dem Nachttisch liegt und dort fröhlich vor sich hin bimmelt. Kurz erwäge ich es, einfach nicht dran zu gehen, aber da Sophia sich sowieso schon von mir zurückgezogen hat und mich nun fragend ansieht, zucke ich nur entschuldigend mit den Schultern und werfe einen kurzen Blick auf den Bildschirm.
„Oh! Es sind meine Eltern, das könnte wichtig sein. Du erlaubst?", sage ich überrascht, warte aber noch einen Moment auf Sophias Zustimmung. Immerhin wollten wir gerade etwas ganz anderes tun...
„Natürlich. Sag ihnen einen schönen Gruß von mir", erwidert die junge Frau mit den grünen Augen belustigt und zwinkert einmal frech. Ich aber strecke ihr nur die Zunge raus, bevor ich das nervtötende Klingeln endlich beende und das Gespräch entgegennehme.
„Hallo? Mama?"
„Hallo mein Schatz! Papa und ich wollten nur schnell wissen wie es dir geht? Du hast doch heute deinen ersten Urlaubstag gehabt, oder?", höre ich die warme Stimme meiner Mutter durch das Telefon. Mit einem kurzen Blick auf Sophia, die sich entspannt in meinem Bett zurückgelehnt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt hat, setze ich mich aufrecht hin und konzentriere mich so gut es geht auf das Telefonat. Was bei einer so schönen, unbekleideten Frau an meiner Seite gar nicht so einfach ist...
„Und? Fürchtest du dich schon, so ganz alleine in deinem Internat?"
Das war eindeutig mein Vater!
Ich kann nicht verhindern, das mir daraufhin ein amüsiertes Lachen entkommt. Wenn die beiden nur wüssten!
„Ich bin ja nicht alleine. Zwei Kolleginnen bleiben ebenfalls auf St. Rednor", antworte ich lächelnd und werfe Sophia erneut einen Blick zu, die nun ebenfalls amüsiert grinst.
„Das ist gut! Ed und ich wollten dich im Laufe deiner Ferien mal besuchen, wenn du das auch möchtest? Wir sind nämlich sehr neugierig auf deine neue Arbeitsstelle. Und was dich dort so fesselt, dass du sogar aus Ashford zurückgekehrt bist..."
Zum Glück können meine Eltern mich in diesem Moment nicht sehen, denn mir steigt augenblicklich die Röte ins Gesicht.
Und dass Sophia mich kurz darauf auch noch sanft in ihre Arme schließt und ihren Kopf zärtlich auf meiner Schulter ablegt, hilft mir nicht gerade, mich wieder zu beruhigen.
„Fessle ich dich?", flüstert sie mir leise ins Ohr und knabbert kurz darauf zart daran. Mein Herzschlag setzt für einen Moment aus und eine Gänsehaut überläuft meinen gesamten Körper, als ich mich ohne zu Zögern in Sophias liebevolle Umarmung fallen lasse und ihr tief in die geheimnisvollen, grünen Augen schaue.
Meine Eltern am Telefon sind dabei schon beinahe vergessen.
„Absolut", flüstere ich leise zurück und gebe meiner Freundin einen gefühlvollen Kuss auf ihre vollen Lippen, bevor ich meinen Eltern endlich antworte.
„Ich würde mich wirklich freuen, euch bald wiederzusehen! Wie wäre es in zwei Wochen?"
Bis dahin haben Sophia und ich hoffentlich genug Zeit, dieses unglaubliche Verlangen nacheinander so weit zu stillen, dass wir es wenigstens ein paar Stunden getrennt voneinander aushalten!
„In Ordnung! Dann habe eine schöne Zeit bis dahin, mein Schatz! Wir haben dich lieb!", sagt meine Mutter und ich höre meinen Papa im Hintergrund lauthals rufen.
„Und lass die Finger von sämtlichen Kerlen, hörst du?"
Sowohl mir, als auch Sophia entkommt ein leises Kichern, während meine Mama meinen Vater streng zurechtweist.
„Versprochen, Papa! Hab euch lieb! Bis bald!"
„Bis bald!", verabschieden sich meine Eltern und legen dann auf. Noch immer schmunzelnd lasse ich mein Handy sinken und sehe dann zu Sophia hinüber.
„Hast du gehört? Ich habe strenges Jungsverbot!"
„Wie überaus praktisch", erwidert die junge Frau schelmisch und nimmt mich ohne zu Zögern in einem innigen Kuss gefangen. Zusammen lassen wir uns zurück in die Kissen sinken und selbst als der Mond einige Stunden später bereits hoch am Himmel steht, denkt keiner von uns auch nur eine Sekunde ans schlafen.
Diese Nacht ist definitiv einer der schönsten in meinem Leben...

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