Nachdem wir gegessen hatten, zog ich mir meine High-Waist-Hose und mein weißes Top an. Angekommen im Wohnheim musste ich unbedingt eine Dusche nehmen.
Bevor wir fuhren, verabschiedeten wir uns noch von allen. Sandra sagte nur mir Tschüss und verschwand sofort ins Haus. Liam belastete das alles fürchterlich, aber leider konnte ich nichts ändern und musste dabei zusehen, wie Mutter und Sohn litten.
Seit zehn Minuten fuhren wir schon und langsam, aber sicher machte mich diese Totenstille kirre.
„Also..", fing ich deswegen die Unterhaltung an. „Wenn du über gestern reden möchtest, dann sag einfach frei heraus, was du denkst." Genau das wusste ich ja nicht. Was dachte und fühlte ich denn?
Jede Person, die mir eine Antwort geben konnte, würde eine hohe Summe Geld von mir bekommen.
„Liam ich weiß nicht, was ich denke oder fühle. Du machst mich wahnsinnig, aber ich brauche dich auch in meiner Nähe. Allerdings weiß ich nicht ob ich dich als guten Freund brauche oder als mein Freund. Ich bin total verwirrt."
Tief ein und ausatmen und das Chaos in meinem Kopf zu ordnen, machte ich mir zu meinem persönlichen Ziel. Innerlich hoffte ich, dass Liam etwas sagte, aber er blieb still. Ich versuchte mir über meine Gefühle im klaren zu werden und dieser Idiot half mir nicht mal ansatzweise. Wohl oder übel musste ich mich logisch an diese Sache herantasten. In meinem Kopf begann ich pro und kontra aufzulisten.
Pro: In der Nähe von Liam fühle ich mich wohl. Ich liebe sein unverschämt, süßes Grinsen über alles. Zwar weiß ich nicht was, aber ich fühle was für ihn. Außerdem habe ich selbst gesagt, dass ich mich auf die Zukunft und nicht auf die Vergangenheit konzentrieren sollte.
Contra: Ich wurde schon einmal sehr verletzt und ein zweites mal würde ich vielleicht nicht ertragen. Wenn ich mit meinem Studium fertig war, würde ich vielleicht die Stadt verlassen und in einer anderen weiter nach meinen Traumberuf streben.
„Was machst du?" Aha! Der Herr hatte also doch nicht das Sprechen verlernt. „Sei Still Liam, ich gehe gerade sämtliche Variablen in meinem Kopf durch."
„Das ist nicht dein Ernst. Die Liebe und Gefühle kannst du doch nicht analysieren." Er hatte gut reden. Für ihn war alles einfach. Von Anfang an wusste er, dass er mich mag. Noch dazu wurde er nicht von seiner ersten Liebe und -in seinem Fall- seinem Bruder hintergangen.
Die restliche Fahrt lang, lauschten wir einfach der Musik und dachten über alles Mögliche nach. Theoretisch konnte ich hier in Freiburg im Krankenhaus arbeiten.
„Denkst du, du gibst uns eine Chance?" Momentan überforderte mich alles. „Liam ich weiß nicht. Ich muss einfach erstmal ausgiebig über alles nachdenken und das braucht seine Zeit."
Der VW hielt und ich blickte auf das Wohnheim. „Du willst mich echt fertig machen oder? Ich habe einfach keine Lust mehr auf deine Spielchen. Hör auf, auf meinen Gefühlen herumzutrampeln!" Seine Stimme klang wütend und zugleich frustriert.
„Ich kann nicht nachvollziehen, was du meinst." Das konnte ich wirklich nicht. Ich trampelte doch nicht auf seinen Gefühlen herum. Jedenfalls nicht mit Absicht.
„Ach echt nicht? Erst weist du mich ständig zurück, dann küsst du mich und jetzt bist du dir wieder nicht im Klaren, ob du dir eine Beziehung mit mir vorstellen kannst. Gestern dachte ich, du würdest genauso fühlen wie ich und das machte mich unglaublich glücklich. Jetzt weiß ich wieder nicht, was ich denken soll. Tu mir bitte einen Gefallen, benutzt mich nicht und behandle mich nicht so wie einen Spielball. Denn ich habe keine Lust mehr auf dieses heute so und morgen so!"
Liam wurde mir gegenüber kein einziges Mal laut. All das, sagte er gefasst und ruhig. Doch in mir sprudelte es nur so vor Wut. Wie konnte er behaupten, ich würde ihn benutzen? Hielt er mich wirklich für so eine schreckliche Person, die mit den Gefühlen anderer Menschen spielte?
Wenn er so über mich dachte, war meine Entscheidung gefallen. Wortlos stieg ich aus dem Auto, nahm mir mein Gepäck aus dem Kofferraum und ging. Ohne das ich es verhindern konnte, nein ohne das ich versuchte es zu verhindern, ließ ich meinen Tränen freien lauf.
Ich wollte nur noch in mein Bett und bis nächstes Jahr nicht mehr aufstehen. Mit zittrigen Händen versuchte ich den Schlüssel in das Schlüsselloch zu schieben, doch vergeblich. Neben der Tür lehnte ich mich an die Wand und ließ mich auf den Boden sinken.
Verzweifelt schlug ich die Hände vor mein Gesicht. Plötzlich öffnete die Tür sich von innen. Wahrscheinlich hatte mein Versuch die Tür aufzuschließen so einen Lärm gemacht, dass Jenna es bemerkte.
Mit leisen Schritten trat sie durch die Tür heraus. Als meine Freundin mich sah, hockte sie sich sofort neben mich und musterte mich besorgt.
„Hey Rose, was ist passiert? Warum weinst du?" Eine Hand strich über meinen Rücken. Doch trösten tat es nicht.
„Komm, wir gehen erstmal herein, bevor noch unsere Zimmernachbarn auf dich aufmerksam werden." Doch ich wollte nicht aufstehen. Dafür fühlte ich mich viel zu schwach.
Widerwillens jedoch wehrlos, ließ ich mich dann aber doch ins Zimmer verfrachten. Sofort sprang Ben von Jenna's Bett auf und musterte mich besorgt.
„Alles in Ordnung?" Was fragten das denn alle? Natürlich ging es mir schlecht und nichts war in Ordnung. Sonst würde ich ja wohl kaum weinen! An meinem Bett angekommen, zog ich mir sofort die Decke bis an mein Kinn und rollte mich ein.
Jenna zog mir beim Reingehen netterweise die Schuhe aus. „Magst du reden?" Behutsam, wie als wäre ich ein Reh, setzte meine Freundin sich auf mein Bett. Doch ich wollte jetzt nicht reden. Ich hatte Angst, dass ich an jedem Wort, welches ich sagte zerbrechen konnte.
Kopfschüttelnd weinte ich weiter in mein Kissen. Wieso tat das nur so verdammt weh? Wieso musste immer alles so kompliziert sein? Mein Plan war nach Freiburg kommen, studieren, frei sein und einfach Spaß zu haben. Mich verlieben stand sicherlich nicht auf meiner Liste. Und zwar genauso wenig, wie mir mein Herz zertrümmern zu lassen. Wieso konnte das Leben nicht einmal fair und einfach sein?
Zum Glück stand meine Freundin mir bei. Bis vor kurzer Zeit hatte ich niemanden. Ich war einfach unglaublich froh, jemanden wie Jenna kennenzulernen und meine beste Freundin nennen zu dürfen. Den restlichen Tag stand ich nicht mehr auf, bis ich mich schließlich in den Schlaf weinte. Und diesmal ohne einen Arm um mich geschlungen.
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Catch me if I fall
RomanceDie Studentin Rose Hunter kommt an die Universität nach Freiburg um Medizin zu studieren. Voller Erwartungen und auf der Suche nach Freiheit, möchte sie diesen neuen Abschnitt ihres Lebens beginnen. Dabei hat Rose jedoch noch mit ihrer Vergangenheit...