Der Campus war voll mit erleichterten Menschen, die ihre erste Prüfung hinter sich hatten. Das konnte ich gut nachvollziehen, immerhin ging es mir nicht anders. Meine zweite Prüfung in Medizin begann in vierzig Minuten. Vor ihr hatte ich deutlich mehr Angst, als vor Literatur.
Von dieser Prüfung hing meine Privatpraxis ab. Wenn ich später selbstständig sein wollte, musste ich einfach bestehen. Ansonsten lag meine Chance als zukünftige Ärztin bei Null. Natürlich gab es die Möglichkeit, dass Jahr zu wiederholen, aber das kam für mich nicht in Frage. Ein Jahr mehr als eingeplant konnte ich mit so wenig Geld nicht auskommen.
In den vierzig Minuten vor der zweiten Prüfung gönnte ich mir einen Kaffee und einen Muffin. Von Sekunde zu Sekunde stieg meine Aufregung. Meine Hände fühlten sich schwitzig an und meine Beine zitterten. Noch nie hatte ich so einen enormen Druck verspürt. Mein Magen zog sich stark zusammen und mir wurde schlecht. Wenn ich das jetzt vermasselte konnte ich mich von meinem Traum meiner eigenen Praxis verabschieden, denn wenn die ersten zwei Semester schon zu anspruchsvoll für mich war, dann wahren es die Nächsten erst recht.
Meine Hände fingen zu zittern und zu kribbeln an, während mein Magen kreise drehte. Wenn das so weiterging, konnte mein Magen sich glaube ich direkt wieder von dem leckeren Muffin verabschieden. Glücklicherweise hatte ich mir eine Flasche Wasser eingepackt. Nachdem ich sie erfolgreich aus aus meiner Tasche gekramt hatte, trank ich erstmal ausgiebig.
Langsam schaffte mein Körper es sich zu beruhigen. Mit noch immer zittrigen Beinen stand ich auf und schritt los in Richtung Hörsaal. Ich würde das Kind schon schaukeln. Wie sonst auch machte ich mir wahrscheinlich einfach viel zu viele Gedanken. Ausgiebig lernte ich in den letzten zwei Wochen alles, was nur ansatzweise hätte dran kommen können. Doch was, wenn ich ein Blackout bekam? Das ruinierte mir dann meine ganze Zukunft.
Als letzten Ausweg konnte ich bei Liam im Leisure eine Vollzeit stelle annehmen, aber das war nicht so ganz die Erfüllung. Es war sein Traum, den er sich erfüllen konnte und nicht meiner. Mein Stolz für Liam kam wirklich vom Herzen. Das Leisure konnte man einzig und alleine als wunderbaren, magischen Ort bezeichnen. Ein Leben ohne die Arbeit dort, konnte ich mir schon gar nicht mehr vorstellen. Es war ein Ort, an dem einsame Menschen Unterhaltung fanden und traurige Menschen lachen konnten.
Vor allem wuchs mir Grete ans Herz. Eine alte Frau, deren Mann damals im Krieg gefallen war. Sie erzählte viel über ihre verstorbene Liebe. Doch anstatt traurig zusein, lächelte Grete, wenn sie an ihn zurückdachte. Er gab ihr früher immer Zuversicht und diese Zuversicht sollte nie in Vergessenheit geraten. Ihr zuzuhören machte super Spaß. Wenn Grete darüber sprach verstand ich alles. Mein alter Geschichtslehrer Herr Dauenberg konnte echt viel von ihr lernen.
Plötzlich spürte ich etwas hartes an meinem Kopf, was mich aus meinen Gedanken riss. Das durfte doch echt nicht wahr sein. So gedankenverloren und verstreut wie ich war, lief ich doch tatsächlich gegen die Tür zum Hörsaal. Ein Schmerz zog durch meinen Kopf und meine Schläfe pulsierte. Das Gefühl der Übelkeit verabschiedete sich und ein Schwindelgefühl begrüßte mich dafür.
Manchmal zweifelte ich echt an meiner Intelligenz. Doch das Schlimmste an diesem ganzen Missgeschick war, dass Adam alles gesehen hatte. Besorgt sah er mich an.
Alles in Ordnung Rose?" Mit meiner rechten Hand an der Stirn nickte ich.
Ja, ja, alles ist in bester Ordnung. Ich bin nur etwas abwesend gewesen und wurde unsanft in die Realität zurück geholt." Mitleid spiegelte sich in Adam's Augen wieder, aber zu meiner Erleichterung beließ er es bei dieser Antwort. Das Gefühl, dass ich mich vor den anderen Studenten blamiert hatte, tat nämlich schon genug weh. Fast sogar noch mehr, als mein Kopf.Hast du schon eine Prüfung geschrieben?" Wenn ich so recht darüber nachdachte, gefiel mir das alte Thema dann doch besser, denn bei dem Thema >Prüfung< dachte ich sofort an meine Prüfung in Medizin und alles in mir zog sich erneut zusammen.
Eben habe ich Literatur geschrieben. Mein Gefühl ist ganz gut, aber vor Medizin habe ich ganz schön Angst." Verständlich nickte Adam mir zu.Geht mir genauso, aber wir schaffen das schon. Da bin ich ganz zuversichtlich." Luis und Beck gesellten sich zu uns und wir begrüßten sie. Nach kurzem Smalltalk gingen wir dann zusammen in den Hörsaal und bereiteten uns mental auf das vor, was gleich kommen mochte.
Erleichtert setzte ich mich auf Liam's Sofa. Als die Medizinprüfung endlich vorbei war, fiel mir ein Stein vom Herzen. Einschätzen konnte ich meine Leistung leider nicht, aber ich drückte die Daumen für mich und natürlich auch für meinen Kurs. Mit einem Glas Rotwein in der Hand, schaltete ich den Fernseher ein. Von Sender zu Sender, tastete ich mich durch, bis ich eine spannende Dokumentation fand. Zum mindestens war sie anfangs spannend.
Nachdem ich zehn Minuten aufmerksam die Eisschollen betrachtet hatte, fielen mir die Augen zu. Ein lautes Geräusch ertönte und ich saß kerzengerade auf dem Sofa.
Tut mir leid Schatz, dass war nur ich. Alles ist gut. Ich wollte dich nicht wecken. Schlaf weiter." Liam hatte gut reden. Mit meinem Puls, der vor Schreck ins unermessliche gestiegen war, brauchte ich überhaupt nicht mehr an Schlaf denken.
Was machst du da überhaupt?" Aufmerksam verfolgten meine Augen jede seiner Bewegungen. Aus welchem Grund auch immer, lag mein Freund auf dem Boden und stieß überall mit seinen Beinen gegen.Ich suche mein Handy." Kopfschüttelnd grinste ich vor mich hin. Diese schusselige Art war schon irgendwie niedlich, auch wenn er vielleicht seinen Kopf verlieren würde, wenn er nicht angewachsen wäre. Noch im Halbschlaf griff ich zu meinem Telefon, welches auf dem Couchtisch lag und wählte Liam's Nummer. Der Klingelton meines geliebten Freundes erklang und vor Schreck stieß er sich den Kopf unter dem Couchtisch.
Das ist mein Handy!" Der Schmerz schien ihm nebensächlich.
Ich habe dich ja auch angerufen." Mit der rechten Hand über seinen Kopf reibend warf mir mein Freund einen gespielt bösen Blick zu.Du schuldest mir etwas." Manchmal war er echt unmöglich. Da das Klingeln aus der Richtung der Küche kam, rannte Liam heraus und ließ mich kopfschüttelnd und hellwach alleine zurück.
Es ist nicht meine Schuld, wenn du immer alles verlegst und so schusselig bist!" Damit er mich hören konnte, musste ich schreien, wofür meine Stimmbänder mir mit einem Hustenanfall dankten.Schweren Herzens erhob ich mich von der geliebten Couch und folgte Liam in die Küche. Er saß am Tisch mit seinem Handy in der Hand und machte ein Gesicht, wie ein Kleinkind, dass sein Lieblingsspielzeug bekam.
Manchmal bist du echt unmöglich, aber dafür liebe ich dich mein Schatz." Unerwartet legte Liam sein Telefon bei Seite und kam auf mich zu.
Weißt du was?" Fragend blickte ich ihn an. Mir entfuhr ein Schrei, als mich plötzlich die zwei großen Hände meines Freundes an der Hüfte packten und mich hochhoben. Automatisch klammerten sich meine Beine um seine Taille.
Ich liebe dich auch."
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Catch me if I fall
RomanceDie Studentin Rose Hunter kommt an die Universität nach Freiburg um Medizin zu studieren. Voller Erwartungen und auf der Suche nach Freiheit, möchte sie diesen neuen Abschnitt ihres Lebens beginnen. Dabei hat Rose jedoch noch mit ihrer Vergangenheit...