Tränen sammelten sich in meinen Augen. „Verdammt Rose! Ich gehe selber. Bleib du bei Lilly." Plötzlich realisierte ich, dass ich anstatt ins Badezimmer zu gehen, nach wie vor reglos dastand.
Mit aller Kraft versuchte ich meine Tränen zu unterdrücken, aber erfolglos. In dem Moment, in dem Liam wieder zurückkehrte, flüchtete ich ins Haus. So schnell ich konnte lief ich in der Hoffnung unbemerkt zu bleiben. Vor meinen Augen bildete sich ein Schleier aus Tränen.
Plötzlich rannte ich gegen etwas, beziehungsweise jemanden. Als ich meinen Kopf hob, sah ich in die blauen Augen von Richard. „Alles in Ordnung, Rose?" Schritte ertönten und jemand betrat den Flur.
„Liam, geh mit ihr in dein Zimmer. Sie weint, dass müssen die Kleinen ja nicht unbedingt mitbekommen." Mit gesenktem Blick ließ ich mich von Liam in irgendeinen Raum schieben.
„Was ist los?" Zusammen setzten Liam und ich uns auf ein Bett. „Es ist nichts nur.." Liam reichte mir ein Taschentuch und ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
„Das Verhältnis, das du zu deinen Geschwistern hast." Zwei lange Arme umschlossen mich. „Was ist mit meinen Geschwistern und unserem Verhältnis?" Es wurde höchste Zeit mit jemandem über das Geschehene zu sprechen.
„Meine Schwester und ich hatten auch eine große Bindung. Doch vor ein paar Monaten da..." Zwischen meinen Sätzen holte ich tief Luft. Liam hörte mir einfach zu und hielt mich im Arm. Wenn ich stockte, drängte er mich nicht weiter zu reden und ließ mir Zeit.
„Niemand, wirklich niemand konnte uns trennen. Damals schlief ich sogar immer bei Marissa im Zimmer, weil unsere Eltern es nicht schafften uns -wenn auch nur Nachts- zu trennen. Marissa ist drei Jahre älter als ich und als ich dann jemanden kennenlernte und sie nicht, verhielt meine Schwester sich merkwürdig.
So als wäre sie eifersüchtig. So gut es ging, versuchte ich Zeit mit meinem damalige Freund Joshua zu verbringen und Marissa einzubeziehen. Keinesfalls beabsichtigte ich meine Schwester zu vernachlässigen. Das funktionierte auch alles. Joshua hatte nie ein Problem damit, dass Marissa oft bei uns war.
Er mochte sie. Nur leider zu sehr. Nach einigen Monaten überraschte uns die Nachricht, dass Marissa schwanger war. Wir alle freuten uns. Wer der Vater sei, erzählte meine Schwester nicht. Als ich dann eines Tages nach Hause kam, hörte ich zufällig ein Gespräch mit.
Joshua und Marissa stritten. Dann meinte Joshua zu Marissa, dass wenn sie es mir nicht sagt, er es tut. Total verwirrt lauschte ich weiter. Marissa meinte, sie würde mir schon noch sagen, dass Joshua der Vater ihres Kindes sei."
Während ich all das erzählte, merkte ich nicht, dass ich Liam's Oberteil mit Tränen tränkte. „Dein Ex-Freund hat dich also mit deiner Schwester betrogen." Um zu antworten fehlte mir die Kraft, also nickte ich einfach nur. Weiterhin hielt Liam mich im Arm und streichelte meinen Kopf.
„Leider verfiel ich in Depressionen. Ich redete mit niemanden. Das Einzige, dass ich tat war Nachts in Clubs zu gehen und mich zu betrinken. Meine "Freunde" bemerkten nicht wie schlecht es mir erging. Oder aber sie ignorierten es einfach. Noch nie zuvor fühlte ich mich so gedemütigt und alleine.
An dem Tag, an dem wir uns das erste Mal trafen, fand ich dich wirklich nett. Der Grund, warum ich nicht mit dir ausgehen wollte, war einzig und allein der, dass ich Abstand zu Beziehungen und all dem drum und dran brauchte." Stille.
„Ich habe dein Hemd ja ganz nass gemacht, das tut mir leid." Mit zittrigen Händen nahm ich ein Taschentuch aus der Verpackung und versuchte Liam's Hemd zu trocken. Doch Liam ergriff meinen Arm und ich hielt in der Bewegung inne.
„Das macht nichts, es ist nur ein Kleidungsstück. Das kann man waschen oder neu kaufen. Dein Herz und deine Seele hingegen kann man nicht so einfach ersetzen, wie dieses Stück Stoff." Mit seiner Hand deutete Liam auf sein Hemd.
„Weißt du, wie sehr ich dir dankbar bin?" Ein Grinsen schlich sich auf Liam's Gesicht. „Weil du mir kein neues Oberteil kaufen musst?" Kopfschüttelnd grinste ich nun auch. „Nein du Idiot, sondern weil du mir zuhörst und mich tröstest." Mein mir gegenüber öffnete gerade den Mund um etwas zu erwidern, aber bevor ein Wort aus seinem Mund kam, legte ich meine Lippen auf die Seine.
Liam's Lippen waren weich und warm. So zärtlich. Langsam erwiderte er den Kuss. Mein Bauch meldete sich. Es fühlte sich an, als würden Blitz und Donner in mir toben. Rhythmisch und im Einklang bewegten sich unsere Lippen aufeinander.
Ein Feuer, das entfacht wurde, glich diesem Moment. Schwer atmend lösten wir uns von einander. Die letzte Träne die geflossen war, wischte Liam mit seinem Daumen bei Seite.
„Ich..es tut mir leid." Was war nur in mich gefahren? Ich konnte ihn doch nicht einfach küssen. „Shh...ist okay, alles ist in Ordnung. Ich denke wir sind einfach nur Müde. Wir reden morgen darüber." Er hatte recht. Ich war wirklich ganz schön erschöpft.
„Wessen Zimmer ist das eigentlich?" Die Einrichtung passte zu einem Teenager. „Früher, als ich noch hier wohnte, gehörte dieses Zimmer mir. Ich weiß nicht wieso, aber aus welchem Grund auch immer richteten meine Eltern das Zimmer nicht neu ein und ließen alles so wie es ist." Viel zu müde um mich umzuziehen, deckte ich mich einfach zu und schloss die Augen.
„Was ist eigentlich mit Lilly?" Die Decke raschelte und zwei Arme umschlossen meine Taille. „Es geht ihr gut, nur die Knie sind ein bisschen aufgeschrammt. Bevor ich in der Flur kam, desinfizierte ich nur die offene Wunde und klebte Pflaster darüber. Morgen wird sie wieder durch die Gegend hüpfen."
Der Tag war mehr als seltsam, aber es tat unglaublich gut, endlich mit jemanden über meine Probleme zu sprechen. Nur leider hatte ich jetzt ein neues Problem. Was war das für ein merkwürdiges Gefühl während des Kusses? Mit dieser Frage im Kopf geisternd fiel ich in einen traumlosen Schlaf.
Langsam öffneten meine Augen sich. Obwohl ich gerade erst aufwachte, verspürte ich Müdigkeit. Schon jetzt war eines klar. Der Tag würde anstrengend werden. Beim Versuch mich aufzusetzen, zog mich etwas nach unten.
Liam's Arm lag nach wie vor um meine Taille. Momentmal, wieso umschloss Liam's Arm meine Taille? Nach und nach kamen die Erinnerungen an gestern wieder hoch. Ich hatte ihm alles erzählt. Ich hatte mich bei meinem Chef im Arm ausgeheult.
„Guten Morgen." Ein noch ganz schläfriger Liam öffnete die Augen. „Habe ich dich geweckt?" Wenn ja, wusste wenigstens mal einer, wie es mit Jenna als Mitbewohnerin war. Da wurde man ja ständig wach.
„Du hast mich nicht geweckt, keine Sorge." Dann war ich wohl doch alleine. Vielleicht verstand ja irgendjemand jemals auf dieser Welt, wie es mir jeden Morgen erging.
„Ich habe Hunger", brachte ich mit morgenheiserer Stimme hervor. „Na dann. Unten ist bestimmt schon alles fertig zubereitet und gedeckt."
Beim betrete des Wohnzimmers lächelte mir direkt Loreen entgegen. Die alte Frau musste man einfach gernhaben. Ihr Mann passte perfekt zu ihr. Beide sind sie so nette, liebenswürdige Menschen. Unbewusst blieb ich stehen.
Als Liam meine Hand nahm und mich weiter in den Raum zog, musste ich an den Kuss von gestern denken. Diese simple Berührung ließ meine Hand kribbeln und das Gewitter in meinem Bauch wieder aufleben. Verdammt nochmal, das musste ich echt in den Griff bekommen. Hoffentlich merkte Liam nichts von meiner Verlegenheit. Als ich erneut stehen blieb, drehte sich mein Chef zu mir um. Ein Lächeln zierte sein Gesicht. Ich nickte und wir setzten uns an den bereits gedeckten Tisch.
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Catch me if I fall
RomanceDie Studentin Rose Hunter kommt an die Universität nach Freiburg um Medizin zu studieren. Voller Erwartungen und auf der Suche nach Freiheit, möchte sie diesen neuen Abschnitt ihres Lebens beginnen. Dabei hat Rose jedoch noch mit ihrer Vergangenheit...