~ Kapitel 5 ~

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Als ich den Raum betrat sah ich Liam mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf dem Boden sitzen. Die Hände hatte er vor sein Gesicht geschlagen. „Alles in Ordnung?" Langsam ließ ich mich neben Liam an der Wand entlang nieder. Als er aufsah, konnte ich sehen, dass er den Tränen nahe war. „Nein! Nichts ist in Ordnung!"

Seine Stimme war brüchig und heiser. So niedergeschlagen hatte ich ihn noch nie gesehen. „Willst du reden?" Ein seufzen entwich ihm. „Meine kleine Schwester Lilly wird am Samstag acht. Der Mann eben war wie du wahrscheinlich schon mitbekommen hast mein Vater."

Er machte eine Pause. „Ich freue mich richtig darauf, meine Geschwister und meine anderen Verwandten wiederzusehen, aber ich habe seit einiger Zeit stress mit meiner Mutter." Wieder entwich ihm ein seufzen.

„Als ich vor sechs Jahren achtzehn wurde, wollte ich unbedingt mein eigenes kleines Café eröffnen. Das hatte ich mir immer gewünscht. Ich wollte endlich selbstständig sein." Das was er sagte, verstand ich nur allzu gut. Schließlich wollte ich auch immer meine Freiheit haben und nicht mehr von meinen Eltern abhängig sein.

„Dann hast du dir ja deinen Wunsch erfüllt." Ganz kurz schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht, welches aber sofort wieder erlosch. „Ja das habe ich. Nur leider habe ich so einen Streit mit meiner Mutter ins Leben gerufen. Sie wollte immer, dass ich das Familienunternehmen weiterführe. Als ich mich dann aber entschieden habe, meinen eigenen Weg zu gehen und nach Freiburg zu ziehen habe ich sie enttäuscht.

Für sie war ich jetzt nur noch das schwarze Schaf der Familie." All das, was Liam sagte erinnerte mich an meine eigenen Probleme. „Ich versteh nur zugut, was du meinst." Es war schrecklich. Wieso verstanden Eltern nicht, dass man seinen eigenen Weg gehen wollte? Jeder musste doch seine eigenen Erfahrungen machen. „Zwar fahre ich oft zu meiner Familie, aber immer wenn ich da bin, redet sie kein einziges Wort mit mir." Langsam rollte eine Träne über Liam's Wange.

Vorsichtig wischte ich sie mit meinem Daumen beiseite. „Tut mir leid, eigentlich heule ich nicht." Ich schüttelte den Kopf, um ihm zu zeigen, dass er sich nicht zu entschuldigen brauchte. Er tat mir so unglaublich leid, so wie er da saß. Das hatte er echt nicht verdient. Ihn so zu sehen war wie ein Stich ins Herz. Ich selber hatte ja auch viele Probleme mit meiner Familie, aber so schlimm ging es mir deswegen noch nie.

Nachdem Liam sich beruhigt hatte, arbeitete ich weiter bis Schichtende. Als ich in meinem Zimmer ankam viel mein Blick auf die Uhr. Erschrocken riss ich die Augen auf. Es war schon 17:22 Uhr. Wie schnell doch der Tag verging. Jenna traf ich in unserem Zimmer merkwürdigerweise nicht an. Ein Blick zum Schreibtisch verriet mir, dass sie ihren kleinen, elektronischen, Feind nicht mitgenommen hatte.

Ich ließ meine Schuhe an und lief schnell wieder in Richtung Café. Allerdings diesmal mit Laptop unter meinem Arm. Hoffentlich konnte Liam's Freund helfen. Auf jeden Fall musste ich mich jetzt ein bisschen beeilen, denn das Café hatte nur noch bis 18:00 Uhr auf. Als ich so die Straßen entlang lief, viel mir zum ersten mal auf, wie unglaublich schön es hier war.

Der  Stadtteil hatte viele Grünflächen. Noch dazu gab es viele Statuen und die Häuser waren teilweise noch ziemlich alt. Ich liebte nichts mehr, als alte Fachwerk und-Landhäuser. Das Stadtviertel war auch sehr ruhig. In manchen Stadtteilen war sicherlich die Hölle los.

Endlich stand ich vor dem Café. Genauso wie beim ersten mal, fühlte ich beim betreten innere Ruhe. Nur mit dem Unterschied, dass ich mich schon an den schönen Geruch und die Umgebung generell gewöhnt hatte.

Liam stand zurzeit bei einer Familie am Tisch und nahm ihre Bestellungen auf, weshalb ich schon einmal den Laptop auf den Tresen stellte. Als mein Chef sich dann endlich in meine Richtung drehte, lächelte ich ihn an und machte mit einer Handbewegung auf den Laptop aufmerksam.

„Das ist also der kleine Quälgeist, der Jenna nicht mehr ruhig schlafen lassen will?" Egal, wie groß das Problem war, Liam machte irgendwie alles mit seinen Kommentaren besser.

„Exakt." Mein Gegenüber nahm den Laptop etwas genauer in Augenschein und er machte den Eindruck, dass er Ahnung hatte. „Sicher, dass dein Freund und nicht du den reparierst?" Ohne den Blick von dem elektronischen Gerät abzuwenden, antwortete er mir.

„Wie kommst du darauf?" Endlich stellte er den Laptop wieder auf den Tresen und sah mich an. „Eben sahst du aus, als hättest du doch Ahnung und jegliches Verständnis für die Technik." Mein Satz ließ meinen Chef schmunzeln. Na toll, jetzt hatte ich sein Ego gesteigert.

„Danke für das Kompliment." Zwinkernd ließ Liam sich auf den Barhocker nieder. „Denk ja nicht, du hättest mich beeindruckt." Das Grinsen wich aus dem Gesicht meines Chefs und er zog die Augenbraue hoch. „Habe ich dich etwa nicht beeindruckt?" War ich die einzige, die fand, dass das Gespräch immer merkwürdiger wurde? Ich beschloss diese Frage einfach zu ignorieren.

„Also, wann kann ich den Laptop wieder abholen?" Ich machte mich auf zur Kaffeemaschine. „Ich bringe ihn heute Abend zu meinem Kumpel und morgen kannst du ihn nach deiner Schicht wieder mitnehmen." Als ich den Knopf der Maschine drückte fing sie an zu arbeiten, weshalb ich Liam durch den verursachten Lärm fast anschreien musste.

„Danke, du bist ein Engel! Wie kann ich mich nur revanchieren?" Der Kaffee fing an in die Tasse zu plätschern und die Maschine wurde daraufhin wieder leiser. „Das ist nicht nötig, aber wenn du schon so fragst, dann wäre meine Antwort die Selbe wie am ersten Tag als wir uns trafen."

Ich hätte mich gerade echt ohrfeigen können. Wieso fragte ich das überhaupt?! „Du weißt wie ich zu diesem Thema stehe. Es liegt nicht an dir, aber ich möchte Abstand zu Männern." Das klang jetzt wieder wie eine schlechte Ausrede. Wahrscheinlich fühlte Liam sich jetzt wieder total zurückgewiesen. Das tat mir ja auch echt Leid, vor allem nach der Sache mit seinem Vater, nur hatte ich halt meine Gründe.

„Wieso hast du so eine Einstellung?", fragte er nicht drängend, sondern mitfühlend. „Wer hat dich so verletzt, dass du so auf alles Männliche reagierst?" Als ich damals von meiner Schwester hintergangen wurde und meine Eltern dann auch noch anfingen mich wegen dem blöden Familienunternehmen unter Druck zu setzen wollte ich nur noch erst recht raus in die weite Welt.

Freunde hatte ich zwar viele, aber mit keiner meiner Freundinnen wollte ich über meine Probleme sprechen. Wobei ich diese Tussen wohl kaum Freundinnen nennen konnte. Es waren arrangierte Freunde, sowie arrangierte Ehen.

Die Firma meiner Eltern hatte einen Ruf zu bewahren und damit ihr Ruf nicht beschmutzt wurde suchten meine Eltern meine "Freunde" für mich aus. „Ich möchte ungern darüber  reden. Es ist einfach sehr viel doof gelaufen." Der Kaffee tat nach meinem anstrengenden Tag unglaublich gut. Diese Wärme die mich schon nach dem ersten Schluck umgab war richtig gemütlich.

„Naja, wie dem auch sei. Ich hoffe deine Freundin freut sich darüber, dass ihr Computer wieder funktioniert." Mein Chef und Jenna's Retter in der Not stand auf, machte sich wieder an die Arbeit und versprühte überall seine Allzu bekannte Aura. Es wirkte so als würde Liam sich schon sein ganzes Leben lang durch das Café winden. Diese Leichtigkeit mit der er sich bewegte und dieses Gefühl von Geborgenheit, welches er ausstrahlte, war wirklich faszinierend.

Das ist es, was Liam wollte und er hatte es erreicht. Ich hoffte in naher oder ferner Zukunft würde ich mein Ziel auch erreichen, ankommen, den Platz in meinem Leben finden, der mich mit Freude erfüllen würde. Das ist es, was ich mir sehnlichst wünschte. Mein Opa sagte früher immer, wenn du dir etwas unbedingt wünschst, dann würde der Wunsch auch in Erfüllung gehen, wenn du nur fest daran glaubtest. Wo ein Wille war, war auch ein Weg. Mein Opa starb leider vor zwei Jahre, aber seine Weisheit überlebte ihn.

Nachdem ich meine Vorlesung am nächsten Morgen besucht hatte, machte ich mich auf den Weg zum Leisure. „Hallo Liam", schrie ich beim betreten des Cafés. „Hallo Rose." Zur Begrüßung umarmten mein Arbeitgeber und ich uns schnell und ich schnappte mir meine Schürze.

„Und wie sieht es aus? Also mit dem Laptop." Eine Kundin trat ein. „Ist heile. Alles wieder hergestellt." Schnell drückte ich Liam einen Kuss auf die Wange, bevor ich mich auf den Weg zu der Frau machte, die soeben das Café betreten hatte.

„Kannst du mir die Nummer von deinem Freund geben, damit ich ihm persönlich danken kann?" Durch den enormen Abstand zwischen Liam und mir schrie ich durch den ganzen Raum. „Er kommt morgen Abend zu mir. Du kannst ja auch kommen und ihn dann kennenlernen. Vielleicht mag Jenna ja auch." Das war ein Plan. Die Schicht ging schnell vorbei und ich eilte zum Wohnheim.

Catch me if I fallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt