26 | Wellen

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Am liebsten wäre ich unter den Tisch gekrochen. Mein Date saß in der Mitte des Halbmondes, genau in der Mitte. Rechts von ihm Carusoe, links ich. Wir drei bildeten das Zentrum der Aufmerksamkeit.

(Wobei, mich beachtete keiner, mal abgesehen von Sangster)

Meine beiden Freunde waren zu weit entfernt, als dass ich mit ihnen sprechen konnte, deshalb blickte ich sie in regelmäßigen Abständen hilflos an.
Die ganze riesige Tafel entlang fand man teure, schwarze Anzüge, ölig zurückgegelte Haare, Zigarettenqualm und Weingläser. Die klassischen Gangster. Verzeiht, Großkriminelle.
Denn man spürte, dass die Anwesenden allesamt bedrohlicher waren als der kleine Verbrecher. Sie schienen intelligenter zu sein, kultivierter, aber auch berechnender. Das mussten sie auch, als große Bosse.

Es fiel mir schwer zu glauben, dass einer von ihnen mich aus einem Impuls heraus mit einem Buttermesser zur Geisel machen würde.

Schnöselige Kellner schenkten von hinten regelmäßig neuen Wein ein, auch mir. Mittlerweile war Carusoe aufgestanden, um eine Rede zu halten und das Gerede verstummte schnell.
,,Hast du schon Panik?", flüsterte mir mein Entführer zu.

,,Was, ich? Nein. Nie. Ich bin die Ruhe in Person."

,,Freut mich zu hören. Soll ich Brot nachbringen lassen?"

Irritiert sah ich ihn an. Er deutete mit den Augen subtil auf meine Hände, also folgte ich seinem Blick.
Oh.
Ich hatte die Hälfte der Baguettescheiben bereits zerfetzt in meiner Nervosität. Der Brotkorb sah misshandelt aus.
,,Das ist meine Fingermuskel-Übung.", scherzte ich trocken.

,,Ach?"

,,Als Muskelexperte müsstest du das doch bestens verstehen."

,,Ruby, ich verstehe sechzig Prozent von dem, was du sagst, nicht." Während dieser Bemerkung, hob er plötzlich sein Glas an. Ich wandte mich wieder dem Rest des Saals zu und merkte, dass alle das taten. Carusoe war mit seiner kurzen Ansprache fertig und nun prosteten sie ihm zu.
Völlig aufgelöst hob ich meine Faust, in der sich noch immer ein Stück zerbröseltes Baguette befand.
Falls das jemand registrierte, beherrschten diese Leute hier ein großartiges Pokerface.

,,Das nächste Mal solltest du es mit der Serviette versuchen, falls das Weinglas dir noch zu schwer fällt.", kommentierte Sangster meine banale Unfähigkeit.
Währenddessen erschienen wieder Arme von hinten, die Speisen auftischten und Getränke nachschenkten. Es wurde leise zu den Kellnern geflüstert und neue Gespräche wurden aufgenommen.

,,Wenn es ein zweites Date gibt, lasse ich dich leiden. Ich schleppe ich dich in die Kindergartengruppe meiner Großcousine.", murmelte ich, ohne ihn anzusehen.

,,Ich freue mich darauf, deine kleinen Freunde kennenzulernen.", feixte er.
Als Antwort kickte ich ihm ins Schienbein. Der Tisch war bis zum Boden mit einem roten Tuch ausgelegt, deshalb wurde seine Autorität vor den anderen Mafiosi nicht untergraben (so etwas wollte ich ihm an seinem großen Abend dann doch nicht zumuten).

,,Kennst du überhaupt alle diese Leute?", fiel mir plötzlich ein.
Sangster schluckte die paar Tropfen Wein, die er gerade gekostet hatte hinunter, während er nachdenklich den Kopf in Richtung Decke streckte.
Ein Teller wanderte zwischen uns vorbei, und die Vorspeise wurde vor mir abgestellt. Im nächsten Moment erhielt auch er eine.
,,Namentlich.", erwiderte er dann. ,,Jeder hier hat einen gewissen Ruf."

,,Ja, kenn ich. Geht mir auch so bei Courtneys Kindergartengruppe.", nickte ich wissend.
,,Da gibt es einen, der beißt alle. Und dann noch Mädchen, das nie eine Hose tragen will. Und der Junge, der-" Mein Entführer zwickte mich fest zwischen den Rippen, um mixh zu unterbrechen, und ich schnappte nach Luft, während ich auf ihn kippte.

criminal manWo Geschichten leben. Entdecke jetzt