2 | lauschende Neurotikerin

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,,Und wie geht es uns denn heute, Ruby?"

,,Ich hab ein bisschen Hunger."

Das war nicht das, was meine Therapeutin hören wollte. Sie nickte. Dann nickte sie noch einmal und blickte mich eindringlich an.

Los, sag ihr wie du dich wirklich fühlst, drängte der Hutmacher.

Ja, du musst das loswerden. Das tut dir gut!, fand Alice.

Bei Unentschlossenheit hilft immer eine zweite Meinung!, pflichtete auch die Grinsekatze bei.

,,Ich bin nicht unentschlossen.", sagte ich, leider laut, denn meine Fantasiefreunde schrien mir halb in die Ohren.

,,Du bist unentschlossen. Warum?"

Weil sie den USB-Stick hat und nicht weiß, was sie damit machen soll., erklärte Alice plötzlich von einer Ecke aus. Automatisch wandte sich mein Kopf in ihre Richtung. Die Therapeutin folgte meinem Blick, sah aber natürlich nichts. Verdammt!

Was den Stick anging - den hätte ich beinahe mit dem Hippie-Kleid in der Waschmaschine zerstört.

Huhu, Rubyyyy, sie mich a-han!, flötete mir der Hutmacher in den Nacken. Ich wand mich, weil ich seinen Atem spürte und das unangenehm fand. Das merkte die Therapeutin ebenfalls. Die Geste, mit der ich den Hutmacher hinter mir verscheuchen wollte, war auch nicht gerade unauffällig.

,,Bedrängen dich deine Freunde wieder?", hakte sie verständnisvoll nach.
,,Ja."

Zwei Wochen nach dem ganzen Bandenkriegsdrama war es losgegangen. Sie schienen es richtig darauf anzulegen, mich als Verrückte zu outen. Ich hatte meinen Lehrer angeschrien, was nicht so peinlich war, wie Cassandra, die ihm später erklären wollte, dass ich geisteskrank war. Am Ende mussten meine Eltern sogar eine Bestätigung eines Psychologen holen, damit ich nicht nachsitzen musste.
Denn ich hatte wirklich unschickliche Dinge gebrüllt.

Außerdem gefiel es ihnen, mir Gespräche zu versauen. Nicht so wie vorher. Nein, dieses Mal zuckte ich mit dem Kopf, murmelte Dinge und rastete für ein paar Sekunden aus. Für andere sah es aus, als wäre ich aus einer Anstalt ausgebrochen, doch ich wusste, dass ich einfach nicht verrückt war.
Ich meine, irgendwie schon, aber nicht verrückt  verrückt. Ich war immer noch ich.

Und es wurde immer schlimmer.

,,Und was tun sie?"

,,Sie versuchen mich glaube ich bloßzustellen."

,,Und waren sie schon immer so?"

,,Nein. Sie haben mich oft getröstet. Mich unterstützt. Oh, und mich zum lachen gebracht."

,,Und bei deiner Zeit in Gefangenschaft?"
Wenn diese Frau das so sagte, klang es komisch. Als hätte man mich rein emotional gesehen in einen dunklen Turm gesperrt.
Aber so war das nicht. Irgendwie.

,,Besonders da. Ohne sie hätte ich nur geweint. Also denke ich. Ich wurde eigentlich ganz okay behandelt. So okay, wie Entführer nur können." Mal abgesehen von der Folter am Ende. Und dem beängstigenden Verhör am Anfang.

Die Therapeutin lächelte warm. ,,Willst du mir von so einer Situation erzählen? So eine, wo deine Fantasiefreunde dir geholfen haben."

Es gefällt mir nicht, wie sie "Fantasie" betont, ärgerte sich der Hutmacher.

,,Ich war in einem Hotel mit Sangster in einem Zimmer. Er war kurz duschen und da dachte ich mir, ich-"

Fanta-sie. Fanta-er. Fanta-non-binär. Fanta-gender-fluid. Fanta-intersex., murmelte Alice in mein Ohr.

criminal manWo Geschichten leben. Entdecke jetzt