Lynx&Lion - The Elite

23_Lucien

Die Antworten der Familien trafen in den kommenden Tagen ein. Eine Annahme nach der nächsten. Keiner der Erben wagte es unsere Hochzeitseinladung abzulehnen. Sei es aus Neugierde oder der Hoffnung auf das zukünftige Reich einwirken zu können. Auch folgte keine Beschwerde darüber, dass die eigentlichen Köpfe der Familie nicht eingeladen waren. Es folgten Ausnahmen. Männer, denen ich einigermaßen traute und um deren Loyalität ich wusste. Bei ihnen konnte ich nicht riskieren sie auf meine schlechte Seite zu bekommen. Wer wusste, wofür ich sie eines Tages noch brauchen würde.

Irgendwann waren die Zusagen so zahlreich, dass Iavil und ich uns nicht mehr persönlich um diese kümmerten- wir hatten genug andere Sachen zu tun. Die Hochzeit war nicht mehr weit hin und die Aufgaben waren von großer Zahl. Unsere Machtdemonstration musste perfekt werden. Jedes Ereignis der de Chimico wurde groß gefeiert, aber nichts so groß wie eine Hochzeit. Eine Vermählung der zwei einflussreichsten Familien.

Ich spürte einen stummen Blick auf mir und hob meinen Kopf. Begegnete Vis' Blick kühl und selbstsicher. Ihr gegenüber durfte ich niemals Schwäche zeigen- sie würde jede noch so kleine ausnutzen. Ein amüsiertes Lächeln spielte um die Lippen meiner Verlobten. "Immer auf der Hut", stellte sie lachend fest. "Du solltest lernen dich zu entspannen, Lucien." "Würdest du dich in einem Haus voller Giftschlangen entspannen können, die nur darauf warten dir jede Sekunde ihre Giftzähne in den Hals zu verbeißen?", entgegnete ich mit leisem Spott. "Du weißt eben so gut wie ich, dass du unersetzbar bist. Dein Vater braucht dich. Er will dich kontrollieren und manipulieren, ebenso wie es auch meine Absicht ist. Niemand wird dir schaden", entgegnete Iavil gelassen. Und ebenso konnte ich niemandem schaden. Ich brauchte die Macht, die die Vermählung mit Iavil mit sich brachte und ich brauchte meinen Vater, der noch zu viel Macht besaß, um sie ihm in diesem Moment zu entreißen.

"Und, wird dein Löwe zur Hochzeit erscheinen?", wechselte Iavil das Thema, weil sie eben so gut wie ich wusste, dass dieses Gespräch nirgendwo hin führen würde. Ich zuckte mit den Schultern als würde es keine Rolle spielen. "Er ist ein Erbe und eingeladen. Ob er erscheinen wird oder ob er sich gegen unsere Macht stellt, liegt ganz bei ihm." Iavil musterte mich eine ganze Weile neugierig und schweigend. Sie schien meine Reaktion ganz genau zu analysieren.

Irgendwann war sie mit ihrer Analyse fertig, auch wenn ich nicht wusste auf welches Ergebnis sie gekommen war. Ich wusste selbst ja nicht mal, ob ich den Löwen auf der Hochzeit sehen wollte oder nicht. Aber vielleicht war sie besser darin mich zu lesen als ich es selbst war.

"Du machst keinen Spaß", Iavil verzog ihre Lippen zu einem Schmollen, ehe sie sich in einer geschmeidigen Bewegung erhob. "Wir sehen uns zum Abendessen." Sie wollte schon gehen, als sie noch einmal verharrte und etwas aus einer Tasche zog und mir hinhielt. "Ich habe das in der Bibliothek gefunden. Da ich die anderen Tagebucheinträge bei dir im Zimmer gesehen habe, dachte ich mir, dass du das bestimmt auch willst. Lass sie nicht so offen liegen."

Da ich keine Anstalten machte den Zettel entgegenzunehmen, ließ sie ihn einfach vor mir fallen und schlenderte davon. Erst als sie sich weit genug entfernt hatte, bückte ich mich und nahm das Papier vorsichtig in meine Hand. Als ich die schön geschwungene Handschrift sah, erkannte ich augenblicklich, dass es sich um einen weiteren von Luenas Tagebucheinträgen handeln musste.

Aber woher kam dieser? Ich hatte die ganze Bibliothek auf den Kopf gestellt, aber keinen weiteren Tagebucheintrag gefunden. Und ich wusste wie gerissen Iavil war. Hatte sie diesen gefälscht? Seit wann wollte sie mir helfen, wenn es ihr selbst keinen Nutzen brachte. Misstrauisch blickte ich in die Richtung, in welche sie verschwunden war, aber sie war nicht mehr zu sehen. Erst danach studierte ich den Zettel genauer.

Die Schwingungen jedes einzelnen Buchstaben. Dieser Tagebucheintrag musste entweder von meiner Mutter oder perfekt gefälscht worden sein.

Februar, der zehnte.