1_Lucien

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Blut, überall ist Blut.

Ich kauere auf dem Boden, am ganzen Körper zitternd. Fassungslos blicke ich auf meine Hände hinab. Sie zittern und hören nicht mehr damit auf.

Meine Hände halten einen Degen so fest umgriffen, dass meine Fingerknöchel weiß hervortreten.

Mein Mund ist zu einem stummen Schrei geöffnet. Ich glaube, dass kein Ton herauskommt, aber ich bin mir nicht sicher.

Meine verkrampften Finger können den Degen nicht mehr länger halten. Er entgleitet ihnen und fällt auf den Boden- das Scheppern hallt dutzendfach in meinen Ohren wieder.

Mein Blick verschwimmt und als ich auf den Boden hinabblicke, ist es mir unmöglich das Gesicht der Person zu erkennen, welche dort auf dem Boden liegt- umgeben von Flügeln aus Blut. Trotzdem weiß ich, wer dort liegt.

Nun löst sich doch ein hörbarer Schrei aus meiner Kehle und ich schreie und schreie und schreie bis ich heiser bin. Ich bin nur noch in der Lage ein einziges Wort zu krächzen:

Vater


Ich schreckte auf. Mein Herz trommelte so schnell in meiner Brust, dass ich befürchtete, es würde diese Geschwindigkeit nicht mehr lange durchhalten. Seit Wochen hatte ich Nacht für Nacht immer wieder diesen Albtraum.

Doch es lag nicht daran, dass ich meinen Vater tatsächlich erfolgreich umgebracht hatte, es lag wohl eher daran, dass mich die Gewissheit verfolgte es eines Tages tun zu müssen. 29 Tage waren mittlerweile vergangen und doch lebte mein Vater immer noch, führte den Rat an und unterjochte das Volk.

Wenn Azad wüsste, wo ich nun war, würde er bestimmt lachen über diese Ironie des Schicksals. Azad, mein Herz schmerzte bei dem Gedanken an ihn und ich schalt mich dafür, überhaupt an ihn gedacht zu haben. Er hasste mich für meinen Verrat und wäre wohl auch enttäuscht, wenn er wüsste, dass ich den Platz meines Vaters noch immer nicht eingenommen hatte.

Ich hatte mich damals, am Tag meiner Flucht, auf den Weg zum Anwesen meiner Familie gemacht, doch ich konnte schlecht durch das Tor spazieren und so wartete ich einen Tag lang bei der Stelle der Mauer, wo wir uns auch früher getroffen hatten. Damals war Mic außerhalb des Grundstückes und ich innerhalb- jetzt war es umgekehrt.

Aber so lange ich auch wartete, er tauchte nicht auf. Für die Nacht kehrte ich zu einem nahegelegen Bauernhof zurück, bei welchem ich auf dem Weg zum Anwesen vorbeigekommen war und bat dort um eine Unterkunft für diese Nacht. Sie gewährten sie mir, solange ich am nächsten Tag auf dem Hof aushalf- die Menschen, die hier lebten, gehörten weder zur Elite noch zu den Rebellen und hielten sich vornehmlich aus allem heraus, wofür ich dankbar war. Auch fragte keiner nach meiner Herkunft und sie akzeptierten, dass ich keinen Namen nannte. Aus dem Tag wurden Tage und schließlich Wochen. Irgendwann begannen sie mich einfach nur noch "Junge" zu rufen und ich war dankbar dafür, denn meinen richtigen Namen konnte ich ihnen nennen, aber ich wollte auch nicht länger einen falschen Namen tragen. Es war besser keinen Namen zu besitzen.

Jeden Tag kehrte ich zum Haus zurück, aber nie ließ sich Mic blicken. Ich begann mir Sorgen zu machen, dass ihm vielleicht etwas passiert sein mochte, denn er konnte sich dank des fehlenden Mikrophons nicht mehr bei mir melden. Was war, wenn mein Vater nach Hause gekommen war und Mic seine Rolle so schlecht spielte, dass mein Vater ihn enttarnt und hingerichtet hatte? Nein, dann hätte ich bestimmt schon davon gehört, dass er nach mir, seinem wirklichen Sohn suchte. Aber um Mic zu schützen, konnte ich nicht auf das Grundstück, um mich zu vergewissern, dass es ihm gut ging- irgendwie seltsam verdreht.

Lynx&Lion - The EliteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt