13_Lucien

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"Wir sind heute hier zu einem besonderen Ereignis zusammengekommen. Lucien wird heute zu einem de Chimico und damit zu meinem offiziellen Nachfolger..." Seine Rede ging weiter, wobei meine Gedanken abschweiften. Ob sich in der Menge hinter meinem Rücken wohl Azad befand? Hatte er das Risiko tatsächlich auf sich genommen, hierher zu kommen? Aber warum sollte er es tun? Um sich dafür zu rächen, dass ich ihn damals hintergegangen und zurückgelassen hatte? Würde er allen die Wahrheit erzählen? Aber dadurch würde auch die Rebellion verlieren und das würde er nicht riskieren, oder? Wem gegenüber war er loyal?

Ich mochte es nicht auf diesem Stuhl zu sitzen, mit der Augenbinde, welche dafür sorgte, dass ich allen absolut hilflos ausgeliefert war. Ich mochte es nicht die Kontrolle zu verlieren. Über diesen Moment, diesen Augenblick. Seit ich bei den Rebellen gewesen war, hatte ich jegliches Vertrauen in Personen verloren. Man konnte niemandem vollständigen vertrauen. Es gab immer jemanden, der einen für einen gewissen Preis verraten würde. Macht, Geld, Frauen- es gab viele Dinge, die lockten.

Mein Vater beendete seine kurze Ansprache, indem er vor allem die Mitglieder des Rates kurz ehrte und noch einmal den Rest der Familie jedem vorstellte. "Bevor wir nun mit der Zeremonie fortfahren, möchte ich Euch meine Familie vorstellen. Meinen Sohn Lucien habt ihr bereits kennengelernt. Meine Töchter sind vermutlich etwas bekannter als er, dennoch sind hier meine älteste Tochter Julira mit ihrem Verlobten Jorcles de Moresque, meine mittlere Tochter Corae, sowie meine jüngste Tocher Moriana." Mir fiel auf, dass Vater Iavil als allerletzte nannte, vermutlich, um ihr die Grenzen bewusst aufzuzeigen. Sie mochte meine Verlobte sein, aber sie würde immer unter der Familie de Chimico stehen. Nur dass sie sich das nicht gefallen lassen würde.

"Und zuletzt ist hier der neuste Familienzuwachs. Luciens Verlobte Iavil de Contess. Ihr Name dürfte euch nicht unbekannt sein, ist sie doch die Tochter des obersten Richters Levon de Contess." Es ertönte ein Applaus und ich hörte schwere Schritte. Mein Vater schien sich wieder auf seinen Thron zu setzen.

Eine Hand berührte mich leicht an der Schulter. "Bist du bereit?", wisperte eine Stimme, woraufhin ich leicht nickte. "Dann kommen wir hiermit zur offiziellen Zeremonie!", ließ der Mann verkünden, dessen Stimme ich nun als die meines alten Kampftrainers erkannte. Ich wusste gar nicht, dass er für Zeremonien zuständig war, aber ich war erleichtert, dass es eine Person war, der ich wirklich vertraute. Wenn auch mittlerweile aufgrund meiner Vorsicht gegenüber allen, weniger, als zuvor.

Dann begann das große Ereignis, auf das alle gewartet hatten. Von überall her erklang Musik und erfüllte den ganzen Raum mit einer Feierlichkeit und würdevollen Atmosphäre, die seinesgleichen suchte. Kurz darauf spürte ich den ersten Nadelstich. Es gab eigentlich schon schmerzlosere Möglichkeiten der Tätowierung, so wie es auch bei meinem Luchs geschehen war, aber bei der Zeremonie konzentrierte man sich auf die alten Techniken. Meine Finger umschlossen das Medaillon, welches ich in meiner Hand trug. Ich würde es nachher verbrennen müssen, als Zeichen, dass ich nicht länger ein Kind der de Chimicos sondern ein wahrhaftiger Erbe war. 

Es war seltsam, vor einigen Monaten hatte ich mich noch auf diesen Tag hier gefreut, weil ich dann endlich ein vollwertiger de Chimico sein würde. Jemand, der seinem Vater vielleicht endlich gerecht werden konnte. Heute fürchtete ich diesen Tag schon fast. Er bedeutete, dass ich nun alles in Bewegung setzen musste, um den Adel auf meine Seite zu ziehen und meinen Vater zu töten. Zu dumm nur, dass ich es eher schaffte Menschen zu vergraulen als für mich zu gewinnen. Der Adel liebte meinen Vater, weil er sie wie noch kein Anführer zuvor zu so großem Reichtum und Wohlstand gebracht hatte. Wie sollte ich das nur schlagen? Und wie würde es ohne meinen Vater sein? Ich liebte ihn, so grausam er in den letzten Jahren zu mir auch gewesen war. Ich erinnerte mich an den Korolus von zuvor. Den vor dem Tod meiner Mutter. Ein warmherziger Mann, der gerne mit uns Kindern spielte und lachte. Blickte ich in die Augen meines Vaters, so erkannte ich immer noch diesen Mann in ihm. Wie konnte ich ihn da einfach ohne weiteres auslöschen?

Lynx&Lion - The EliteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt