7_Lucien

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Ich hatte mit vielem gerechnet. Mit allem, aber nicht mit den Ereignissen, welche das Auftauchen meines Vaters auslösen würde. Es war schon irgendwie eine Ironie des Schicksals, dass ich mittlerweile durch mein Leben auf alles gefasst war und doch letzten Endes nicht das kommen sah, was sich ereignete. Vielleicht wäre es leichter, wenn ich es kommen sehen würde, so wie Mics Verrat oder eben dies hier. Vielleicht würde es alles aber auch nur komplizierter machen, weil ich es kommen sah, aber doch nichts dagegen tun konnte. Würde ich anders handeln, wenn ich schon wusste wie sich alles entwickeln würde? Hätte ich Mics Verrat oder all diese Ereignisse, welche mich fesseln sollten und zu ersticken drohten abwenden können?
3 Wochen waren vergangen und in meinem Leben hatte sich wenig geändert. Offiziell bekanntgegeben werden würde es wohl laut meinem Vater erst an meinem Geburtstag. Die Feier selbst würde aber bereits im Januar oder Februar stattfinden. Ich hatte gefragt, warum nicht schon früher, aber keine Antwort darauf bekommen. Vermutlich musste zu viel organisiert werden. Der Gedanke meinen Vater doch schon früher umzubringen wiederholte sich wieder und wieder in meinem Kopf- er war verlockend, aber ich wusste, dass ich geduldig sein musste. Vor meinem Geburtstag würde mich niemand als den offiziellen Erben meines Vaters anerkennen. Machtkämpfe würden ausbrechen und meine Sache noch mehr erschweren.

"Wann wird sie wieder zu Besuch kommen?", erkundigte sich Mo neugierig und ihre großen eisblauen Augen waren auf mich gerichtet. Ihr Kopf war leicht schief gelegt und sie hatte ihr Kinn nach vorne gereckt, so wie es unsere Mutter immer getan hatte. Auch wenn sie ihr äußerlich kaum ähnelte und viel mehr nach unserem Vater kam, so steckte auch viel unserer Mutter in ihr. Vielleicht war das der Grund, warum sie diejenige meiner Schwestern war, der ich am Nächsten stand. Sie trug wohl von uns allen Geschwistern das Meiste unserer Mutter und das Wenigste unseres Vaters in sich, auch wenn ich derjenige war, der unserer Mutter am ähnlichsten sah und Moriana diejenige war, die unserem Vater am ähnlichsten sah. Spätestens seit ich mich den Rebellen angeschlossen und die Männer getötet hatte, wusste ich, dass die Grausamkeit meines Vaters durch meine Adern floss. Ich mochte nicht er sein, doch ob ich ein besserer Anführer des Rates sein würde als er es gewesen war, stand in den Sternen.

"Vielleicht heute, vielleicht morgen, vielleicht in ein paar Tagen...", entgegnete ich gleichgültig, woraufhin meine Schwester eine Schnute über diese nichtssagende Antwort zog.
Wir saßen auf meinem Bett- genauer gesagt saß nur ich, Mo lag vielmehr darauf und hatte sich regelrecht in den Kissenberg eingegruben, welcher auf meinem Bett lag. So war es schon immer gewesen, aber noch nie hatte es mich so sehr gestört wie seit meiner Rückkehr. Die Monate hatten mich verändert- schlafen tat ich schon lange nicht mehr in meinem Bett, stattdessen bevorzugte ich den Boden, achtete aber genau darauf, dass das sonst niemand mitbekam, weil es ansonsten bestimmt Fragen aufgeworfen hätte. Mir hatte die Behandlung gereicht, bei der mein Vater versucht hatte meine "verlorene" Erinnerung zurückzubringen.

Die Tage bei der Rebellion und der Monat danach mochten viel schlechtes bewirkt haben, aber zumindest auch ein gutes: Moriana und ich waren uns näher wie je zuvor. Auch wenn sie die Perfektion des Adels stärker im Blut hatte als ich, so hatte ich doch herausgefunden wie viel sie mir bedeutete und wie viel ich geben würde um sie zu beschützen. Durch Azad hatte ich die Liebe neu entdeckt und zwar nicht nur die romantische. Als ich ihn mit seinen Schwestern umgehen gesehen hatte, hatte ich mir selbiges auch für meine Familie gewünscht. Zwischen Corae, Julira und mir würde es wohl niemals so sein, aber bei Mo und mir bestand durchaus noch Hoffnung und auf diese vertraute ich.

"Ich mag sie!", verkündete Mo in diesem Augenblick und riss mich aus meinen Gedanken. Ich blickte zu meiner jüngsten Schwester und stellte fest, dass sie mich aufmerksam beobachtete um meine Reaktion auf diesen Satz von ihr herauszufinden.

"Ich mag sie auch." Noch nie in meinem Leben war mir eine Lüge schwerer gefallen. Moriana begann augenblicklich über das ganze Gesicht zu strahlen. Unweigerlich begann ich mich zu fragen, wie sie wohl Azad gefunden hätte und wie sie reagiert hätte, wenn ich das über ihn gesagt hätte. Meine Liebe zu ihm... existierte sie eigentlich überhaupt noch? So viele Monate waren vergangen seit wir uns gesehen hatten und letztlich waren die paar Tage, die ich bei den Rebellen und somit auch bei Azad verbracht hatte nichts dagegen. Ob er sich überhaupt noch an mich erinnerte? Die Gefühle zwischen uns mochten stark gewesen sein, aber vielleicht hatte er sich auch einfach nur mitreißen lassen. Und durch meinen Verrat spielte es nun wohl ohnehin keine Rolle mehr- wir standen auf unterschiedlichen Seiten. Auf meiner Seite stand niemand mehr, ich war vollkommen allein.

Lynx&Lion - The EliteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt