72 | Ich mache Feierabend.

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Am frühen Nachmittag verabschieden sich Janis und Leon und versprechen, mich über die Ergebnisse bei der Studiosuche mit Tessa auf dem Laufenden zu halten.

Tessa und Arthur sind vor etwa zwei Stunden gegangen, nachdem Tessa an den Tresen kam und bezahlt hat. Da Carlo zu diesem Zeitpunkt sein Genörgel selbst in der Babytrage vor ihrer Brust nicht unterbrechen wollte, haben wir nicht viel gesprochen.

Was hätte ich auch sagen sollen?

Arthur hat lediglich auf seinem Sessel gesessen und mich angesehen und ist Tessa dann stumm aus dem Café gefolgt.

Was hätte er auch sagen sollen?

Inzwischen sind auch die übrigen Gäste gegangen und der Besucherfluss hat nachgelassen. Alle Muffins sind verkauft und ich merke, wie die Anspannung des gesamten Tages langsam nachlässt. Vielleicht wäre es gut, wenn ich für heute Feierabend mache, beschließe ich.

Ich mache mich daran, die Tische alle noch einmal abzuwischen und die Kissen auf den Sesseln ordentlich zu arrangieren.

Das Glöckchen an der Eingangstür klingelt und zwei junge Frauen blicken mich neugierig an.

„Sorry", rufe ich ihnen zu. „Ich mache gerade zu. Einen Block weiter gibt es noch eins von diesen Kettencafés, aber vielleicht kommt ihr morgen Vormittag wieder."

„Ach schade", seufzt die eine.

„Bei dem schönen Wetter kann man es dir nicht verdenken", zwinkert mir die andere zu und beide verlassen mich wieder.

Das Wetter ist mir gerade ziemlich egal, aber ich bin froh, dass sie dennoch so verständnisvoll waren.

Nachdem die Tische alle wieder ordentlich und einladend wirken, räume ich das abgewaschene Geschirr weg und hänge meine Schürze an den Haken hinter dem Tresen.

Wieder klingelt das Glöckchen und ich rufe erneut: „Sorry, ich schließe gerade!"

Als niemand antwortet, drehe ich mich verwundert um und sehe Arthur unschlüssig in der Tür stehen.

Er sieht aus, als würde er jeden Moment die Flucht ergreifen und die Schatten unter seinen Augen scheinen noch deutlicher zu sein als heute Morgen.

„Arthur", entkommt es mir überrascht. „Hast du ... habt ihr was vergessen?"

Schnell eile ich zu dem Tisch, an dem er und Tessa heute Vormittag mit Carlo saßen und obwohl ich bereits aufgeräumt und keine verlorenen Gegenstände gefunden habe, suche ich die Sessel und den Boden nach etwas ab, das sie vergessen haben könnten. Mein Herz klopft wieder schmerzhaft schnell und ich hoffe, rasch fündig zu werden, damit Arthur wieder geht.

„Tessa schickt mich", sagt er matt und ich hebe die Kissen wiederholt an.

„Ich kann leider nichts finden", gebe ich bedauernd zurück. „Was fehlt denn?"

„Sie hat gesagt, wir müssen reden."

Ich richte mich langsam auf und blicke ihn direkt an.
„Was?"

„Sie hat gesagt, wir müssen reden und dann hat sie mich hier abgesetzt und hockt jetzt draußen im Auto und passt auf, dass ich nicht abhaue."

Ich beuge mich vor und schaue durch das Fenster.

Dort an der Straße parkt ein schwarzes Auto, dessen Fenster auf der Beifahrerseite heruntergelassen ist und eine streng aussehende Tessa sieht mich direkt an. Sie sieht nicht so aus, als würde sie demnächst wegfahren.

„Oh", mache ich. „Wo ist Carlo? Etwa im Auto? Ist das nicht zu warm für ihn?"

„Er ist zu Hause bei Gary."

Ich nicke nur und greife mir wieder eins der Kissen von einem der Sessel, um es in meinen Händen zu kneten.

„Mir geht es auch nicht gut", sagt Arthur leise und als ich vorsichtig zu ihm blicke, erkenne ich, dass Tränen in seinen Augen schimmern.

Mit einer Handbewegung bedeute ich ihm, sich zu setzen und für einen Sekundenbruchteil scheint er zu zögern, bevor er langsam auf mich zukommt und auf den Sessel gleitet.

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