12 | Was denken wir uns aus?

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„Bist du hungrig?", fragt Arthur und löst sich – für mein Empfinden viel zu früh – aus unserer Umarmung.

„Ein wenig", gebe ich zu, obwohl mein Magen sich ernorm leer anfühlt. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt etwas gegessen habe.

„Hier gibt es wirklich die beste Pizza des Viertels", lässt Arthur mich wissen und so folge ich ihm unaufgefordert zu einem der kleinen Tische, die die Vorderseite des Restaurants, vor dem wir uns verabredet hatten, zieren.

„Außerdem", fährt Arthur fort, nachdem wir Platz genommen haben. „Kann man hier am besten den Trubel auf der Straße beobachten."

„Machst du das gern?", möchte ich wissen.

„Den Trubel beobachten? Oh Gott, ja. Das macht solchen Spaß!"

Ich sehe mich um und erkenne viele Menschen, die den Bürgersteig vor dem Restaurant entlanggehen. Einige scheinen es besonders eilig zu haben, andere spazieren, und wiederum andere haben offenbar überhaupt keine Lust zu ihrem Ziel zu gelangen.

„Meinst du, man kann ihre Geschichte erraten?", frage ich und beobachte eine geschäftige Frau, die in einem Hosenanzug an uns vorbeieilt, während sie gestresst auf ihr Handy starrt.

„Ich denke mir immer welche aus", kichert Arthur neben mir und als ich ihn ansehe, leuchten seine hübschen Augen ganz begeistert. „Findest du das verrückt?"

Ich zucke mit den Schultern und ziehe meine Augenbrauen hoch.

„Nun, ich scheine bis heute Nacht noch nicht existiert zu haben, ich frage mich, was verrückter ist", gebe ich zurück und sehe der Frau wieder nach. „Sie hat garantiert ein Date in der Mittagspause, aber ihr Chef hat ihr noch eine Aufgabe dazwischengeschoben und darum ist sie jetzt spät dran und hat Angst, dass der Typ nicht mehr am Treffpunkt ist."

Arthur folgt meinem Blick und sagt verwundert: „Hm, ich war bei ‚Kind hat sich im Kindergarten den Kopf gestoßen und muss abgeholt werden', aber deins ist irgendwie witziger."

„Was ist mit ihm?", will ich wissen und deute mit meinem Kinn in Richtung eines dicklichen Mannes, ebensfalls businesslike in einem Anzug und Krawatte, der seinen Aktenkoffer auf der Bank einer naheliegender Bushaltestelle abgestellt hat und darin etwas zu suchen scheint.

„Eindeutig Katzenfutter", kombiniert Arthur.

„Katzenfutter?"

„Klar. Er hat eine Katze und das Futter ist leer. Besagte Katze ist sehr wählerisch und mag nur eine bestimmte Marke."

„Natürlich", grinse ich.

„Und er hat immer eine Ersatzdose in seinem Koffer. Doch jetzt ist er spät dran und ihm fiel gerade ein, dass er die letzte Ersatzdose schon verfüttert hat."

„Die arme Katze."

„Und bevor du verhungerst", kichert Arthur und reicht mir die Speisekarte. „Suchst du dir lieber etwas aus, sonst ist meine Pause gleicht vorbei und wir haben nur Geschichten erfunden, aber nichts gegessen."

„Buongiorno", begrüßt uns genau in diesem Augenblick ein junger, typisch italienisch wirkender Kellner. „Signore Arthur wie immer?"

„Sehr gern, Giacomo", lächelt Arthur und grinst entschuldigend in meine Richtung.
Offensichtlich ist er öfter hier.

„Und der Signore?", wendet Giacomo sich nun an mich und auch Arthur blickt mich erwartungsvoll an.

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