Kapitel 39

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"Den andern Teil", sagt er und macht eine grosse Schnaufpause, "haben wir eben nicht zusammen verbracht."

Ich möchte nachbohren und am liebsten alles aus ihm hinausquetschen. Wenn es nötig ist, kitzle ich es aus ihm heraus. Ob Alec wohl kitzlig ist?

"Erzählst du mir mehr darüber?", frage ich, anstatt ihn allzu sehr zu bedrängen.

Daraufhin grummelt er nur. Mit einem Ruck setze ich mich auf ihn und stütze mich mit den Beinen rechts und links von seiner Hüfte ab, um ihn nicht zu zerdrücken.

Grinsend schaut er zu mir hoch, und als meine Nippel kalt werden, weiss ich auch, wieso. Er ist unglaublich, unglaublich schlau, um einem in Momenten wie diesen abzulenken und aus dem Weg zu gehen. Doch davon lasse ich mich nicht beirren. Heute ist Tag der Abrechnung. Schnell umschliesse ich meine Brüste mit beiden Händen, um sie von der nagenden Kälte und Alecs Blicken zu verschonen.

"Alec", sage ich ernst. "Ich möchte mehr über dich erfahren!"

Einen Moment lang sehen wir uns in die Augen und in der nächsten Sekunde wird mir klar, dass er jederzeit verschwinden könnte. Es wäre dann,  als hätte es ihn nie gegeben, als hätte ich diese Seele nie gekannt. Dabei ist er doch alles andere als nur jemand beliebiges. Ich schiebe den Gedanken weg.

"Ich möchte dich nicht verlieren. Ich möchte mit dir zusammen sein. Richtig, ohne Versteckspiel", sprudelt es aus mir hinaus.

Das Lächeln, dass auf Alecs Gesicht erscheint, ist wundervoll. Aber es reicht nicht bis zu seinen Augen.

"Erzähl es mir", flüstere ich. Auch wenn sich hinter seinem Blick etwas schreckliches verbirgt. "Vertrau mir, bitte."

Das Goldbraun in seinen Augen scheint heute noch glänzender zu sein als sonst. Als er anfängt zu erzählen, lasse ich mich gegen seine Brust sinken und umhülle uns mit der warmen Decke. Obwohl die Fenster zu sind, ist es immer noch kühl. Als er spricht, scheint der Raum samt Zeit stillzustehen.

"Mein Vater ging noch weg, als meine Mutter mit Tatjana schwanger war. Ich war damals etwa zwölf. Es ist schon ewig lang her."

Seine Finger streichen durch meine strähnenden Haare, denen eine frische Wäsche nicht schaden würde. Ich nehme mir vor, dies heute noch nachzuholen, und das mit Alec.

"Wir haben damals in Schweden gewohnt. Es ist so wunderschön dort. Ich muss es dir einmal unbedingt zeigen." Seine Stimme hört sich verträumt an.

Noch immer wage ich es nicht, den Mund zu öffnen. Nicht jetzt, als er sich einmal dazu entschieden hat, über seine Vergangenheit zu sprechen.

"Wir waren sehr arm. Als Tatjana noch ein Baby war, mussten wir oft auf der Strasse schlafen. Sie war noch so klein. So klein, dass sie unter meine Jacke gepasst hat. Ich habe sie aufgewärmt. Genau so, wie dich jetzt."

Ich schmiege mich enger an ihn, denn mein Körper zittert.

"Es war eisig kalt, vor allem im Winter. Sie hat oft nächtelang geweint. Einmal hatte ich Angst, ihre Zehen seien schon abgestorben. Sie waren schon dunkelviolett. Damals haben wir uns in einer Gasse hinter einem Container versucht warm zu halten, jedenfalls ein bisschen."

Mein Ohr auf seiner atemloser Brust lauscht seinem rasanten Herzschlag. Ich schliesse die Augen und konzentriere mich nur noch auf seine heisere Stimme und auf seine nackte Haut auf meiner.

"Wo war denn eure Mutter?"



Unumgehbare Lust (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt